14. November 2018

Aufklärung statt Verklärung

 

Johannes Lothar Schröder setzt sich in seinem Buch »Vorsicht bei Fett. Übersehenes bei Joseph Beuys« mit Joseph Beuys’ Entwicklung zum Aktionskünstler auseinander und nähert sich der Interpretation von Beuys’ Werken und Person auf Wegen, die zuvor wenig beachtet wurden.

Grundlegend für die Betrachtung von Beuys’ künstlerischer Arbeit und auch deren Rezeption sieht Schröder die politische Entwicklung von Nazi- zu Nachkriegsdeutschland. Er macht die weitreichende Auswirkung deutlich, die die erst allmähliche Aufarbeitung von Kriegsschrecken wie auch die Besetzung von Ämtern in der Bundesrepublik durch ehemalige NSDAP-Mitglieder auf das gesellschaftliche Leben, die Kunstrezeption und das Kunstschaffen haben.

In präziser Analyse zeigt Schröder sowohl auf, welche tiefgreifende Bedeutung die Traumata haben, die Beuys nach seiner Zeit als Stuka-Flieger und Infanterist begleitet haben. Darin, dass er mit olfaktorischen Mitteln das thematisierte, was mit Sprache aufgrund von Verdrängung nicht gesagt werden konnte, sieht Schröder eine Erklärung für die immense Resonanz auf Beuys’ Arbeiten. Er schaffte ein Sprachrohr für eine sprachlose Generation, die sich in seinen Arbeiten wiederfinden konnte, ohne selbst sagen zu können, warum.

Auf der Grundlage seiner Vergangenheit, vom Hitlerjungen zum Soldaten, der die Schrecken des Krieges miterlebt hat, hin zum Künstler, werden die weit bekannten Motive Beuys’ von Schröder genau untersucht. Vor diesem autobiografischen Hintergrund stellt er einleuchtend dar, wie sich die Eigenschaften von Hasen und Kaninchen mit den notwendigen Eigenschaften eines Soldaten decken und welches Wirkungspotenzial Fett als plastisches und olfaktorisches Material mit sich bringt.

Dabei kritisiert Schröder sowohl ungenaue Betrachtungen und Interpretationen künstlerischer Arbeit als auch solche, die vor einem ideologischen, politischen oder persönlichen Hintergrund geschehen und publik werden. Seine Bemühung, dem eine präzise und begründete Analyse entgegenzustellen, gelingt, bringt aber auch einige Wiederholungen mit sich, die er selbst schon im Vorwort als unvermeidbar ankündigt.

Außerdem zeichnet er die Person Beuys nach; dessen Entwicklung vom Bildhauer zum Aktionskünstler mit Kontakt, aber nicht Zugehörigkeit, zum Internationalen Fluxus hin zum Medienkünstler, immer drängend nach Aufmerksamkeit und Präsenz in der Öffentlichkeit.

Ganz nebenbei geht während Schröders Analyse der Mythos Beuys verloren, der Künstler wird plötzlich zum Menschen mit menschlichen Bedürfnissen und menschlichen Ängsten. Allerdings mindert das nicht die Faszination an der Figur Beuys.

Illustriert ist der Text mit tatsächlichen Zeichnungen des Autors, da er das Originalfotomaterial aufgrund von Bildrechten nicht nutzen konnte. So hat er Fotos von Aktionen skizziert und Zeichnungen von Beuys nachgezeichnet. Dieses Bildmaterial ist hilfreich zur Visualisierung der Analyse, auch wenn Originalmaterial vermutlich mehr Eindrücklichkeit und weniger den subjektiven Blick des Autors vermittelt hätte.

Gerade im aktuellen Kontext wird das Buch, das bereits 2016 erschienen ist, wieder interessant. In Florian Henckel von Donnersmarcks Film „Werk ohne Autor“, der momentan in den Kinos läuft, wird sowohl die Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit als auch die Mystifizierung des Künstlers behandelt. Die Beuys-Figur Van Verten tritt im Film als Mann mit geheimnisvoller Arbeitseinstellung und geheimnisvoller Kopfverletzung auf, der getreu Beuys’ eigener Inszenierung seine Materialien Fett und Filz bei schamanischen Tataren fand, die den Kriegsverletzten heilten. Schröders akkurate Analyse bietet hierzu eine erfrischende Ergänzung. Aufklärung statt Verklärung.

 

Lea Woltermann

 

Johannes Lothar Schröder: Vorsicht bei Fett. Übersehenes bei Joseph Beuys

Conference Point Verlag Hamburg und Berlin 2016

 

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