10. Juni 2018

Deutscher Pillepalle-Pop

Egg 3316, 2006, Öl auf Nessel, 55 x 145 cm
F-Park (Bunter Hund), 2012, Öl auf Nessel, 210 x 151 cm
domol, 2016, Öl auf Nessel, 170 x 150 cm
A&O (2), 2008/09, Öl auf Nessel, 170 x 240 cm
H.O.R.B., 2007/12, Öl auf Nessel, 214 x 280,5 cm
C.A.D., 2014, Öl auf Nessel, 170 x 320 cm
Ausstellungsansicht, Thomas Erben, New York

 

Wer sich heute auf die Suche nach dem Profansten macht, kommt an Pillepalle-Pop, der weltumspannenden Zeichenfamilie der Icons, Characters, Signets, Logos und Brands nicht vorbei. Denn was ist profaner, banaler und gleichzeitig alltäglicher als diese Popkultur, und womit beschäftigen sich zunehmend mehr Menschen. Dabei ist Pillepalle-Pop keine Erfindung der Jetztzeit. Seine Geschichte reicht zurück vom 19. Jahrhundert, stilisierten (Opel-)Blitz, (Mercedes-)Stern, (Bentley-)Flügel, Nike oder (Royce-Rolls-)Jaguar, bis in unser Jahrzehnt zu Super Mario und der Emoji-Familie. Pillepalle-Pop bedeutet: schnelle, nonverbale und emotionale Kundenbindung. Eigenschaften, mit denen er als Mittler der Waren- und Konsumwelt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Marcus Weber übersetzt diese Zeichenwelt, malend, klassisch Öl auf Leinwand, für uns ins Feld der Kunst und das mit einem naiv anmutendem Duktus. Damit testet er die Integrationsfähigkeit des Kunstbetriebs und belastet gleichzeitig dessen Anspruch, gesicherte Werte zu repräsentieren. Wenn der Olympiadackel Waldi von 1972 oder der Caparol-Elefant, Lidl-Tüten und Ja-Produkte in den Kunstkontext verschoben werden, wird auch deren warenhafter Charakter befragt. Marcus Weber überhöht die Pillepalle-Welt und abstrahiert gleichzeitig das echte Leben. In dieser konsequent bissigen Kombination liegt seine Stärke. Es ist jedoch nicht sein konzeptuelles Anliegen, Kunst mit möglichst Profanem zu belasten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Bei ihm liegt die Kraft in der Übersetzung. So versachlicht er das echte Leben bis zur Unkenntlichkeit und personifiziert die Pillepalle-Welt. Haftet dem menschlichem Gesicht im Allgemeinen das echte und wahre Leben an, abstrahiert er es zu Bauklotz-Ballon- und amorphen Farbschlammgvisagen, mit comichaft übertriebenen Glubschaugen und lässt sie in einem dystopisch anmutenden Setting, als unbestimmte Bedeutungsträger, auftreten. Köppe, die auf Modul-Körpern, wie aus einem Modellbausatzkasten, sitzen. Einheitsfiguren, die ihren Eames, Jacobsen, Panton (Design-Klassiker des Weltbürgertums, die zur Hochkultur gezählt werden, im Unterschied zur Pillepalle-Welt) als Persönlichkeitsnachweis durch karge Niemandslandschaften tragen. Begehrte Design-Ikonen sind bei Marcus Weber einfach nur mobiles Eigentum in ausgeräumten Endzeitlandschaften, ohne die sprichwörtlichen vier Wände, ihrer Destinktion beraubt, nutzlos. Marcus Weber malt meist in mehrteiligen Serien, sodass vielschichtige Zusammenhänge auch unter den Serien entstehen. Vielschichtig, wie die Titel der Bücher und Magazine der „Lesenden“. Bei denen man sich nie sicher ist, ob die Bücher und Magazine als Totem, Spiegel einer Wirklichkeit oder Statement zu verstehen sind. Von „Texte zur Kunst“ bis „Frieze“, von Alfred Kubins „Die andere Seite“ über Louis-Ferdinand Célines „Reise ans Ende der Nacht“ bis Jewgenij Samjatins „WIR“. So bleibt auch seine Sammlung Kreuzberger Typen, beobachtet zwischen Adalbertstaße und Görlitzer Park vieldeutig. Authentische Personen, die bei ihm jedoch wie Modellfiguren wirken. Wie gefangen in ihren uneigentlichen Lebensentwürfen, vom Flaschensammler, Rastafari, Alt-Punk oder aufgedonnerter Kopftuchträgerin mit Kinderwagen und Handy. Als wären sie folkloristische Werbeträger für ein buntes Miteinander. Bekanntlich schlägt Wirklichkeit ja jedes Klischee. Marcus Weber beobachtet aus der Distanz, von der anderen Straßenseite oder wie im Überflug, ist dabei aber immer an der Jetztzeit interessiert. Wie ein malender Ethnograf unserer Warenwelt-Gesellschaft, die er mit ironisch-analytischem Blick, ohne zu werten, festhält. So geht es ihm zum Beispiel eher um verschiedene Kopftuchmuster und -formen denn um deren gesellschaftliche Bedeutung. Dabei entstehen eine sich überlagernde Zeichen-, Verweis- und Zitatstrukturen, die einmal mehr zeigen, dass Kultur, meint stilisiertes Leben, mehr denn je zu unserer zweiten Natur geworden ist. Großformatig, in leuchtenden Farben, dystopisch gestimmt, grafisch organisiert und heiß (= nass in nass) in Szene gesetzt. Kultur als vielgestaltiger und farbenfroher Knast, in den wir uns täglich selbst einschließen, um das falsche im richtigen Leben zu führen. Um kraft der Malerei den Schmerz zu genießen, im Glauben, doch vielleicht das richtige im falschen Leben zu führen.

Christoph Bannat

Marcus Weber hat in Wort und Bild und als Kurator immer wieder auf seine persönlichen Helden George Herriman, Peter Saul, Robert Crumb, Philip Guston verwiesen. So auch in seiner Ausstellung Adalbertstraße, Krazy Kat und Artforum-Leser, 5. April – 19. Mai 2018, Galerie Erben, New York.

www.mw3000.de

 

und in der Miniretrospektive:

www.villa-merkel.de

24. Juni – 19. August 2018

Marcus Weber – KRAZY DOG MOON KAT

Eröffnung: Sonntag, 24. Juni 2018, 11 Uhr

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