4. Februar 2004

Tell me everything!

 

Niemand in diesem Roman hat irgendeine Chance. Der Ehepartner ist ein lauernder Feind. Der Nachbar ein Versager, der einem mehr oder weniger versteckt den Spiegel vorhält.

 

 

 

 

 

Der Leser dieses in der Originalversion bereits 1967 veröffentlichten, 2001 wieder aufgelegten und nun auch ins Deutsche übersetzten Romans tritt schnell ein in ein überschaubares Reich gefestigter Trostlosigkeit. Der Titelheld, George Mecklin, ist Lehrer in einer Schule in New York. Das Einzige, was er von ihr erwartet, ist der Scheck am Ende jeden Monats. Sein Haus hat George auf dem Land, wo er zusammen mit seiner Frau, die halbtags als Bibliothekarin arbeitet, lebt. Zwei, drei Häuser stehen in der näheren Umgebung, mit den Leuten, die dort wohnen, haben George und Emma nicht viel zu tun. George ist 34, aber er wirkt wie 50. Er und Emma sind ein eingespieltes Team, aber es ist das Spiel von Vorbehalt, Groll, Ranküne und Perspektivelosigkeit. Wenn sie miteinander reden, erwischen sie sich immer da, wo es am wehesten tut. Selbstzweifel tun ein Übriges, um Lockerheit erst gar nicht aufkommen zu lassen. Manchmal kommt Lila, Georges ältere Schwester, mit ihrem sonderbaren Kind, zu Besuch. Tristesse auf einem anderen Niveau.

Dann ist da plötzlich dieser junge Mann, Ernest, den George, als er gerade von der Schule nach Hause kommt, im Bad ertappt. Ist es ein Dieb, vielleicht sogar ein Mörder? Zunächst erfährt George von dem jungen Mann, dass er sich in der Gegend herumtreibt und irgendwie Spaß daran hat, in die Häuser der Leute einzudringen, wenn diese nicht zu Hause sind. Ernest geht nicht mehr zur Schule. George wird nicht recht schlau aus dem etwas autistischen Huckleberry Finn, aber es macht ihm zusehends Freude, sich für ihn einzusetzen und ihm eine Perspektive zu verschaffen.

Die Logik ihrer Beziehung will es, dass Emma Georges wieder erwachten pädagogischen Eifer nicht versteht. Eine parallele Welt entsteht neben ihrer, und jene kommt ganz gut ohne sie, Emma, klar. Irgendwann stellt Emma George die Frage, ob er nicht doch eher homosexuell sei. Kurze Zeit darauf schläft Emma mit Ernest. Dann verlässt sie George. Diese Dinge erzählt Paula Fox der Reihe nach. Aber nicht so, dass eins das andere gibt, sondern so, dass das, was den Figuren passiert sein wird, über ihnen wie ein Verhängnis wirkte, aus dem es kein Entkommen gibt. Niemand in diesem Roman hat irgendeine Chance. Der Ehepartner ist ein lauernder Feind. Der Nachbar ein Versager, der einem mehr oder weniger versteckt den Spiegel vorhält. Die Schule ein Ort hässlicher Profilierungssucht. Die Familie eine Zelle, in der der Irrsinn haust. Sexuelle Attraktionen Schicksale, die mit Dummheit geschlagen sind.

George ist der Frontman in diesem Figurenpark. Es ist meist Georges Schulter, über die der Leser sieht. Aber dieser sieht trotzdem nicht mit Georges Augen, denn wenn, wie Emma einmal bemerkt, George ein Kürbis ist, sieht man zwar ins Innere, aber dieses ist leer: „Ach… du runzelst die Stirn, manchmal lachst du, aber selbst wenn du zornig bist, bleibt alles, wo es ist. Keine Anhaltspunkte.“ Insofern hat Paula Fox ein Gespensterbuch geschrieben, in dem es zwar Handlung und Figuren gibt, der Schauplatz jedoch schon mit allen entscheidenden Vorgaben ausgestattet ist. Und auch die Psyche ist dann nur ein reaktives Moment, das möglichst schnell einen Platz sucht, an dem es Schutz vor anderen findet und wo es doch nicht bleiben kann. Und so ist es fast ein kleines erzählerisches Wunder, dass dieser Roman nicht in mehreren depressiven Sackgassen endet, deren Schrecken den Leser vertreiben, sondern nach mehreren Katastrophen George sich in einer Lage befindet, in der er selbst Erzähler sein kann. Es wird sich lohnen, dieser Stimme genau zuzuhören.

 

Dieter Wenk

 

Paula Fox, Pech für George (Poor George). Roman, München 2004 (C.H. Beck)