4. März 2019

Waschmaschinen und Kanalarbeiter

1. Crawl Space, Jesse Jacobs
2. Crawl Space, Jesse Jacobs
3. Crawl Space, Jesse Jacobs
4. Crawl Space, Jesse Jacobs
5. Crawl Space, Jesse Jacobs
6. Crawl Space, Jesse Jacobs
7. Crawl Space, Jesse Jacobs
8. Crawl Space, Jesse Jacobs
9. I´m not here, GG
10. I´m not here, GG
11. I´m not here, GG
12. Lichtpause, Paula Bulling
13. Lichtpause, Paula Bulling
14. Lichtpause, Paula Bulling
15. Lichtpause, Paula Bulling

 

„Crawlin Space“ spielt, oberflächlich betrachtet, in einer kindlichen Spielzeugwelt. Doch unter der Oberfläche eines kindlich vereinfachten Erscheinungsbilds befindet sich eine ernsthafte Gefühlswelt, bestimmt von Drogengebrauch und spirituellen Welterklärungen. Eine „coming of age“-Geschichte, wie sie sich tausendfach und jederzeit, hier irgendwo in der kanadischen Provinz, abspielt. Eine Besonderheit des Comics von Jesse Jacobs: Er kommt ganz ohne Moral und Ironie aus. Moral in Bezug auf die Entselbstung seiner Probanden. Ironie in Bezug auf die Kluft zwischen Inhalt und Ästhetik. Der Aufbau ist denkbar einfach; die Außenwelt ist schwarz-weiß, die Innenwelt regenbogenfarben. Der Übergang von einer in die andere Welt geht durch die Waschmaschine im Keller von Daisys Eltern. Der Konflikt besteht in den Übergängen von einer in die andere Welt. Im sprichwörtlichen Untergrund (Keller) passiert durch die Reinigungsmaschine so etwas wie eine Gehirnwäsche. Hier machen die Jugendlichen ihre ersten psychedelische Erfahrungen. Sie erleben, wie Ich und Welt eine Zeit lang zusammenfallen. Erlebnisse, nach denen für besonders sensible Menschen weder das Ich noch die Welt so sind wie zuvor. Beides gerät ins Wanken, wobei der Autor sich nicht klüger als seine Protagonisten gibt, obwohl er um die kosmischen Zusammenhänge zu wissen scheint. Die eingeschobenen kosmischen Welterklärungen machen, dass der Comic als Verführer auftritt. Und es macht misstrauisch, wenn behauptet wird, nur durch Reinheit und Selbstauflösung eine Einswerdung erreicht und in höhere Sphären aufsteigen zu können. Sich von seinem alten Ego und der Schwarz-weiß-Gesellschaft also abzuheben. Ähnlich den Drogen-Versprechen, des Urlaubs vom Ich, in Form von Selbstmedikation. Wohl wissend, dass Drogen einem Kraft geben – wenn auch die falsche auf lange Zeit gesehen. Auch wenn Jesse Jacobs isometrischen Zeichnungen vermitteln, dass er über der Szene steht, ist seine mentale Haltung dem Gefühlsleben seiner Protagonisten verpflichtet. So ist er, ohne moralische Wertung, gefährlich nah bei den Jugendlichen und das fasziniert. 

Denkt man sich eine introspektive Feineinstellung einer von Jesse Jacobs Protagonist*innen, kommt man zu „I´m not here“ von GG (G.Wong.) In diesem melancholischen Miniaturdrama geht es auch um das Verschwinden einen Ichs, hier jedoch unter dem Druck familiärer Erwartungen. Als Kind von Emigranten (wir haben unsere Heimat nur verlassen, damit es unseren Kindern besser geht) im Sinne der Eltern zum Erfolg verdammt und sich gleichzeitig um diese, seine kranke Mutter und den dementen Vater, verantwortlich zu fühlen, kann einen schon zerreißen. Wenn dann noch die Suche, seiner eigenen Kreativität gerecht zu werden, dazukommt, während die Schwester bereits alle Wünsche der Eltern, inklusive Kinderwunsch, erfüllt hat, kann darunter das Selbst erdrückt werden. Zwischen diesen Ansprüchen steht die Protagonistin, von denen sie nicht weiß, welche die eigenen und welche die der Eltern sind. Ansprüche, zwischen denen sich ihr Ich zu stabilisieren versucht. Als kreativer Mensch bleibt ihr die Möglichkeit, die ganze Situation zu thematisieren, auch um Abstand von ihr nehmen zu können, das zeigt der Comic. Hier wird ein zarter Blues gesungen, der die Zustände schmerzhaft vergegenwärtigt und gleichzeitig begütigend wirkt. Gleichzeitig kultiviert der Comic einmal mehr die allzu langweilende Weile, in dem sich das Leben auf melancholische Weise aus einem zurückzieht, übervoll von wortloser Erkenntnis. Am Schluss beleibt offen, ob die Protagonistin ihr Leben selbst in die Hand genommen hat, indem sie sich selbst tötet.

„Lichtpause“ ist ein europäischer Comic. Einer, der an der Möglichkeit einer stringenten Erzählung zweifelt. Dabei ist er zugleich poetisch und politisch. Paula Bulling weiß ihre Sprachlosigkeit zu thematisieren. Wenn tausend Sonnen sich in einem Löffel, tausend Schichten in einem Gebäck oder tausend Löcher in einem Schwamm wiederfinden, dann kollidieren große Metaphern mit alltäglichen Erscheinungen. Durch die sich alles weiten soll, wenn es heißt: „Ich will mich an alles erinnern“ und weiter: „Aber vielleicht reicht es, durch ein kleines Loch zu gucken, auf einen Tag.“ Das ist die Haltung von James Joyces, Marcel Proust oder Arno Schmidt. Die große Idee, die tausend Sonnen müssen ihre Kraft im Alltag beweisen. In „Lichtpause“ beschreibt Paula Bulling einen Tag ihres Stipendiums in einer Großstadt in Algerien. Dabei geht sie sparsam mit Worten um. Die wenigen aber setzt sie so präzise, dass sie eine ungewöhnlich starke Wirkung entfalten, eine, die auf die Bilder überspringt und von dort zurück auf die Worte selbst. Paula Bulling zeigt eine Stadt wie viele moderne Städte, die doch eigen ist. Alltägliche Beobachtungen machen hier die Besonderheiten aus, wenn Kanalarbeiter ihre Beine in einer Gullyöffnung kühlen, die Oberkörper in der Sonne, oder eine Frau sich schützend ein Heveablatt vors Gesicht hält, während sie die Straße überquert. Gleichzeitig blitzen Erinnerungen auf, wie sich ein Nordafrikaner in Brüssel öffentlich mit Benzin übergießt und anzündet. Eine Mixtur aus Erlebnis- und Erinnerungsfragmenten, die sich in vielen Moment des Tages ablagern und darauf lauern, in Erscheinung zu treten. Paula Bulling zeigt sie uns. Seite für Seite, gestimmt in eine dem Lesemoment eigene Stimmung getaucht. So fällt der Tag präzise Bild für Bild auseinander, um sich als Buch neu zusammenzusetzen.

Koyama-Press sogt immer wieder für überraschende Bücher in Englisch.

In Deutschland hat der Rotopol Verlag diese Rolle übernommen – mal sehn, was 2019 bringt.

 

Christoph Bannat

 

 

Jesse Jacobs: CRAWL SPACE

96 Seiten, Farbe, 19 x 26 cm, Broschur

19,00 €

 

GG: I’m Not Here

Koyama Press

$12.00

 

Paula Bulling: Lichtpause

36 Seiten 

Rotopol (Verlag)

18,00 €