30. Dezember 2017

Mia

 

Gelangweilt saß sie vor ihrer bereits abgestandenen Apfelsaftschorle, die ihr diese Polenschlampe vor etwa einer Stunde falsch lächelnd serviert hatte. Sie schaute auf ihr Smartphone. Boah, noch fast ’ne halbe Stunde, bis das Scheißspiel vorbei ist. Sie hasste Fußball, sie hasste diese Kneipe und vor allem hasste sie es, hierherkommen zu müssen. Aber Jeremys Bruder spielte bei den Ersten Herren. Genau wie ihr Onkel, der kickte allerdings bei den alten Säcken. Und für beide waren es heute anscheinend wichtige Punktspiele, wenn sie Jeremy richtig verstanden hatte, aber so wirklich hatte sie ihm nicht zugehört. Jedenfalls interessierte Mia dieser ganze Kram einen Scheiß. Genau wie dieses Vereinsheim, und genau wie diese ganze verdammte Stadt. Hier ist alles so tierisch langweilig. Sie nippte lustlos an ihrer Schorle.

Was glotzt diese Polackin so dumm zu mir rüber. Ja, Alte, schmeckt scheiße das Zeug, was du mir hier gebracht hast, also glotz nicht so blöd, sonst mach ich dich kaputt, dachte sie aufgestachelt, wandte ihren Blick demonstrativ von der Theke ab und schaute zu dem großen Tisch, an dem diese verblödeten alten Männer Karten spielten und einen Kurzen nach dem anderen wegzogen. Gott, ich hasse diese Stadt! Mia musterte ihr Getränk. Hoffentlich hat die Hure da nicht reingerotzt. Aber einen süßen Freund hatte sie, das musste man ihr lassen. Der war sogar einer von hier. Wieso gab der sich überhaupt mit einer Polin ab? Wahrscheinlich wegen der Titten, musste sich Mia neidisch eingestehen, die um einiges größer waren als ihre. Männer, dachte sie angewidert, kaum sehen se ein paar Möpse und einen einigermaßen brauchbaren Arsch, da nehmen die sogar ’ne Ausländerin – eklig. Innerlich spuckte sie aus.

Wie auf Stichwort kam Jeremy herein und stürmte sofort zur Theke.

„Hast ma vier Hansa?“, fragte er die Polin, die ihm kühl vier Flaschen vor die Nase stellte.

„Acht Euro achtzig“, sagte sie mit leichtem Akzent, der Mia noch wütender machte, weil er kaum noch wahrnehmbar war. Im Gegensatz zu dem ihrer Polenmutter, die hier meistens hinter der Theke stand und redete wie eine Behinderte. Vielleicht machte es sie aber auch wütend, dass diese Polenhure anscheinend nicht mal das geringste Interesse an ihrem Freund zu haben schien. Sie nahm ihn gar nicht wahr. Zugegeben, er war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als sie, aber er sah immerhin relativ gut aus und war gut gebaut, auch unten rum. Was Mia aber fast zum Ausrasten brachte, war, dass Jeremy diese Ost-Frau auch noch angeierte.

„Was glotzt du die Schlampe so an?“, zischte sie und rammte ihm den Ellenbogen in die Seite. Sichtlich eingeschüchtert fuhr er zusammen.

„Ich mach doch nichts“, verteidigte er sich unbeholfen.

Außerdem ärgerte Mia, dass sie meinte, bemerkt zu haben, dass diese Schlampe von Polin es doch tatsächlich gewagt hatte, heimlich in sich reinzulächeln und dann kurz darauf, als wäre nichts gewesen, im hinteren Teil des Vereinsheims zu verschwinden.

„Willst lieber ’ne Polackin poppen“, fuhr sie ihn an. Ein paar rote Köpfe von den Kartenspielern blickten kurz auf, vertieften sich aber sofort wieder in ihr Spiel.

„Was?! Nein, ich hab doch nur …“

„Was hast du?“

„Ich hab …“

„Halt bloß die Fresse!“

Er hielt sie augenblicklich und stand weiter unbeholfen mit den vier Flaschen Hansa Export in den Händen da.

„Ich will nach Hause!“

„A-aber die sind noch mitten in der zweiten Halbzeit …“

„Das ist mir so was von egal … Für wen ist der ganze Stoff, oder willst du das alles selbst saufen?“

„’N paar von meinen Bros sind unten.“ 

Sie verdrehte die Augen, rutschte vom Hocker und marschierte zum Ausgang. Er folgte ihr unsicher. Draußen musste er sich schnell von seinen Kumpels verabschieden, um Mia nicht komplett zu verärgern – ums Bier tat’s ihm leid. Er hatte gerade noch mitbekommen, dass sowohl die Ersten als auch die Alten Herren deutlich zurücklagen und wohl wiedermal Niederlagen nach Hause bringen würden.

 

Sie schlenderten über die weiter hinten liegenden Fußballfelder. Hier war kein Mensch. Verhaltener Torjubel dröhnte zu ihnen herüber.

„Sie haben einen reingeballert!“, ereiferte sich Jeremy aufgeregt. Doch Mia wusste, dass der Torjubel deutlich heftiger ausgefallen wäre, wenn die Heimmannschaft das Tor geschossen hätte, hatte aber keine Lust, ihren etwas beschränkten Freund darüber aufzuklären. Sollte er ruhig daran glauben.

„Ja, möglich“, sagte sie trocken, „wen interessiert’s.“

Jeremy trat beim Gehen jetzt näher an sie heran, umarmte ihre Taille und ließ seine Hand an ihrem Hintern heruntergleiten.

„Was wird das jetzt?“, fragte sie schroff, ließ es aber geschehen.

Doch er sagte nichts. Reden war ja auch nicht gerade seine Stärke. Seine Hand wanderte unter ihre Trainingshose und knetete ihren nackten Po. Mia blieb stehen und blickte ihn herausfordernd an.

„Was wird das jetzt, hab ich gefragt.“ Doch sie sah, dass Jeremy bereits im Fickmodus war. Sein Blick war noch stumpfer als sonst, und irgendwie machte sie das scharf.

„Du geile Sau“, sagte sie, schmiegte sich an ihn ran, spürte die mächtige Beule in seiner Trainingshose und griff danach. Jeremy keuchte einmal auf und presste sich noch enger an sie.

„Hat dich die Polackin da drin eben geil gemacht, oder was?!“, bemerkte Mia, war aber schon weniger sauer auf ihn, weil langsam auch sie Lust hatte zu vögeln. Sie schaute sich kurz um. Kein Mensch weit und breit. Und wenn schon, auch scheißegal, dachte sie. Sie standen mitten auf einem der hinteren Fußballfelder. Sie ging in die Hocke, zog seine Hose runter und nahm sein Teil in den Mund. Jeremy stöhnte, sie musste aufpassen, sonst verschoss er die ganze Ladung und für sie wäre nichts mehr übrig. Sie erhob sich wieder, zog flink die Hose aus, nahm sein Ding und steckte es sich rein. Eine Minute darauf donnerte erneut Torjubel zu ihnen herüber. Diesmal war er deutlich lauter. Doch Jeremy bekam davon nichts mit, da er sich in dem Moment gerade in ihr entleerte und sofort darauf von ihr abließ. Wortlos zogen sich beide ihre Hosen wieder an und gingen weiter. Eine Möwe kreischte über ihnen. Ich hasse diese Stadt, dachte sie, ich will hier weg. Irgendwann muss ich hier weg. Sie spürte die Feuchtigkeit in ihrem Slip.

„Hast ’n Taschentuch?“

Natürlich hatte er keins. Egal, wird auch so trocknen. Zwanzig Minuten später waren sie zu Hause, in ihrer schäbigen kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Rostock-Lichtenhagen.

 

Ihr Onkel kam vorbei – unangemeldet wie immer. Manchmal brachte er Stoff mit, heute nicht.

„Na, Kleines.“

„Nenn mich nicht Kleines!“

„Hey, nicht so empfindlich.“

Er griff recht grob nach ihrem Kinn. Sie schüttelte ihn ab.

„Was willst du?“

Ihr Onkel warf sich auf die Couch, direkt neben Jeremy, der jedes Mal eingeschüchtert wirkte und es auch war, wenn Mias Onkel zu Besuch kam.

„Warum seid ihr Samstag so früh abgehauen?“

„Ich hasse euren Fußballscheiß, weißt du doch“, antwortete Mia und machte sich eine Zigarette an.

„Wir haben’s am Ende fast noch rumgerissen.“

„Fast heißt gar nichts“, antwortete Mia provozierend.

„Aber dieser Kanaken-Schiri hat gegen uns gepfiffen“, ignorierte er ihre spitze Bemerkung, „dem ham wa nach’m Spiel erst mal ’n paar in seine Türkenfresse gegeben“, fuhr er fort. „Der wird in nächster Zeit kein Spiel mehr pfeifen.“ Er lachte dreckig.

Jeremy versuchte, sich hinter seinem Joystick zu verstecken.

„Na, Alter, was spielst da?“

„Battlefield vier“, antwortete Jeremy tonlos.

„Gib ma!“

Ohne zu zögern überreichte er Mias Onkel den Joystick.

„Welches Level?“

„Drei“, antwortete Jeremy nervös.

„Drei!“, bellte Mias Onkel abschätzig, „ich hab das Teil schon ’n paar Mal voll durchgespielt!“

„Echt? Cool“, kam es nur ganz dünn aus Jeremy heraus.

Mia betrachtete ihren Onkel, während der in das Spiel vertieft war. Er war noch verhältnismäßig jung, so um die Mitte, Ende zwanzig. Sie erinnerte sich. Damals, vor etwa drei Jahren, als sie gerade in die Pubertät gekommen war, hatte sie den Bruder ihrer Mutter voll sexy gefunden, gut gebaut, markantes Kinn, jetzt aber fand sie ihn irgendwie abstoßend, obwohl sein Body immer noch ganz gut in Schuss war. Aber eine aufgedunsene Fresse hatte er bekommen, kam wohl vom vielen Saufen. Auch erinnerte sie sich, wie er sie damals einmal in ihrem Zimmer geknallt hatte, als ihre Mutter mit der Kleinen und ihrem Stiefvater in Warnemünde gewesen war. Sie hatte es ein Stück weit provoziert, hatte aber nicht geglaubt, dass er es wirklich tun würde. Es tat ihr ziemlich weh, sie war zwar keine Jungfrau mehr, aber dennoch war er nicht gerade zimperlich mit ihr umgegangen. Aber er war ja auch ziemlich besoffen gewesen. Es wunderte sie sowieso, wie er überhaupt noch einen hoch kriegen konnte. Aber irgendwie hatte er es zustande gebracht. Danach hatten beide darüber nie wieder ein Wort verloren, und das war ihr auch ganz recht so. Wiederholen wollte sie es schon damals nicht. Egal, ist ja auch schon ewig her. Dennoch fühlte Mia sich heute leicht gereizt – wie so oft – und in provozierender Laune – wie so oft. 

„Ey, Lutz!“

„Was?!“, ranzte er sie an, mittlerweile extrem in das Ballerspiel vertieft.

„Ich brauch Kohle.“

„Häh?“

„Ich brauch Kohle!“

„Ja und?“

„Kannst mir was geben?“

„Vergiss es, du hast doch deinen Freund hier“, schmetterte er und schlug Jeremy mit der joystickfreien Hand freundschaftlich, aber ziemlich hart gegen die Brust. Dieser musste ein Aufstöhnen unterdrücken.

Mia wurde wütend. Weil sie im Grunde genau wusste, dass ihr Onkel recht hatte. Aber ihre Flasche von Freund verdiente ja kaum etwas.

„Also, gibst du mir nichts, oder was?“, fragte sie noch einmal.

„Ne, Mädchen, ganz sicher nicht.“

„Du schuldest mir aber was“, sagte sie jetzt und wusste selber nicht warum.

Ihr Onkel drückte auf Pause, ließ den Joystick auf die Couch fallen und sah sie scharf an. Jeremy versuchte sich so klein zu machen, wie es ihm nur möglich war.

„Was schulde ich dir?“, fragte er hart, stand auf und trat auf sie zu.

„Weiß nicht“, sagte sie frech.

Er betrachtete sie eiskalt.

„Was schulde ich dir?“, wiederholte er noch einmal.

„Weiß nich, vielleicht was wegen früher?“

Mia war dabei den stillschweigenden Vorsatz zu brechen, auch wenn sie nur Andeutungen machte. Sein Blick wurde etwas irre, sein rechtes Auge zuckte. Sie spürte, sie sollte es lieber gut sein lassen.

„Treib’s nicht zu weit, Kleine“, zischte er todernst, aber auch nervös werdend. Sie bemerkte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Ihr Onkel stand unter höchster Anspannung. Er war jetzt ähnlich drauf, wie kurz bevor er und seine Jungs ein paar Kanaken oder Russen aufmischen gingen. Mia wurde jetzt doch ein wenig unsicher, aber versuchte es wegzulachen.

„Schon gut, war nur Spaß, Alter! Ich wollt mir ja bloß ’n paar Euro leihen.“

Er stierte sie weiterhin an. Dann griff er in die Hosentasche seiner Trainingshose, holte einen Zehner heraus und drückte ihn ihr so grob in die Hand, dass es wehtat. Doch sie gab sich keine Blöße, unterdrückte den Schmerz und hielt seinem Blick stand. Musste sie auch, ansonsten hätte sie sich vielleicht eine einfangen können.

 

Zehn Euro! Dieser geizige Penner, dachte sie, als ihr Onkel wieder gegangen war.

Jeremy war wieder entspannt und ballerte auf den Bildschirm ein.

„Hab Hunger“, grunzte er.

„Und?“

„Ham wa was da?“

„Hast was eingekauft?“

„Nä! Lass doch Pizza holen.“

Mia schaute auf den leicht zerknüllten Zehner in ihrer Hand, zerknüllte ihn noch mehr und warf ihn zu Jeremy auf die Couch.

„Hier, kannst haben, ich hab keinen Hunger.“

In diesem Moment wusste sie, dass sie mit Jeremy keine Zukunft haben würde, jedenfalls keine, wie sie sie sich vorstellte, wenn diese Vorstellung auch sehr vage war.

 

                                                                ***

 

Sie knallte die Klassentür hinter sich zu. Zum Direktor! Fuck drauf, der labert doch auch wieder nur Müll, dieser fette Sack. Sie musste eine rauchen. Auf schnellstem Weg verließ sie das Schulgebäude. Sie wusste bereits, dass sie hier nie wieder herkommen würde. Das war’s. Sie hätte schon viel früher abhauen sollen. Nur langweiliges Zeugs gab’s hier, hatte doch nichts mit dem Leben zu tun, mit dem echten Leben. Und diese ganzen Opfer und Schlappschwanztypen da drinnen. Sie schüttelte sich und trat im Flur gegen einen Mülleimer, der laut donnernd umfiel.

„Hey!“, rief jemand hinter ihr. Sie drehte sich um. Der Hausmeister. Auch so ’n Vollspacken, dachte sie, und zündete sich eine Zigarette an.

„Hey“, rief der Hausmeister nochmals hinter ihr her.

„Fick dich, Mann!“, erwiderte sie und stieß die Haupteingangstür auf. Endlich draußen. Endlich raus aus diesem Opferhaus. Endlich frei. Sie lief an den brav in der Reihe stehenden Fahrrädern vorbei, trat gegen eins und sah zufrieden zu, wie daraufhin zehn weitere wie Dominosteine umfielen. Der Hausmeister kam aus dem Gebäude. Sie machte, dass sie wegkam. Mia griff sich ihr Smartphone und rief ihre Freundin an. Fuck!, dachte sie, die Bitch hat ja noch Schule. Sie schlenderte in die Innenstadt und wartete, bis ihre Freundin Schluss hatte. Lange konnte es ja nicht mehr dauern, es war ja schon fast eins. Es lockerte auf. Zufrieden hielt sie ihr Gesicht in die Sonne. Ihr Smartphone summte.

„Ey, was geht, Bitch?“

„Nichts, wie immer. Gehen wir shoppen?“

„Hab noch ’ne Stunde Chemie. Bin grad auf’m Klo eine rauchen.“

„Fuck Chemie. Ich hab auch Chemie, ’n paar Pillen von Jeremys kranken Kumpels. Hauen ganz gut rein.“

„Okay, Bitch, dann schwänz ich die letzte Stunde, hab eh kein Bock mehr.“

„Das wollt ich hören, Bitch.“

„Wo bist du?“

„Stadt.“       

„Treffen wie uns vorm New Yorker?“

„Yo.“

„Okay, bis gleich.“

„Yo, Bitch, bis gleich.“

 

Mia wartete ungeduldig vor dem H&M auf ihre Freundin. Sie hatte hier Hausverbot. Schon kam diese rausgestürmt.

„Los komm!“, rief sie und sofort rannten beide Mädchen dreckig lachend durch die Innenstadt. Mia rempelte dabei eine alte Frau an, die beinahe umfiel.

„Pass doch auf, Alte!“, ranzte sie die Frau an.

In der Nähe des Universitätsplatzes kamen sie zum Stehen.

„Und?“, fragte Mia außer Atem, „was hast?“

„Nicht viel, nur das hier“, erwiderte diese, ebenfalls außer Puste, und zeigte Mia ein knappes schwarzes Negligé.

„Und das in Rot für mich?“, fragte Mia.

„Mann, ich konnt nicht mehr rausholen. So ’n Typ glotzte schon, voll der Spacken!“ 

„Ja und, du solltest mir das Rote da rausholen, dein Scheiß hast ja auch hingekricht.“

„Ey, was zickst mich jetzt an, Bitch! Dann geh doch nächst Mal selbst rein!“

Die Freundin betrachtete zufrieden ihre Beute. Mia betrachtete ihre Freundin. Eine Falte zeigte sich zwischen ihren Augen.

„Gib’s her!“

„Häh?“

„Das Teil.“

„Was is’ damit?“

„Gib’s mir.“

„Ey, was geht ’n jetzt ab, Bitch? Das meins!“

Mia lächelte, es war diese Art von Lächeln, das eine Explosion nach sich ziehen konnte. Ihre Freundin bemerkte es, so gut kannte sie Mia, und wurde nervös.

„Ey komm, Bitch, wir holen dir nächstes Mal was, okay?“

„Gib’s mir“, wiederholte Mia stumpf.

Die beiden Mädchen blickten sich duellierend in die Augen. Ein paar Studenten schlenderten vorbei und wurden sogleich Augenzeuge, wie Mia ihrer Freundin plötzlich mit voller Wucht in den Bauch boxte – das hatte sie auch schon des Öfteren bei Jeremy getan, aber der steckte so was deutlich besser weg. Ihre Freundin krümmte sich und bekam kaum Luft. Mia griff ihr grob in die Haare und zog sie hoch.

„Gib’s mir“, wiederholte sie monoton. Das schwarze Negligé wechselte die Besitzerin.

„Alles klar bei euch!?“, mischte sich ein Student ein.

„Verpiss dich, du Opfer“, fauchte Mia ihn an. Der junge Mann machte, dass er wegkam.

„Hättest nicht das Rote klauen können?“, tadelte Mia ihre Freundin, die sich noch immer den Bauch hielt.

Wieder zu Atem gekommen, schrie diese: „Fuck you!“, raffte sich auf und ging.

Mia nahm kaum Notiz davon und betrachtete halbwegs zufrieden ihr neues Nachthemd, das sie lieber in einer anderen Farbe gehabt hätte.

„Du Fotze!“, kreischte ihre Freundin jetzt aus sicherer Entfernung. „Verreck doch bald!“ Drei Studentinnen liefen erschrocken schnell weiter.

„Ja, ja, du auch Opferbitch“, murmelte Mia angeödet vor sich hin, verstaute das Negligé in ihrer Tasche (bei Karstadt geklaut) und machte sich auf den Weg nach Hause.

Boah, ist das hier alles langweilig, dachte sie und zündete sich eine Kippe an. Ein Student wich ihr aus – musste er auch, ansonsten hätte sie ihn an- oder umgerannt.

 

                                                              ***

 

Schwanger! Fuck! Angeekelt schaute sie auf den Test und warf ihn schließlich in den versifften Mülleimer, der neben dem Klo stand. Deshalb also das Ausbleiben der Scheißregel und die Kotzerei jeden Morgen. 

Schwanger, das kann doch gar nicht sein. Sie nahm doch die Pille, zugegeben nicht immer regelmäßig, aber doch meistens. Manchmal benutzte Jeremy ja sogar ein Kondom. Jeremy? War es überhaupt von Jeremy? Sie grübelte kurz. In letzter Zeit hatte sie ihn nicht betrogen, wenn sie sich recht erinnerte. Oder? Letzten Monat im HP, wo sie so tierisch dicht gewesen war, da war doch was mit diesem Türsteher, aber den hatte sie nicht gefickt, sie hatte ihm nur einen runtergeholt, wenn sie sich nicht täuschte. Ist ja auch scheißegal, viel beknackter war, dass jemand – höchstwahrscheinlich Jeremy – sie angedickt hatte. Was für eine verkackte Scheiße! Ein Kind, was soll ich mit ’nem dummen Kind, dachte sie, soll ich so enden wie meine verfickte Opfer-Mutter. Ihr grauste. Zur Beruhigung baute sie sich erst mal eine Tüte. Mist, keine Filtertips mehr. Jeremy, dieser Penner, ich hab ihm doch gesagt, er soll immer gleich neue kaufen, wenn die Teile alle sind. Sie fand noch eine abgestempelte Fahrkarte in ihrem Portemonnaie. Glück gehabt, normalerweise fuhr sie schwarz. Sie rollte das Teil zusammen und machte sich ans Werk. Zehn Minuten später war sie schon deutlich entspannter. Es änderte allerdings nichts an ihrer beschissenen Situation. Sie wollte doch weg. Und sie brauchte Geld, immer hatten sie zu wenig Kohle, und Jeremy, dieser Idiot, kaufte, wenn sie mal ein bisschen Asche hatten, immer nur irgendwelchen Schrott. Sie wollte tausend Sachen: neue Schuhe, ein neues Smartphone, Kosmetik – wobei sie die Schminke zumeist eh bei Rossmann (ehemals Schlecker) zockte. Einmal hatte man sie fast erwischt, aber sie war schneller gewesen. Sie trat diesem Spacko von Detektiv einfach in die Eier und dann machte sie, dass sie wegkam. Kacke war nur, dass sie danach immer in die Stadt fahren musste zum Klauen. In dem Laden konnte sie sich nicht mehr blicken lassen. Der Wichser hätte sie sicher wiedererkannt. Na, auch scheißegal. Mia zog noch einmal leidenschaftlich an ihrem Joint. Jeremy kam nach Hause.      

„Wir haben keine Filtertips mehr, du Idiot“, begrüßte sie ihn sogleich.

„Was machst mich so an, Babe?“

„Nenn mich nich Babe, du Flasche.“

„Hey, was los?“

Er versuchte sie zu küssen, sie entwand sich ihm und pustete geräuschvoll den Rauch aus.

„Gib mir auch mal ’n Zug …“

„Bau dir doch selbst einen.“

Demonstrativ zerdrückte sie den letzten Rest Joint im Aschenbecher. Jeremy wurde sauer.

„Was los, Mann?!“

„Ich kann dir sagen, was los ist du Arsch, du hast mich angedickt, das ist los.“

Er verstand nicht.

„Mann, schwanger, Alter, immer noch nicht gerafft?!“

Jeremy wurde weiß.

„Schwanger“, stammelte er, „aber…“

„Oh, halt bloß das Maul!“

Sie musste scheißen. Sie stand auf und ging zum Klo. Der Joint und die Schwangerschaft schlugen ihr auf den Magen. Auf dem Klo wünschte sie sich, sie könnte den verfickten Fötus einfach rausscheißen.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, schien sich Jeremy einigermaßen gefasst zu haben.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte er dümmlich.

„Was sollen wir schon machen“, antwortete Mia sofort wieder gereizt und pflanzte sich zu ihm auf die Couch. „Du musst doch gar nichts machen, ich hab den Scheiß doch in mir drin.“ Plötzlich wurde Mia bewusst, dass viele Frauen während und manche auch nach so einer Schwangerschaft ordentlich aus dem Leim gingen. Sie wurde noch wütender. Fett zu werden, das war das Letzte, was sie noch gebrauchen konnte, denn mit ihrem Körper war sie bisher immer ganz zufrieden gewesen. Sie hatte einen geilen Arsch, gute Beine und anständige Titten, die zwar ruhig etwas größer hätten sein können, aber wenigstens hingen sie nicht. Ihre Nippel zeigten sogar ein Stück nach oben. Jeremy konnte manchmal von ihren Brüsten gar nicht genug kriegen. Es machte ihn unglaublich an, zwischen ihren Dingern zu kommen. Tja, das hätten wir mal öfter machen sollen, dann wäre ich jetzt nicht ausgestopft, dachte sie bitter und zündete sich eine Zigarette an. Jeremy näherte sich ihr vorsichtig.

„Wir schaffen das schon“, sagte er einfältig und streichelte zaghaft ihre Haare. So was machte er fast nie und es war ungewohnt für Mia. Mit Zärtlichkeiten konnte sie nur schwer umgehen.

„Lass das!“, fauchte sie, allerdings nicht ganz so ungehalten, schlug aber dennoch seine Hand weg. Er ließ es und saß darauf einfach stumpf neben ihr. Mia überlegte, ob sie Jeremy liebte. Sie liebte ihn nicht, aber sie mochte ihn, dass sollte doch reichen, oder? Im Grunde hatte sie noch nie irgendjemanden geliebt. Was soll das überhaupt sein, Liebe? Alles Bullshit. Sie blickte ihn an. Er war mit den Gedanken schon wieder ganz woanders, wahrscheinlich bei seinen bescheuerten Kumpels, bei seiner Karre, oder beim Fußball. Sie griff ihm in den Schritt. Er wirkte überrascht.

„Aber …?“

„Jetzt ist wohl auch schon egal, oder?“

„Äh …?“

„Hör auf zu denken, steht dir nicht. Los, ich hab Bock! Aber mach richtig und sei nicht so schnell fertig.“

Sie genoss es, ihren Jeremy wie einen Automaten zu behandeln, denn dieser Automat funktionierte wenigstens, wann immer sie wollte. Keine zwanzig Sekunden später war er in ihr, und er gab sich heute richtig Mühe, wenn er nur dabei nicht immer so viel grunzen würde, dachte sie. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ich brauche unbedingt ein neues Smartphone, unbedingt! Und Schuhe brauche ich auch. Aber ganz sicher brauch ich kein verkacktes Kind! Sie kratzte sich in seinen Rücken, er sollte sie gefälligst härter rannehmen, sie spürte ja kaum was. Ihr Automat parierte, ohne dass sie es einfordern musste, so weit verstanden sie sich ohne Worte. Er stieß härter, aber leider auch hektischer zu und kam nur einen Augenblick später. Ich hasse das Leben hier, dachte sie und schob ihn von sich runter. Wortlos ging er ins Badezimmer. Sie baute sich noch eine Tüte.

„Kauf ma Filtertips!“, rief sie zum Badezimmer hin. Keine Antwort. „Idiot“, dachte sie und fischte die alte Fahrkarte wieder aus dem Aschenbecher.

 

                                                                        ***

 

Sie hatte wenig Lust, aber sie musste zu ihrem Onkel. Sie wusste nicht, wo sie sonst was herkriegen sollte. Ihren Stammdealer hatten die Bullen letztens hochgenommen und Jeremy besorgte immer nur dieses dämliche Gras, das überhaupt nicht richtig reinzog und einen bloß müde machte.

Sie klingelte. Drinnen lief Nazi-Punk. Sie hasste Punk, ob von den Nazis oder von den Zecken, beides Scheiße. Die Mucke wurde leiser gedreht. Die Tür öffnete sich.

„Was willst du denn?“, wurde sie sogleich von Lutz begrüßt.

„Darf ich vielleicht erst mal reinkommen?“

„Ich hab Gäste.“

„Gäste“, zischte Mia verächtlich und schlängelte sich einfach an ihrem Onkel vorbei in die Wohnung, die tatsächlich noch unaufgeräumter war als ihre.

Wie sie sich’s gedacht hatte. Die Gäste waren bloß zwei seiner Fascho-Kumpels, die fast immer bei ihm rumhingen, stumpf auf der Couch hockten und Bier tranken. Der eine drehte die Musik sofort wieder lauter.

„Ey, mach das mal leiser, Mann, wir haben Besuch!“, grölte Lutz seinen Kumpel an, der sofort parierte und Landser runterdrehte.  

Mia stand unschlüssig im Zimmer.

„Willst ’n Bier?“, fragte Lutz.

„Ne, will nur was besprechen, geh auch gleich wieder.“

„Was besprechen? Klingt ja spannend.“

„Geht so.“

„Hast du überhaupt mitbekommen, dass letztens das Vereinsheim abgebrannt ist?“

„Nö“, sagte Mia gleichgültig.

„Der dicke alte Wirt soll den Laden einfach abgefackelt haben.“

„Richtig so. Da haben doch sowieso fast nur Polacken gewohnt.“

„Stimmt, und so zwei Polacken sind da auch gegrillt worden.“

„Diese Schlampe und ihre Mutter vielleicht?“, fragte Mia nun doch etwas neugierig geworden. Lutz blickte sie einen kurzen Moment seltsam an.

„Nä, nur so zwei Typen, kamen nicht von hier.“

„Ach so“, bemerkte Mia sofort wieder gelangweilt.

„Aber mit dem Verein ist jetzt auch Sense, wurde von Hansa übernommen.“

„Das ist mir so was von egal. Mich interessiert dieser Fußballkram einen Scheiß, wie du weißt.“

„Mich aber!“ Lutz wurde lauter.

„Ja, ist ja gut“, versuchte Mia ihren Onkel zu beschwichtigen, immerhin wollte sie ja etwas von ihm.

Eine Weile herrschte angespannte Stille. Lutz’ Kumpels tranken schweigend ihr Bier und die Fascho-Musik wummerte monoton vor sich hin.

„Können wir mal in die Küche gehen?“

Sie gingen in die Küche, die ebenfalls deutlich versiffter war als ihre.

„Du könntest mal spülen“, bemerkte sie.

„Nerv nich’ rum, Mädel, also was ist?“

Mia betrachtete ihren Onkel, heute sah er irgendwie besser aus als sonst. Seine Fresse war zwar immer noch aufgeschwemmt, aber seine blonden Haare waren auf etwa einen Zentimeter angewachsen, stand ihm besser als die Glatze.

„Also?“, fragte Lutz bereits ungeduldig werdend.

„Hast du Shit?“

„Was?“

„Ich hab kein Hasch mehr.“

„Ja und, du kriegst dein Zeug doch von Hansa-Wolli!?“

„Den haben die Bullen letztens erwischt …“

„Hansa-Wolli?! Echt? Scheiße!“

„Ja, hatte ’ne ganze Menge Zeug dabei, den sehen wir so schnell nicht wieder.“

„Fuck, der Penner war immer mein Notfallplan.“

„Tja, den kannst du dir jetzt abschminken.“

Lutz dachte nach, stand ihm nicht, genauso wenig wie ihrem Jeremy.

„Also, hast was da?“, bohrte Mia weiter.

„Klar hab ich was da, was denkst du denn.“

„Kann ich was haben? Ich brauch aber viel.“

„Viel?! Drehst du jetzt völlig ab, Mädchen? Soll dein Freund dir doch was besorgen!“

„Jeremy holt immer nur Scheiße, und meistens auch viel zu wenig“, giftete sie verärgert, „Ich will ’ne richtige Ladung, damit ich nicht immer gleich wieder losziehen muss.“

„Du bist vielleicht ’ne verwöhnte Schlampe. Ich an Jeremys Stelle hätte dir schon lange ’n paar verpasst.“

„Du bist aber nicht Jeremy!“

Mia trat jetzt näher an ihren Onkel heran, sie wusste selbst nicht warum und woher sie den Mut nahm, vielleicht war’s auch deshalb, weil ihr langsam alles scheißegal war, ihr Onkel, ihr Freund, ihre Opfer-Mutter, der verkackte Fötus in ihr sowieso, ihr ganzes verficktes Leben hier in diesem sterbenslangweiligen Rostock. Sie merkte, dass Lutz unsicher wurde. Sie brauchte einen Moment zu realisieren, dass es die Annährung war, die ihren Onkel nervös machte. Jetzt hatte sie ihn da, wo sie ihn haben wollte. Im Wohnzimmer wurde die Musik noch lauter aufgedreht.

„Ey, könnt ihr den Scheiß …“, brüllte Lutz über ihren Kopf hinweg „… äh, die Mucke mal leiser machen!“, verbesserte er sich sofort. Augenblicklich wurde die Musik wieder etwas leiser. Lutz begann schwer zu atmen. Jetzt oder nie, dachte Mia und fuhr ihm mit der Hand in die Trainingshose. Sein Teil war hart, enorm hart. Sie griff fest zu und brauchte bloß ein paar Mal zu schütteln und schon kam er. Für einen Augenblick musste er sich keuchend auf ihrer Schulter abstützen. Dann stieß er sie weg, langte nach einer benutzten Serviette, die auf einer leeren Pizzaschachtel lag, und steckte sie sich in die Hose. Er sah sie jetzt etwas irre an. Beide sagten kein Wort mehr. Im Wohnzimmer sangen Frontalkraft gerade, dass die Männer weiß seien, die für Deutschland siegen, oder so ähnlich. Mia konnte es nicht genau verstehen. Die Botschaft klang richtig, aber die Musik war trotzdem Scheiße. Lutz öffnete den Kühlschrank und holte aus dem tiefsten Winkel eine kleine in Alufolie eingewickelte Verpackung heraus. Er wickelte sie aus und eine noch kleinere Packung war darin enthalten, die er ebenfalls auspackte. Der sturmfeuerzeuggroße braune Brocken, der darauf zum Vorschein kam, wurde sofort von Lutz mit einem Küchenmesser bearbeitet. Er schnitt etwa ein Drittel davon ab, wickelte es notdürftig in ein Stück Alufolie und reichte es Mia.

„So, jetzt sind wir quitt, und komm nie wieder wegen so was hierher.“

„Geht klar“, antwortet Mia trocken. Lutz blickte sie einen Moment an, unschlüssig, ob er sie umarmen oder ihr eine reinhauen sollte. Er entschied sich für keins von beiden, und auch das war Mia ganz recht. Sie verließen die Küche.

Skinheads im Zusammenhalt – gegen euch und eure Kanakenwelt. Deutsche Frauen, deutsches Bier, Schwarz-Rot-Gold wir steh’n zu Dir“, sangen die Böhsen Onkelz. Cool, dachte Mia.

 

Sie ging nach Hause. Das war leicht gewesen. Sie konnte es kaum erwarten sich zu Hause eine anständige Tüte zu bauen. Jeremy würde sie nichts davon abgegeben, so viel war mal sicher. Dieses kleine braune Stück Entspannung hatte sie sich selbst erarbeitet.

 

Jörn Birkholz