9. November 2018

Zeichenschwung

William Haselden, The Willies as Max and Moritz 1917, Wilhelm Busch, Bilder und Geschichten Katalog LA8
Irrlichter, Wilhelm Busch, Werner Hofman, Die Karikatur, philo verlag
Irrlichter, Wilhelm Busch, Werner Hofman, Die Karikatur, philo verlag.
Der Eispeter, Willhelm Busch, Bilderpossen
Der Eispeter, Willhelm Busch, Bilderpossen
Der Eispeter, Willhelm Busch, Bilderpossen
Der Eispeter, Willhelm Busch, Bilderpossen
Der Eispeter, Willhelm Busch, Bilderpossen
Thomas Theodor Heine, Simplizissimus, 1907, Bilder und Geschichten-Katalog LA8
Schreibtisch

 

Wilhelm Busch (1832–1908) ist ein deutscher Sonderfall. Ein Klassiker, dem ein eigenes Museum gewidmet wurde, weil er als Zeichner und Literat nach wie vor verehrt wird. Denn Klassiker heißt hier, dass er noch lebendig, das letzte Wort also noch nicht über ihn gesprochen ist. Dabei scheint alles zu Busch gesagt, es gibt großartige Referenztexte und im Museum wird zu ihm geforscht – welcher deutsche Zeichner wurde je so geehrt? Es fehlt vielleicht noch ein Terrakotta-Medaillon an der Fassade der Hamburger Kunsthalle, neben Chodowiecki, den heute kaum noch einer kennt. Mein »Goldenes Busch-Album« erschien erstmals 1957, 1992 erwarb ich es in der 20. Auflage. Bereits hier wird Busch als ehemals freier Künstler, der als Komik-Autor berühmt wurde, vorgestellt. Trotz oder gerade wegen seiner Berühmtheit hält sich hartnäckig der Mythos vom erfolgreich gescheiterten Künstler. So dient er als Phänotyp des 19. Jahrhunderts, einer neu entstehenden Massengesellschaft mit immer schneller werdenden Medien. Busch, ein Typ, der sich mit Spott und Witz, zunächst wirtschaftlich, später auch als künstlerisch wertvoll gerühmt, durchzusetzen versteht. Diesem Typ begegnen wir auch in den 80er Jahren unseres Jahrtausends. Dass gerade 1974 und 1981, auf dem Nachkriegshöhepunkt allgemeiner Staatsfeindlichkeit, zwei Referenzaufsätze von Helmut Heißenbüttel zu Busch als Literaten und frühem Comickünstler erscheinen, mag kein Zufall sein. Bereits 1932, zu Busch 100. Geburtstag, hielt der Simplicissimus-Zeichner Theodor Heine eine Laudatio auf ihn – nachzulesen imBaden-Baden-Katalog. Mit einem weiteren Referenzaufsatz untermauerte der Kunsthistoriker Werner Hofmann in Karikatur von Michelangelo bis Picasso (Erstveröffentlichung 1954) Buschs Ruf als den eines freien Zeichnen-Künstlers. Es läuft also offene Museumstore ein, wer meint, Busch im Sinne einer sogenannten Hochkultur verteidigen zu müssen. Und doch ist dieser Verteidigungsreflex berechtigt, ist doch über Busch das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Ausstellung in Baden-Baden zeigt wieder einmal Hinweise für Buschs heutige Lebendigkeit. Trotz der Übersetzungsschwierigkeiten seiner Zeichnungen in den Holzschnitt, um diese drucken zu können, sowie später deren fototechnischen Reproduktion, verbunden mit an dem Verlust von Busch einzigartig dynamischen Zeichenschwung, bleibt ein metaphorischer Kern. Anders hätten seine Arbeiten nicht so lange überdauern können. Vielleicht sind es aber gerade diese drucktechnischen Hemmnisse, die ihn nötigten, auf jeden künstlerischen Schnickschnack zu verzichten, sodass seine Zeichendynamik dadurch erst richtig zur Blüte kam. Einschränkungen, die auch heute, beim Comic, noch ihre Gültigkeit haben. So entsteht dieser heute noch als Gemeinschaftsprozess von Zeichner, Texter, Koloristen und Drucker. Bei Autorencomis, und Busch kann als Comicautor bezeichnet werden, zwar mit weniger Personal, dafür aber nicht weniger prozessual, was wir an einem Beispiel sehen können. Vergleicht man die Eispeter-Darstellung mit seiner irrlichternden Federzeichnung, werden Buschs unterschiedliche „Mentalitäten“ sichtbar. Einerseits Barock, andererseits comichaft verkürzte Darstellungen. Doch jenseits dieser technischen Spitzfindigkeiten, und das wird meines Erachtens zu wenig thematisiert, hat er ein geniales Gespür für Metaphorik. Auf den letzten Seiten des Baden-Baden-Katalogs wird dies Genie mit The Willies as Max and Moritz von William Haselden angetippt. Haselden zeigt, wiev iel mehr symbolische Sprengkraft in Buschs oft privatistisch anmutende Geschichten steckt. Eine Kraft, die nicht immer bewusst mitgelesen wird. Diese Energiequelle zu nutzen hätte ein anderes Denken und Ausstellen zur Folge. Wer schält die tiefere Bedeutung heraus, dass Max und Moritz, als Rasterpunkte (heute Pixel) à la Sigmar Polke (wenn man so will) enden und von Federviehvolk gefressen werden? Wer untersucht die Idee der Verwandlung vom Organischen in Anorganisches, zu Medien, zum Futter für die Namenlosen? Wer den Schock, wenn das Pusterohr dem Voyeur, im übertragenem Sinne, die Zähne, im realen Sinne, ausschlägt. Bewegt sich dies Bild nicht auf Duchamps Étant donnés zu? Dies zeigt die untergründigen symbolischen Strömungen in Buschs Arbeiten. Oder die Aggregatszustände, die der Eispeter durchläuft, um im Keller zwischen Gurken und Käse archiviert zu werden. Oder die Sozialfallenmethapher des miteinander verbundenen Hühnerfutters. Futter als Lockstoff, der sie, durch Verbundenheit letztendlich umbringt. Was William Haselden (im Katalog) ganz richtig ins Politische übersetzt, ist nur eine Möglichkeit der Deutung. Ausstellung und Katalog zeigen noch einmal alle Fassetten von Buschs Schaffen – das letzte Wort aber wurde auch mit dieser Ausstellung noch nicht gesprochen.

Christoph Bannat

 

Wilhelm Busch, Bilder und Geschichten - Katalog zur Ausstellung, LA8, Athena Verlag.

9. September 2018 bis 3. März 2019, Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden

 

Helmuth Heißenbüttel, Von fliegenden Fröschen, libidinösen Epen, vaterländischen Romanen, Sprechblasen und Ohrwürmern, 13 Essays, Klett-Cotta.

 

Werner Hofmann, Die Karikatur von Leonardo bis Picasso, Philo & PhiloFineArts.