20. März 2019

Geospekulationen

 

Daniel Falb ist nicht nur als Lyriker verstörend, als Philosoph, namentlich im aktuellen Merve-Band "Geospekulationen", bleibt LeserInnen nichts erspart. Anders als im lyrischen Feld, das immer auch eine Flucht durch Mehrdeutigkeit ermöglicht, ist hier im Metaphysischen rein gar nichts vorhanden, worin man einen Trost oder Erfreunis oder irgendeine Art Unzwang empfinden könnte: Es ist das zurückgespielte Schwarze Loch. Was Falb zum Teil "fanatischen Sterblichkeitstraktat" nennt, ist vor allem im ersten Abschnitt, der sich mit genauer, rationaler Analyse der Millenniumsimulation und dem absoluten Nichts zwischen unendlich entfernten Teilchen gegen Ende des Universums beschäftigt, kaum zu ertragen. 

Sehr wohl steht hier Spekulation, und es geht nicht in erster Instanz um eine sprachliche Visualisierung des absoluten Endes, sondern um eine Kritik der Praxis auf Erden. Ausgehend von Kant und seiner letztlich kreationistischen Anschauung von Metaphysik, so Falb, versucht der Band, in einer auf transzendentaler Empirie aufbauenden Logik, so paradox es klingen mag, eine Praxis der Sistenz vorzudenken. Das ist im Prinzip das, was Tote "tun", sistieren, doch ist klar, dass hier Sprachgrenzen wie Denkgrenzen überschritten werden und somit die Näherung an die Überschreitung jener von Kant gemiedenen Schwelle im Interesse des Denkens nur noch viszeral verständlich gemacht werden kann – so paradox auch das jetzt wieder klingt. 

Das jedenfalls sprachlich konsequente Buch, voller Treffer mit denkbar größtem Spin, propagiert jenes Anthropozän, das Zeitalter nach Holozän, gemessen an ganz und gar verspurter Erde, auf der außer im Kern längst alles menschlich vereinflusst sei. Und gesichts jenes unvermeidbaren Endes in eine praxeologische Wende zu gehen habe: die Anthropozän Governance, die weit über Praxen wie beispielsweise sogenannte Umweltpolitik etc. hinausgehen sollte, transgenerational und fast undenkbar und deswegen vielleicht wie "Religion" zu handhaben, denn außerhalb jeglichen Kreationismus gedacht, so habe doch die (pseudo-)theokratische Praxis eine physische Effektivität. Das ganz kontra jenem expansiven und verselbstständigtem Survivalismus-Dogma des Wachsens. Nicht nur überlebten die Lebendigen als einzig nachweisbares Faktum, sondern auch die Ideen (Kulturen etc.), hier von Falb Kogs genannt. Ihr weder sinnhafter noch sinnloser Trieb dazu ist keine Praxis, sondern eine ungesehene, ungesteuerte Wachstums-/Fortschrittsstrategie (von wem auch immer), an deren Stelle die Idee einer Governance einen atheistischen Riegel vorschieben könnte, deren Zweck es sein kann, ein Museum des Holozän sistierend zu errichten.

An dieser Stelle blendet Falbs Kritik aus, wohl wissend um auch die Endlichkeit von verbücherten Spekulationen. Ausgehend hiervon sind viele, auch umsetzbare Praxen denkbar. Man schaue an Bewegungen gegen Wachstum, Effizienz, letztlich für Bewusstsein. Man selbst beginnt zu spekulieren. Das schafft Falb spielend. Nach einer Menge unbequemer "Wahrheiten", wobei auch diesem Begriff im wohldeduzierten Traktat der Kampf angesagt wird, einem horrormäßigen Spiraldenken ins Nichts, geht Falb, der sich selbst immer wieder konkret in den Text hineinschreibt, auf interessante Reisen und kommt zu vor allem erschütternden Kritiken aller möglichen Positionen. Eine unheimliche Lektüre, schrecklich konsequent. Aber was ist Gefühl?

 

Jonis Hartmann

 

Daniel Falb: Geospekulationen. Merve, Berlin 2019

 

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