4. März 2019

The Grapevine Structure

 

Der Tüftler, Ingenieur und Architekt Konrad Wachsmann war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so etwas wie ein wandelndes Silicon Valley, voller Ideen und genialer Abbildungen. Allerdings mit dem Unterschied, dass er kaum etwas hat realisieren können, und wenn, hat es sich nicht durchsetzen können oder andere haben es "effizienter" hinbekommen. Neben interessanten Studien zu Fertigteilhäusern aus Holz zu Beginn, den irrsinnigen riesigen Hangarstrukturen der 50er und den späten 60er Jahren Prä-Robotik und Computer gesteuerten Prozessentwürfen ist es die bisher ungebaute sogenannte Grapevine StructureWachsmanns, die seit ihrem Erscheinen als Illustration im epochemachenden Buch Wachsmanns Wendepunkt im Bauen, für Hirnfurore gesorgt hat. Wachsmann hat, wie so viele, hauptsächlich Inspiration versprühen können, war gut bekannt mit Buckminster Fuller, John Cage und den späteren Ingenieurarchitekten vom Schlage Richard Rogers, Norman Foster und Co. Seine Salzburger Seminare sind mündliche Legende, ohne sie hätte es Fritz Haller, USM und eine ganze Bewegung namens Industrielles Bauen kaum geben können. 

Marianne Burkhalter und Christian Sumi geben für Park Books eine gut dokumentierte Perspektive auf die essenziellen Beiträge Wachsmanns heraus, deren Fotografien, besonders die solarisierten Beiträge Harry Callahans der Hangarmodelle, noch immer beindrucken. Das Entscheidende ist jedoch der Fokus auf Wachsmanns fast schon manische Suche nach dem universellen Knoten. Solcherart kann Strukturalismus im Bauen geschehen beziehungsweise Gestalt annehmen: mit wachsender Komplexität je Anzahl der im Knoten verbundenen Achsen. Die Modelle von Wachsmanns verzwickten Tüfteleien aus Holz, Stahl, Verguss, Nieten und Gerüsten allein sind Kunst. Das Buch schafft es, diese angeditschten und wie außerweltlichen Geometrien wie Karl Blossfeldts Eiskristalle abzulichten. Sie sind zwar "gescheiterte" Bauteile, das heißt aber nicht, dass sie nicht in sich autarke Artefakte wären, deren Sinn auf den ersten Blick im Verborgenen bleibt wie zu allen Seiten verschlossene Blüten.

Zur Biennale in Venedig 2018 wurden nun auch erstmals jene ominösen Grapevine-Träger nachgebaut, eine Weinrankenstruktur, die fließend und unendlich scheinen soll, zunächst einmal wandlos und vor allem zweckfrei, nichts tut, als da zu sein, eine perfekte Struktur um ihrer Selbst willen – am ähnlichsten noch neuronalen Hirnstrukturen. Sie wurde aufwendig digitalisiert und robotisch aus Holz zu einem Mock-up von den heutigen Tüftlern Grammazio Kohler u.a. gefertigt. Zwar bleibt Wachsmanns selbst in Zeiten aufwendiger Renderings noch immer staunenswerte Handzeichnung unerreicht, gerade durch ihre schwerelose Tiefenwirkung, doch macht das Buch mithilfe eingefärbter Modellgrafiken deutlich, wo überhaupt die einander umwickelnden Doppelspitzenträger im Knoten ihre Zapfenschlösser nur haben konnten. Ein wichtiger Beitrag zum optischen Verständnis von Wachsmanns minimalistischer beziehungsweise unendlich vorraussetzungsbeladener Struktur, die vielleicht tatsächlich schon Gottfried Semper in seinem viel zitierten Tektonikbegriff antizipiert haben mochte: "Die Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmig gestalteter Teile zu einem unverrückbaren System."

 

Jonis Hartmann

 

 

Burkhalter, Sumi [Hg.]: Konrad Wachsmann and the Grapevine Structure. Park Books. Zürich 2018