5. April 2018

Building is Amateur Architecture

 

Pritzker-Preisträger Wang Shu (und sein Büro Amateur Architecture Studio) ist einer der bekanntesten chinesischen Architekturproduzenten. Lars Müller Publishers haben eine Werkmonografie parallel zur Wang-Shu-Werkausstellung im dänischen Louisiana-Museum herausgegeben. Neben Essays u.a. von Wang Shu selbst, den KuratorInnen des Museums und Architekturkritikikone Kenneth Frampton ist der Band reich bebildert mit Fotos von Iwan Baan. Die visuelle Aufmachung ist zweckdienlich, die Fotos Baans sind beeindruckend. Besonders an dessen Herangehensweise ist das Miteinbeziehen nicht nur von Umgebung, sondern speziell Menschen/Nutzern in seine Bildkompositionen. Sie zeigen die Gebäude als lebendige Entitäten in ihren Betriebsabläufen, scheuen die cleane Inszenierung und haben das Auge für die Spuren der Zeit an den mittlerweile über 20 Jahre alten Gebäuden von Wang Shu. Hiermit kommt der wesentliche Faktor in Shus Oeuvre, nämlich die Zeit, zur Geltung. Shu, der von sich selbst sagt, keinerlei explizite Herangehensweise zu haben, keine Methode, sondern sich an Orten und altchinesischen Zeichnungen, Kalligrafietechniken und Musik orientiert, absichtlich mit einem kleinen Büro arbeitet, um den Entwürfen "ihre Zeit" zu lassen, versucht, eine Verbindung zwischen zeitgemäßer Sprache und der Konservierung alter Bautechniken und vor allem Materialien zu erreichen. 

Seine Gebäude haben nicht selten einen riesigen Maßstab, ganze Stadtviertel in Hangzhou und Campus-Gebäudegruppen oder Museen von irrsinnigen Dimensionen. Für sie werden gemäß chinesischer Baurichtlinie ganze Dörfer oder Viertel dem Erdboden gleichgemacht. Im Gegenzug dazu verlangt Wang Shu, ähnlich wie sein Künstlerkollege Ai Weiwei, deren abgerissene Materialien zurück, wie jahrhundertealte Holzverbauungen, Steine, Stühle, Dachziegel etc., um sie in seine Neubauten innovativ und improvisatorisch, oft nach Willen und Dünken der Handwerker neu zu verwenden und damit zu erhalten. Die Monografie schafft es, diesen strategischen, einzigartigen Ansatz Shus herauszuarbeiten. Dessen eigenes textliches Baumanifest ist mitabgedruckt, so auch seine sehr nachdrücklichen Skizzen und Zeichnungen. Die Pläne sind grafisch zum Teil etwas milchig, transportieren aber dennoch, was sie sollen. Neben einigen inspirierenden Repros von altchinesischer Landschaftsmalerei und traditionellen Hofhäusern arbeiten Baans Fotoreportagen die interessanten, wiederkehrenden Innovationen Shus heraus: die eigenartigen Tensegrity-Dachtragwerke, die Passeggiata-Laufwege über die Dächer, sodass selbst der größte Komplex über das Dach öffentlich gequert werden kann, die z.T. groben Details der Handläufe und Béton brut-Rahmen, mit ehrwürdigen chinesischen Holzverschalungen und Fenstern verfüllt, die hereingebrochenen Öffnungen in dicken Betonwänden oder die weit geschwungenen Dächer in traditionellen Traufkurven mit dafür kontra-traditionellen, immensen Spannweiten. 

Amateur-Architecture-Gebäude sind eine kontrastreiche, unvorhersehbare Assemblage aus Materialien und Techniken, die in diesem Maßstab wohl niemand sonst auf der Welt entwirft. Der Katalog ist, neben den vorangegangen Publikationen zu Wang Shu bei demselben Verleger, nichts weniger als ein neues Standardwerk zu diesem Meister aus Fernost.

 

Jonis Hartmann

 

Wang Shu: Amateur Architecture Studio, 978-3-03778-531-7, Lars Müller Publishers, Zürich 2017

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