18. Juni 2018

Elegie

 

Harter Stoff, sehr harter Stoff ist Mary Jo Bangs, man kann heute wohl sagen, Klassiker der zeitgenössischen amerikanischen Lyrik, Elegy, von 2007 im Original. Ursprünglich bei Luxbooks vorgesehen, ist der Band nun beim renommierten Göttinger Wallstein Verlag aufgelegt worden. In der Übersetzung von Uda Strätling und Matthias Göritz. Die leicht konservative, originale Aufmachung des Bands, der erfreulicherweise zweisprachig vorliegt, täuscht: Mary Jo Bang ist an keiner Stelle konservativ, „angenehm“ oder ungefährlich. Im Gegenteil, ihre Gedichte strahlen eine eloquente Keifigkeit aus. Sehr eigensinnig und stets bemüht, Grammatik bis zur Unkenntlichkeit zu zerschmelzen. 

In Elegiejedoch geschieht etwas, das der bis dahin schon sehr erfolgreichen Lyrikerin fast zum Verhängnis wird. Die Kaskade ist konkret. All das, was da steht, stimmt. Wenn man so will. Elegieist Trauerarbeit. Und zwar über Bangs kurz zuvor umgekommenen Sohn. Die Umstände des Todes lassen sich im Zusammenhang der Dichtung erahnen, die nicht abreißenden Gefühle, die in Wiederholungen und Variationen zu Gedichten werden. Und an der Schwelle stehen. Denn die Gedichte sind mithin nicht mehr mehrdeutig, sie sind sämtlich mit dem Deckel der Realität oder der Gewissheit versehen. Das ist es, was den Band so schwierig macht. Als Leser gibt es kein Entkommen, die und die Zeile kann nichts anderes bedeuten, auch wenn es vielleicht so aussieht. Mary Jo Bang hat den Mut, etwas zu schaffen, das eigentlich zu privat ist, um Lyrik im herkömmlichen Sinn zu sein – gesetzt, dass Lyrik per se nicht auf längere Strecken eindeutig sein kann. Man könnte auch von einem „Sachbuch“, einem Erlebnisbericht sprechen. Und wäre Mary Jo Bang nicht eine so phänomenale Ästhetin und Komponistin in Sachen Umbruch, Sprache und Wortschatz, man wäre sich eigentlich sicher, hier liege ein Barthes’sches Tagebuch der Trauer o. Ä. vor. Dies also ist der Grat, auf dem man bei Elegiewandelt: Lyrik, hochkomplex und zugleich von der Intensität eines simplen „Nein!“. Gewiss ein erstaunliches, wagnisvolles und zugleich „verständliches“ Buch einer Sprachkünstlerin allerersten Rangs. Die Übersetzung hat definitiv sehr gute Stellen, die findungsreich der verschlungenen Sprachmystik des Originals folgen und kluge Spiegelungen finden, andererseits aber bei scheinbar einfachsten Nuancen den dennoch leicht distanzierten Ton von Mary Jo Bang nicht treffen, zugunsten einer versimpelten Überstülpung im genannten Tenor einer unbedingten „Trauerarbeit“.

So ist der Band mittels beider Versionen, deutsch und englisch, zu lesen und die Näherung, auch durch das Nachwort gefüttert, eine schwierige. Darf man das lesen? Mary Jo Bang will es so, und ihre Wege, seien sie intim oder versponnen, nehmen die Leser mit auf eine selten dagewesene Reise durch „realistische Lyrik“. Ein Brocken.

 

Jonis Hartmann

 

Mary Jo Bang: Elegie, Wallstein, Göttingen 2018

 

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