STOERUNG
Von Wolfgang W. Timmler
Alles hing mit allem zusammen. Und die Regel hieß: Um die Dinge in den Griff zu bekommen, mußte man sie vereinfachen. Die Regel war nicht immer leicht zu befolgen. Das fremde Wesen von Makarian paßte in kein Reagenzglas, und es war auch keine Bodenprobe, die man in den Kühlschrank stecken konnte, bis unsere Mission abgeschlossen war. Es glich vielmehr einem Stern, dessen Licht uns noch nicht erreicht hatte.
An Bord glaubten viele, daß wir sagen könnten, was in diesem Wesen vor sich ging. Aber die Dinge lagen nicht so einfach. Wir waren Wissenschaftler und keine Gedankenpolizei. Wir befaßten uns mit Tatsachen, und zu den Tatsachen gelangten wir nur durch Versuche. Es wurde für uns ein Wettlauf mit der Zeit, denn das Raumschiff würde den Orbit von Makarian bald verlassen und Tutulla anfliegen.
Dr. Pawlowsky war der Meinung, ein kleiner Raum sei am besten für unsere Versuche geeignet, und so kam er auf den Gedanken, das fremde Wesen in die Kombüse zu sperren. Der Raum war mit Stahlplatten verkleidet und hatte eine Tür, die sich durch einen Hebel auch von innen öffnen ließ. Der Doktor führte das Wesen in den Raum und verriegelte ihn von außen. Durch ein kleines Fenster in der Tür konnten wir beobachten, was geschah. Das Wesen tobte heftig und berührte dabei auch den Hebel, der für ihn die Freiheit bedeutete. Wir wiederholten den Versuch. Es bot sich das gleiche Bild wie zuvor, aber das Wesen war schon nach kurzer Zeit wieder frei, und als der Doktor die Kombüse erneut verlassen wollte, stellte es den Fuß in die Tür. Das Wesen hatte etwas gelernt, was ihm völlig fremd war, und wir waren gespannt, wie unser nächster Versuch verlaufen würde.
Dr. Pawlowsky zog eine Spieldose aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch. Er drehte an einer kleinen Kurbel, und es erklang eine Melodie. Nach einer Weile begann das Wesen den Kopf hin und her zu wiegen, aber es wollte lange nicht begreifen, daß man die Kurbel bewegen mußte, um die Melodie zu spielen. Mit einem Male trat eine Störung auf. Dr. Pawlowsky öffnete die Spieldose und bemerkte, daß sich eine der kleinen Metallzungen verhakt hatte. Als er der Spieldose einen Stoß versetzte, um den Mechanismus wieder in Gang zu bringen, geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte.
Das Wesen stürzte sich wütend auf Dr. Pawlowsky und zerfleischte ihm mit seinen Zähnen die Hand. Die Spieldose glitt über den Tisch und schlug gegen die Wand, daß der Deckel aufsprang. Als die Tonwalze scheppernd auf die Tischplatte fiel, ließ das Wesen von Dr. Pawlowsky ab. Es griff nach dem Metallzylinder, legte ihn zurück in das Gehäuse und begann an der Kurbel zu drehen. Dabei bewegte es den Kopf hin und her, als wiege es sich im Takt der Musik, aber es war nur das schleifende Geräusch der Kurbel zu hören.
Dr. Pawlowsky wurde noch am selben Tag operiert. Um ein Haar hätte man ihm die rechte Hand abnehmen müssen.
"Glauben Sie an Wunder, Dr. Pawlowsky?"
"Ich glaube nur an das Mirakel in meinem Kopf."
Durch das Fenster des Raumlabors sahen wir in der Ferne einen Stern aufgehen und wieder verlöschen. Unsere Forschungssonde hatte die Bremsraketen gezündet und brachte das fremde Wesen zurück zu seinem Planeten. Als die Sonde im roten Meer von Makarian verschwunden war, betrachtete Dr. Pawlowsky den Verband an seiner Hand und schüttelte den Kopf.