21. September 2018

Akademische Brut

 

Diese Dissertation ist überflüssig. Diese Dis. hat ihre Berechtigung, nur kenne ich diese nicht. Diese Dis. hat nichts mit dem Leben zu tun. So kann man nicht denken. Diese Dis. ist eine Visitenkarte für die akademische Welt der Comicforschung. Diese Dis. Heißt: „Die Bilder des Comics – Funktionsweisen aus Kunst und bildwissenschaftlicher Perspektive“ und ist von Alexander Press.

Ich entscheide mich für: Diese Dis. hat nichts mit dem Leben zu tun. Comics waren einmal eine illegitime Kunst. Heißt: Sie wurden vom Staat nicht unterstützt – schlimmstenfalls verboten. Wer in den 60ern aufwuchs, hat noch erlebt, dass Micky-Mouse-Hefte vom Lehrer weggenommen und nie wieder zurückgegeben, manchmal sogar vor der gesamten Klasse zerrissen wurden. Gleichzeitig gab es Little Nemo, Lucky Luke und Asterix in der Bücherhalle, jedenfalls in Hamburg-Langenhorn. Und dann gab es noch Robert Crumb, die Freak Brothers; Scheiße, meine letzten 50.000 Pillen sind alle, Spy vs. Spy und Don Martin. Die waren Rock’n’Roll in Bildern. Das war nur zu verstehen, wenn man die Stooges oder MC5 gehört hatte, auch ohne deren Namen zu kennen. Und wenn man die Schwarz-Weisß-Gesichter auf den rot umrandeten RAF-Fahndungsplakaten irgendwie cool, auch wenn es dies Wort so noch nicht gab, fand. Und jetzt kommen die Schlau- und Piepmeyers und machen da ’ne Wissenschaft draus. Nun gut, heute höre auch ich gern sonntags die „Interpretationen“ auf Deutschlandfunk Kultur, verstehe kein Wort und genieße das. Ich liebe die Experten. Sehe förmlich, wie sie ihre Lebenszeit einsetzen, wie sie sich lebenslang in ein Thema vertiefen, sich irgendwie heldenhaft opfern, um mir bei den Interpretationen ihre Sprachgebilde vorzuführen. Manchmal überlege ich mir, welche Rolle sie wohl in meiner Grundschule gespielt hätten. Gut, das ist legitime (Staats-)Kunst. Musik, bei der du es zu nichts bringst, jedenfalls zu keiner Meisterschaft, wenn du nicht spätestens seit dem zehnten Lebensjahr dabei bist. Beim Hören liebe ich auch die kleinen Astlöcher im Brett vor dem Kopf, durch die mich eine Ahnung von Verständnis anweht. Löcher, durch die ein akademische Wind weht. Manchmal hebt mich der Wind, dann fühle ich mich erhaben. Dann fühle ich mich als Monade der Wissenschaft. Und es kickt, wenn sich Kreise schließen. Schaltkreise des Genusses. Schaltkreis des Verstehens. Bei „Die Bilder des Comic“ geht es um Bild und Schrift und Kunst aus wissenschaftlicher Perspektive.

Doch hier, glaub ich, hat sich jemand verhoben. Bis heute wissen wir nicht, was ein Bild ist noch was das zitternde symbolische Netzwerk der Worte ausmacht. Und dann noch Kunst. Comic war bis vor Kurzem noch etwas für Dilettanten, heute wird er an Hochschulen und Akademien gelehrt und gehört zum Feld der Pöstchenjäger. Comic und akademische Theoriebildung schließen sich heute nicht mehr aus. Das wird klar, liest man die Biografien der www.comicgesellschaft.de. Hier wächst eine neue akademisch Brut heran, die ein neues noch ungepflügtes Feld für sich entdeckt hat. Und einmal mehr wird die imperialistische Seite der Kunst, alles vereinnahmen und kolonialisieren zu wollen, sichtbar. Zeichnet eigentlich einer dieser Comic-Akademiker? Ich kenne kein Comic, der nicht etwas mit dem Leben zu tun hat, egal wie abstrakt oder schlecht er ist. Was man von den Comic-Theorietexten nicht behaupten kann. Im Sinne der oben im Text vorgestellten sich schließenden Schaltkreise vermögen kulturphilosophische und auch bildwissenschaftliche Texte zu begeistern. Ich liebe den transcript Verlag, der monatlich die Lebenszeitprodukte von avancierten Akademikern ausstößt. Es gibt kaum erotischere Menschen, als jene, die gerade ihre Dis. schreiben. Dann sind sie nicht ganz von dieser Welt, zu blöd, um an unserem alltäglichen Leben teilzunehmen und doch hypersensibilisiert für alles, dann sind sie einfach be- und schützenswert. 

Christoph Bannat

 

Alexander Press: Die Bilder des Comics, transcript Verlag 2018

Cohen+Dobernigg Buchhandel

amazon

 

 

Schauen Sie sich diese Seiten an, sollten Sie sich für Comicsprache und -theorie interessieren:

 

http://www.comicforschung.de – bewundernswert nerdig historisch orientiert

http://deutscher-comicverein.de – praktisch pragmatisch zielorientiert

https://www.comicgesellschaft.de – theoretisch akademisch