Deutsche Bilderwelten
Sensationelle Neuigkeiten. Menschliche Schicksale und Naturkatastrophen – halten die Verteidigungsinstinkte wach.
Mord und Totschlag in Krieg und Revolution. Bilder aus aller Welt. Helden und Vorbilder – Ausnahmen deuten, was normal ist.
Propaganda und politische Satire. Gegen Zensur und Unterdrückung. Feindbilder von rechts und links – trainieren symbolisches Verhalten.
Bildung und humorvolle Unterhaltung. Über Lebensart und gesellschaftliche Umbrüche in Wimmelbildern – schaffen ironische Distanz zur Wirklichkeit.
Die Kapitelüberschriften stammen aus einem Ausstellungskatalog, die kommentierenden Einschübe von mir. Titel der Ausstellung: »Gier nach neuen Bildern«. Untertitel: »Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip«. Eine großartige Ausstellung über Bildpolitiken, zu sehen im Deutschen Historischem Museum (DHM). Gezeigt werden Bilder, Bögen, Bildzeitungen und Grafiken, beginnend im 16. Jahrhundert bis heute. Eine inspirierende Ausstellung, eine, die müde und hungrig macht. Ich meine echt hungrig und echt müde, wie üblich bei schummrig beleuchten Grafikausstellung in Museen. Diese Blätter wollen eigentlich mit nach Hause genommen, im Café gelesen oder auf dem Bett liegend studiert werde. Sie sind für eine andere Körperlichkeit gemacht, wollen mitgenommen, weggelegt, wieder aufgenommen und entfaltet werden. Sie wollen, dass man sich über sie beugt, sie weiterreicht und studiert. Im Ausstellungskontext tritt schnell jener Erschöpfungszustand ein. Was einem in dieser aufgestachelten Blätterwelt an Detailreichtums vorgeführt wird, ist nicht zu fassen. Und das fasziniert und es gruselt einen beim Zurücktreten. Im DHM werden bewusst Grafiken mit geringer Halbwertszeit, die im deutschen Alltag zirkulierten, gezeigt. Im weitesten Sinne wird hier die Entwicklung von Bildern als Handelsware gezeigt. Eine Ware, die auch rassistischen, antisemitischen und militaristischen Propagandazwecken diente. Und gerade diese Drucke machen die Ausstellung besonders spannend. Mit der Lupe, auf dem Bett, im Katalog blätternd, vergegenwärtige ich mir noch einmal die gruseligen Glanzstücke der Ausstellung: ein antisemitischer Bilderbogen von 1894. Russische Propaganda-Farblithografien von Kasimir Malewitsch und Wladimir Majakowski von 1914 und der Schwabinger (Nachkriegs-)Bilderbogen von 1945. Unheimlich subtextlastig und genau im Ton seiner Zeit, der Fix-und-Foxi-Comic von 1956, irgendwo zwischen spielerischem Militarismus und naiver Unterhaltung.
Die meisten Arbeiten stammen aus der Sammlung des DHM, die bewusst auf Volkskunst ihren Blick richtet und nicht primär künstlerisch wertvolle Drucke sammelt. Und gerade das macht diese Ausstellung sehenswert. Gezeigt werden aber auch Zeichner, die sowohl als Volks- wie als Kunstkünstler verehrt werden. James Gillray, William Hogarth, Wilhelm Busch und Georg Grosz sind so etwas wie Brückenköpfe zwischen Illustration und freier Kunst. Dass die Berliner Marwil und Fil in der DHM-Sammlung zu sehen sind, ist ein schöner Zug, der ihnen einen Platz in der deutschen Bildergeschichte gibt.
Fehlt nur noch der Verweis auf das Melton Prior Institute (www.meltonpriorinstitut.org), die großartigste Website zu unterschiedlichen Bildpolitiken in Zeitungen, freier Kunst und Illustration. Es ist ein Archiv jenseits musealer Weihen, das sich auch vom Bett aus bequem erforschen lässt.
Christoph Bannat
GIER NACH NEUEN BILDERN
FLUGBLATT, BILDERBOGEN, COMICSTRIP
29. September 2017 – 8. April 2018
Deutsches Historisches Museum, Berlin