30. Januar 2004

Spielarten

 

Wollte man sich den Spaß erlauben, Rortys Ironiebegriff unter eine der von Friedrich Schlegel aufgestellten Arten des „Systems“ der Ironie zu fassen, läge man wohl nicht ganz daneben, würde man ihn als „groben“ begreifen. Denn Rortys Ironie funktioniert wie eine Weiche: Leute, die in den Genuss der Kontingenzerfahrung gekommen sind, die also bei allem, was sie tun und denken, immer mindestens zwei Beobachter mit sich schleppen, die sie meist gleich selber sind, nennt Rorty Ironiker; Leute, die immer noch an die schlichte alte Wahrheit glauben, heißen bei ihm Metaphysiker. Und das sind ja ganz subtile Wesen, die da Unterschiede sehen, vor denen Ironiker panisch zurückweichen.

Grob sind Ironiker also insofern, als sie nicht durchs Nadelöhr der Wahrheit passen. Sie haben immer noch etwas einzuwenden und wollen einem ihr ganzes Gepäck vor die Füße werfen, auf dass man ebenso wie sie ins Straucheln komme. Dagegen ist die Wahrheit ganz einfach, aber leider, und da muss man den Ironikern Recht geben, werden einem davon pro Tag mindestens zehn vor den Kopf geknallt. Wie aber überwindet der Ironiker die Grobmotorik seiner potenziellen Handlungsunfähigkeit, um am Ende doch auch „unerschrocken“ für etwas einzustehen, für das zu kämpfen sich lohnt? Wenn weder die Dinge da draußen noch die innere Stimme etwas sind, mit denen übereingestimmt oder auf die unbesehen gehört werden kann, fällt es schwer, sich etwas vorzustellen, auf das der Ironiker sich verlassen kann.

Das Sympathische an den Pragmatikern ist, dass sie sich nicht scheuen, sich alte Hüte aufzusetzen. Denn oft passen sie ja ganz trefflich, und noch nie hat man verlangt, Hüte begründen zu müssen. Die Feder, die diesen Hut schmückt, ist der Schmerz, den man scheut und die Demütigung, die man vermeidet. Man sieht, in moralischen Dingen sieht am Ende alles ziemlich gleich aus, egal, welche Götter oder Argumente man bemüht hat. Dieses Verbot, das sich nach Rorty nicht weiter begründen lässt, bereitet den Boden für Solidarität, für die der Ironiker charakterlich zwar schlecht vorbereitet ist, ohne die er aber noch nicht einmal ironisch sein könnte. Ironie ist also ein Erkennungszeichen reicher westlicher Länder, wo viele Leute viel Zeit haben, viele Romane zu lesen, um einerseits ihre Privatironie zu entgröbern, andererseits sich auf den neuesten Stand der Solidarisierungsmöglichkeit zu bringen. Denn Romane sensibilisieren nach Rorty für das Leid der Welt, auf dass es immer weniger wird, bis die ganze Welt ironisch geworden ist, und man dann auch keine Literatur mehr braucht.

Richard Rorty hat anlässlich des 11. September 2001 unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass man mit den Feinden des Liberalismus, die weder Ironie noch Kontingenz kennen, nicht solidarisch sein kann. Da aber dem Liberalismus eine gewisse Ausweitungstendenz innewohnt (das liegt wie gesagt am Romanlesen und der Schmerzerfahrungsakkumulierung), erträgt es der liberale Mensch nicht, dass es Staaten und Staatsmänner gibt, die sich dem Solidarisierungsansinnen entziehen, und so muss er gewissermaßen in den Feind hineingehen und ihn von außen oder innen aufmischen (Krieg), um die Solidaritätsspirale so weit zu drehen, bis sie schließlich ganz in sich zusammenfallen kann. Dann ist diese Spielart der Ironie am Ende ihrer selbst angekommen, und man kann zu feineren Komponenten übergehen. Wie wäre es zum Beispiel mit der „redlichen Ironie“?

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt 1989</typohead>