18. September 2017

Der entsetzlich anklagende feuchte Blick eines kurzsichtigen Zyklopen

 

Erst spät, eigentlich erst mit dem überraschenden Nobelpreis 1985 wurde Claude Simon einem größeren Publikum bekannt. Seine Werke, fast sämtlich von Kriegserinnerungen und überhaupt Erinnerungen (Proust nicht unähnlich) geprägt, wurden in letzter Zeit vor allem bei DuMont neu aufgelegt, übersetzt von der genialen Übersetzerin Eva Moldenhauer, die nicht nur geisteswissenschaftlich, sondern eben auch für belletristische Übertragungen in Bibliotheksstärke verantwortlich zeichnet. Mit den letzten Alterswerken Simons, die endlich auch einmal synchron zu ihrer Entstehungszeit ab den späten Neunzigern bis zu seinem Tod 2005 verstanden und gefeiert wurden, ist das Interesse erneut erwacht an dem Chronisten und vor allem auch in Bezug auf den nouveau roman elementaren literarischen Erneuerer Claude Simon. Dessen Technik des repetitiven Komponierens, wohl aus der Taktung und dem Rhythmus der Erinnerung, des Wiederkauens und erneuten Durchlebens entstanden, ist in seiner bei Berenberg erschienenen Novelle Das Pferd, übersetzt von Eva Moldenhauer, noch nicht ausgeprägt. Im Gegenteil: Das lesenswerte Buch, mit einem langen Nachwort und Glossar versehen, ist eine präzise durchgestaltete minimalistische Feldbeschreibung um zwei Soldaten und ein sterbendes Pferd. Die Dialoge sind viel eher Céline als Claude Simon, was nicht nur überrascht, sondern einen angenehmen spritzigen Kontrast zu der drückenden, von Krankheit und Fäulnis durchdrungenen Atmosphäre der Ortsbeschreibungen herstellt. Das Pferd, das in den Worten des Erzählers viel eher einer Gottesanbeterin gleicht, einem Skelettinsekt mit Tonnenkopf, stirbt, während die Soldaten sich mit billigen, chauvinistischen Witzen und Wortspielen bei Laune zu halten versuchen. Ein kurzes, nicht unbedingt wichtiges Werk Claude Simons, das jedoch, ohne wirklich auf das, was da kommt von Der Straße in Flandern über Georgica und Die Akazie, hinzudeuten, eine neue Sicht auf den raffinierten Schriftsteller und Textkomponisten Simon bietet. Es vermittelt Abgeschlossenheit und perfekte Narration, ein Highlight unter Simons Frühwerken.

 

Jonis Hartmann

 

Claude Simon: Das Pferd. 978-3946334170. Berenberg, Berlin 2017

 

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