28. August 2018

Armin Chodzinski – Eismeer und Nebelwanderer

(Eröffnungsrede, Nora Sdun, Ahrensburg 2018)

Zuerst eine kurze Auflistung, wie viele Personen nötig waren, um diese Ausstellung zu realisieren. 

Die graue Vorzeit, also Mütter, Großväter und Ähnliches lass ich weg, auch Lehrer und Kommilitonen, nein, ich nenne nur das Personal, welches unmittelbar am Entstehen dieser Ausstellung beteiligt war.

Also: zwei Musiker, Nis Kötting und Gerd Bauder, zur Begleitung und dramatischen Abmischung des Hörstücks, welches für diese Ausstellung entstand.

Zwei Schauspielerinnen, Ruth Marie Kröger und Iris Minnich, sowie ein Schauspieler, Andreas Grötzinger, alle drei teilen sich diverse Sprecherrollen im schon erwähnten Hörstück.

Eine Künstlerin, Sarah Hablützel, die für alles wichtig ist, deren mild gesprochenes »Ja« ein kategorisches »Nein« ist, denn sie ist Schweizerin.

Ein weiterer Künstler, Sebastian Reuss, auch ehemaliger Galerist von Armin Chodzinski und allein deswegen besorgt um ein exzellentes Auftreten besonders dieser Kunst, also dafür da, um Struktur in den »Pracharst« zu legen.

Sowie natürlich Armin Chodzinski höchstselbst, als Impressario seiner eigenen Arbeit. Und in dieser Liste sind nun noch nicht mal die Leute vom Marstall, die Helfer, die Korrekturleserin des Katalogs und die Grafiker und wer noch alles aufgeführt.

Ausstellungen macht man nicht allein; und solche Ausstellungen wie diese schon gar nicht.

Um einige der gedanklichen Unterströmungen dieser Ausstellung zu benennen, kommen jetzt ein paar quergegrillte Snapshots.

Man hat es in dieser Ausstellung mit folgenden Komponenten zu tun: Pathos, Erkenntnisverlangen, Aufrührerisches ... Didaxe, Analyse.

Dazu Vasen, Erde, Fahnen, Nebel, Romantik. Aus den aufgeschütteten Haufen Muttererde dunstet uns ein schweres Pathos an. Und es gibt eine Art Frontalunterrichtssituation, oder ist es gar das Setting für einen Gottesdienst?

Es ist zusätzlich zum großen Pathos, aber doch eine sehr kleinteilige Buntheit der Eindrücke (übrigens einer der schlimmsten Vorwürfe, die man einem Maler machen kann – »Buntheit«. Sagen Sie nie, das ein Bild schön bunt ist – nie!), aber Armin Chodzinski ist ja kein Maler, also ist das auch kein Vorwurf, er selber hat die Ausstellung als »begehbares Hörbuch« charakterisiert, das trifft die Sache ganz gut. Überall britzelt es und die einzelnen Komponenten neigen dazu durcheinanderzuquasseln. Je nachdem, wohin man sich wendet, drängen sich einzelne Bestandteile vor. 

Fangen wir mit diesem Haufen an: Das Eismeer von Capar David Friedrich ist als Motiv vielfach wiederverwendet worden – im Grunde lässt sich in jedem Sperrmüllcontainer ein solches Eismeer finden – es bedient hier, wie immer, das Bild der verlorenen Hoffnung, oder wenn nicht »verloren«, so doch arg verkeilt. 

Stellen Sie sich diese Holzpanelenlandschaft als in die Tafelmalerei verschobene, abstrahierte Flipcharts vor.

Flipcharts sind die mobilen Außenposten oder schreibe ich besser Wegweiser – jedenfalls die übertypischen Utensilien von Beratern, Spezialisten und Coaches – von der Form irgendwo zwischen Wäschespinne, Galgen oder Guillotine – und darum geht es bei Beratungen ja auch meist: Entweder die noch arg feuchten Gedankenfetzen zum Trocknen, Lüften und Sortieren aufhängen, oder gleich zielstrebig zur Zernichtung, Enthauptung, was auch immer.

Hoffnung besteht, solange die Beratung läuft. Die verlorene Hoffnung ist hier vermutlich nicht die eine oder andere zerschollene Geschäftsidee, sondern eher das verlorene Zutrauen des Beraters in seine eigene Tätigkeit und Zunft. Damit ist hier also das klassische Motiv des einsamen, zweifelnden, nach Möglichkeit noch von Nebelschwaden umwölkten Künstlers eingeführt.

Natürlich sind Künstler »Berater«.

In der Bewunderung der wirr knickenden Linien dieser Sperrholzlandschaft kann man dann auch gleich die durcheinanderstürzenden Aktienkurse erkennen, mitsamt der, aufgrund ihrer vorgeblichen Objektivität, immer verdächtigen Kreis- und Tortendiagramme, die auch überall sonst hier an den Wänden hängen.

Ich gebe eine Meditationsaufgabe: Entwickelt sich der Aktienindex notwendig in Form des Jakobshorns, das ist ein Berg oberhalb von Davos, und hätten wir dann schon immer gewusst haben müssen, dass diese Entwicklung nur so hat kommen können, weil der Berg uns dieses seit Jahrtausenden eben genauso anzeigt? 

Oder müssen wir dringend mal wieder zur Kur nach Davos? Weil wir offensichtlich eine Schraube locker haben und uns Erholung sehr zuträglich wäre?

Solche Doppelhelixfiguren, also miteinander verbundene, aber einander widerstreitende Denk- und Bildkonstruktionen gibt es einige in dieser Halle.

Ich gebe noch zwei weitere Beispiele, eins zu den Vasen, eins zu den Fahnen. Die Vasen in den Fensternischen sind von ausgesuchter Scheußlichkeit. Es geht hier aber nicht darum, sich über Menschen, die solche Vasen vielleicht schätzen, zu überheben oder lustig zu machen. Sondern es geht darum, die Dringlichkeit der Mitteilung, die im Design dieser Gefäße liegt, ernst zu nehmen.

Gerade das Unharmonische, Zuviel, zu Groß, zu Klein, zu Glitzernd, zu Verschiedene der Objekte verrät etwas über unser wildes Wünschen: Das Leben soll groß sein und glänzen, schlank und elegant, würdevoll, witzig, nobel und wild, geheimnisvoll, dunkel, tiefgründig und ruhig ... das alles soll es sein – das ist es auch manchmal, aber bestimmt nicht zur gleichen Zeit.

Künstler verzweifeln – mit Recht – regelmäßig daran, dass man nicht alles auf ein Bild malen kann, weil sich bestimmte Komplexitäten eben nicht gemeinsam abbilden lassen, da man – trotz der Erfindung des Kubismus – eine Sache nicht von vorne und gleichzeitig von hinten zeigen kann, noch nicht mal bei einer Skulptur.

Diese Vasen versuchen das aber trotzdem, sie wollen schrill und nobel zugleich erscheinen, weshalb man über sie lachen kann, aber auch weinen, weil sie ein starkes Wollen haben, womöglich wider besseres Wissen, Komponenten zu verbinden, die sich nicht verbinden lassen. Es ist die affenartige Liebe, das unreflektiert Gläubige, die fehlende Distanz, die einen bei diesen Vasen stutzen lässt.

Und natürlich sind Künstler eifersüchtig auf solche Erscheinungsformen. Denn nichts anderes wollen sie selbst erzeugen, ihnen steht aber dauernd die Reflexion, die Könnerschaft, die ästhetische Bildung und der eignen Dünkel im Weg. So kommt es, dass Armin Chodzinski hässliche Vasen ausstellt – ein bisschen Didaxe, ein bisschen Neid, womöglich spielt sogar eine Art Abwehrzauber hinein, in der Art, dass man sich mit solchen Objekten von der eigenen Hoffärtigkeit kurieren kann.

Zum Schluss zu den Fahnen: Auch hier wieder eine Doppelfigur. Man denkt an Großdemonstrationen, fahnenschwingende Fankurven, ein berauschendes Massengefühl, Teilhabe, eine kämpferische Lust zu zeigen, was man meint, gut findet, für richtig und wichtig hält, nein, nicht nur hält – sondern durchdrungen ist vom »nur so sein können«.

Andererseits sind genau diese Fahnen eben merkwürdig eigenbrötlerische, selbst gebastelte Gebilde, ohne klar verstehbare Information – keine Sportabzeichen, keine Länderfarben, es sind seltsam gemusterte Stoffcoupons, die zu unversöhnlichen Kombinationen zusammengefügt sind.

Ich würde es nicht wagen, mit einer solchen Fahne zu einem Fußballspiel zu pilgern. Denn sie würde das Gruppenerlebnis zuverlässig verhindern, womöglich sogar Strafaktionen, Maulschellen oder Beschimpfungen verursachen.

Dafür sind die Fahnen auch gar nicht gemacht, und Armin hatte nie vor, mit so einer Fahne zum HSV zu gehen. Die Fahnen zeigen eine »Berührungsangst«, sowohl in physischer als auch intellektueller Hinsicht: Das Dabei-sein-Wollen und -Müssen, aber auch Nicht-abei-sein-Können. Das Bedürfnis nach klarer Abgrenzung sowie die Sehnsucht nach unproblematischer Teilhabe.

»Nichts fürchtet der Mensch mehr«, beginnt Elias Canetti seine Studie über Masse und Macht, »als die Berührung durch Unbekanntes.« Deshalb hält der Mensch sich im Allgemeinen von anderen fern: »Alle Abstände, die die Menschen um sich geschaffen haben, sind von dieser Berührungsfurcht diktiert.« Die Masse ist nun der einzige Weg, von dieser Furcht befreit zu werden und Nähe zuzulassen: »Es ist die Masse allein, in der der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann. Sie ist die einzige Situation, in der diese Furcht in ihr Gegenteil umschlägt. Es ist die dichte Masse, die man dazu braucht, in der Körper an Körper drängt, dicht auch in ihrer seelischen Verfassung, nämlich so, daß man nicht darauf achtet, wer es ist, der einen ›bedrängt‹. Sobald man sich der Masse einmal überlassen hat, fürchtet man ihre Berührung nicht. In ihrem idealen Falle sind sich alle gleich.«Gezeigt als selbst genähte Fahne in einem Ausstellungsraum, ist das beschriebene Gefühl aber unmöglich herzustellen. Und um solche Paradoxien geht es hier dauernd, es gibt noch viele weitere Komponenten solcher sich einsam abkapselnder Großgruppen-Emotionen, die aufgrund ihrer Verschrobenheit durchaus zum Lachen reizen können.Ich schließe mit einem Gedicht von Robert Walser, welches eben diese Zwickmühle auch thematisiert.

Aufrichtigkeit ist banal,
Und keiner wird von Wahrheiten satt.
Ich ändere an der Welt nichts, wenn ich vom Ändern rede.
Ich soll darum erfreulich sprechen, unterhaltend sein
und liebreich
und nachts müd
und am Morgen heiter,
unglücklich und glücklich
die Last des Lebens, die goldene auf mich nehmen
und abschütteln,
mich ergeben
und mich wehren,
hin
und hersehen
und
so viel wie möglich sein.

(Robert Walser)