24. Oktober 2017

Charismatische Wanderer zwischen den Welten: der Musiker Benjamin Sainte-Clementine und der Maler Jean-Michel Basquiat

"... Woman, the truth is here / They ought to see it clear / Excuse-me, I’m in a middle of a song ..." ("The People And I" aus  "At Least For Now")

Benjamin Sainte-Clementine baut auf seine Intuition. Unberechenbare Freiheit kann erfolgreich sein. Einst schwarzer Underdog gründete Clementine als Musiker, nachdem er bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes einen Auftritt hatte, sein eigenes Label und konnte so unabhängig arbeiten bis zu einem größeren Plattendeal. Clemente ist Charismatiker. Seine Ausstrahlung vermittelt good vibes. Und das trotz politischem und sozialkritischem Bewusstsein. In seinem Songwriting literarisch-surrealer Brit-Chansons mit Klassik-, Beat- und Jazzbereichen ist sogar eine Verbindung von Erik Satie und Soul möglich. Eine nicht ganz leicht ergründliche, seltsame und faszinierende Mischung aus rauen und schönen Momenten. Ein hybrides Destillat aus Clementines künstlerischer Welt der Erfahrungen, Beobachtungen, Empfindungen, Literaturrecherchen und Musik. Wie in "Ode From Joyce" über Künstlerleben und American Soul.

"I Tell A Fly" von Benjamin Clementine

Vom Obdachlosen in Paris zum Weltbürger und Erfolgsmusiker mit Londoner Mercury Prize für "At Least For Now" im Jahr 2015. Das ist das, was vor Jahrzehnten auch als "American Dream" bekannt war. Und dem Briten Benjamin Clementine mit ghanaischer Abstammung jetzt gelang. Von dem 29-Jährigen gibt es nun die vierte Veröffentlichung "I Tell A Fly". Clementine machte mit seiner Lebensgeschichte auf sich neugierig, denn er hat sich als Außenseiter nicht ausgrenzen und ruinieren lassen. Als Dropout von der Straße in den Konzertsaal und in die Oper und nicht nur in Nightmares. Das hat er in Aufnahmestudios reflektiert und dokumentiert. Leben in Hotels, Songs in der Werbebranche, von Paris nach New York ziehen und das Leben als Jungle ... C'est la vie. In seiner schwierigen Jugendzeit war er Straßenmusiker. Heute gibt er Zeitungsinterviews, spielt Synthesizer, Cembalo und Piano auf elitären Konzertbühnen und ist mit seiner bezwingenden Sängerstimme international bekannt geworden. Nicht mehr nur wie anfangs Privates und Introspektives, sondern auch Gesellschaftsbeobachtung und Sozilrecherche hat er sich mittlerwiele als Themen zueigen gemacht. Die er zukünftig auch in Theaterstücke umsetzen möchte.

"An album is a carte blanche in disguise", meint Clementine. Und im November wird er das auch live in Deutschland auf der Bühne verwirklichen.

Jean-Michel Basquiats verätseltes Künstlerleben 

Der Musiker Benjamin Clemente erinnert mich an den Künstler Jean-Michel Basquiat. Der in der Kulturszene um Andy Warhol in der gesamten Kunstszene als Nicht-Akademiker Karriere machte und von 1960 bis 1988 lebte. Er war voll exzentrischen Lebens und wurde aber tragischerweise nur 28 Jahre alt. Ein Alter, in dem Benjamin Clemenetine offenbar erst richtig anzufangen scheint. Für manche ist Jean-Michel Basquiat und die Factory immer noch Underground. Und manchen muss man diese Szene erst bekannt machen und erklären. Dabei ist Warhols Klüngel längst in Europa und Deutschland auch mit in der Hochkultur präsent. So war Basquiat auch bei der Documenta in Kassel. Sein Werk wird nun ab Februar in Frankfurt in der Schirn ausgestellt und ist derzeit in der Londoner Barbican Art Gallery zu sehen.  

Ausstellungswelt "Boom For Real" 

Jean-Michel Basquiat begann als Graffiti-Künstler und schuf eine künstlerische Malerwelt aus Zeichen, Symbolen, Schriften, Bildern und Collagen auch auf Leinwänden. Mit Basquiat kann gleichzeitig eine jahrzehntelang lebendige unkommerzielle Independentszene der Musik-, Film- und Kunstszene New Yorks wieder erlebt werden. Die bei jedem Insider und Kulturschaffenden in der Kunstszene sowieso nie in Vergessenheit gerät. Basquiat realisierte immer seine eigentümliche Arbeit aus Primitivismus und Intellektualität umgeben von Literatur, Musik und Kunst. Und ließ sich nicht von engstirnigen Lehren bändigen und in Schulen zwängen. Er setzte seine afroamerikanische Lebens- und Kunstweise in Verbindung mit Amerika und Europa auch als Musiker durch. Die Unmittelbarkeit seines Neoexpressionismus ist längst Teil der Kunstgeschichte und nicht mehr nur Subkultur. Seine experimentelle Kunst, die Tradition und Avantgarde vereinte und seine Musikexperiment, Art Noise ohne Grenzen zwischen Rock, Pop, Jazz und Klassik, waren zwar anfangs konservativen Kreisen fremd, sind aber nicht erst jetzt in der etablierten Kunstszene präsent. Basquiats versponnene, verrätselte, raue Gemälde und seine schwer einschätzbare persönliche und kulturelle Lebensweise ist gerade wieder mal als etwas Besonderes zu entdecken. 

Benjamin Sainte-Clementine

"I Tell A Fly"

(Caroline/Universal, 2017)

BASQUIAT. BOOM FOR REAL

Barbican Art Gallery, London

21.09.17 bis 28.01.18

Schirn Kunsthalle Frankfurt

16.02.18 bis 27.05.18

www.benjaminclementine.com

www.basquiat.com

© Tina Karolina Stauner, 2017

Jean-Michel Basquiat in his studio. Photo Lizzie Himmel