18. September 2017

Kosmos und Utopie

1. Planetary 001-www.Wildstorm.com
2. The Prophet-www.imagecomis.com
3. Auferstehung einer Meldebeamtin, Solomon Nikritin, 1924
4. Wenzel Hablik, Meereszauber 1917
5. Wenzel Hablik, Kristallarchitektur 1920
6. Wenzel Hablik, Fliegende Siedlung 1925
7. Planetary 004-www.Wildstorm.com
8. The Prophet-remission 1. www.imagecomis.com
9. Descender-www.imagecomis.com
10. Wenzel Hablik, Schaffende Kräfte 1909

 

„Muß ich schon an der Erde kleben – dann wenigstens nicht mit dem Hirn.“*

 

Kopf hoch beim Schreiben auch im Dunkeln, im Brunnen, im Stollen, im Bergwerk der Worte. Für Außenstehende strahlen diese Transit- Wesen eine feine Sexiness zwischen konzentrierter Ab- und somnambuler Anwesenheit aus. SchreiberInnen in der Zeit, in der sie ihre Dissertation schreiben, sind sie höchst empfindliche Wesen, die irgendwo zwischen Selbstschutz und Selbstsucht agieren. Und so leuchten die Sterne aus der Tiefe ihres selbstgewählten Brunnenschachts heller. Heiko Schmid zeigt uns seine Sterne. Mit seiner Dissertation führt er unseren Blick, kulturhistorisch, philosophischen, populärwissenschaftlich und künstlerisch gelenkt, in den Kosmos. Titel: Metaphysische Maschinen, erschienen im Transcript Verlag. Für mich kein einfaches Werk, bis sich mit zwei zurzeit in Berlin laufenden Ausstellungen zum Thema Kosmos mein Unverständnis etwas lichtete.

 

Wenzel Hablik wird im Martin-Gropius-Bau gezeigt. Gleichzeitig findet eine Ausstellung zum russischer Kosmismus im Haus der Kulturen der Welt statt, kuratiert u. a. von Boris Groys. Wenzel Hablik war das aktivste Mitglied der „Gläsernen Kette“-Vereinigung von Noch-nicht-Architekten und Künstlern, die hauptsächlich aus Briefwechseln bestand. Nach einjährigem Bestehen löste sie sich 1920 bereits wieder auf. Ihr Einfluss aber ist bis heute unbestritten. Die „Gäserne Kette“ bestand zu einer Zeit, als gesellschaftliche Lebensentwürfe noch hoch im Kurs standen, ebenso wie der „russischen Kosmismus“. Anders als die „Gläserne Kette“ war er eher religiös denn technisch konnotiert. Er setzte sich für die Auferstehung und das ewige Leben jenseits einer Religion ein. Beide, Hablik und der Kosmismus, der zwischen 1920 und 1929 seine Hochphase hatte, bevor er staatlich verfolgt wurde, waren stark von Nietzsches Zarathustra beeinflusst. Trotz dieser vergessenen Bewegungen gibt es eine energetische Linie zu Architektur und (russischer) Raumfahrt. Beide, Hablik und der Kosmismus planten für den Kosmos. Hablik wollte eine multikulturelle, friedliche Gesellschaft auf einem anderen Planeten ansiedeln, für die er Gebäude und Flugmaschinen als Übergangslösung, bis es so weit ist, auf unserem Planeten entwarf. In unserer an gesellschaftlichen Lebensentwürfen armen Zeit, in der alles immer nur gerettet werden soll, um den Status quo aufrechtzuerhalten, Umwelt, Gesundheit, Kapital, Geld, Lebensstandard und Familie, tun diese utopischen Ausstellungen gut. Und auch Heiko Schmids „Metaphysische Maschinen“ klingen zunächst als spinnertes SF-Gedankengut, doch zeigt sich schnell, welche Energien in solch utopischen Spinnereien lebendig sind – von Kopernikus über Werner von Braun, Gotthard Günther bis John Bock.

  

Nachdenken über den Kosmos heißt, einen Standpunkt auf der Erde finden zu wollen. Auch wenn der (Stand)Punkt, rein mathematisch gesehen, keine Ausdehnung hat, so lässt sich mit ihm doch wunderbar konstruieren. Damit ist die Standpunktsuche immer auch ein intellektueller und artistischer Balanceakt, der Übung und Disziplin erfordert. Diese Disziplin hat Maschinen hervorgebracht, mit denen wir uns im Kosmos bewegen. Denkt man Kosmos und Maschinen zusammen, so sind es Maschinen der Selbstbeschreibung des Menschen. Nun beginnen Maschinen zunehmend sich selbst und ihren Lauf zu korrigieren. Philosoph und Herausgeber von Science-Fiction-Literatur Gotthard Günther nennt diese Bewegung „denken“, auch wenn diese Maschinen sich selbst nicht zu beschreiben und zu programmieren vermögen, da sie keinen Tod kennen. Beim Thema Tod wiederum setzt Boris Groys russischer Kosmismus an. In einem Art Online-Interview spricht er davon, dass sich unsere in der Stagnation befindende Gesellschaft lieber mit Halbtoten und Zombies als mit dem Tod beschäftigt. Im Gegensatz zum russische Kosmismus.

 

Die  Auferstehung, das „Sich lösen“ von der Erde haben bei Schmid, Hablik und Groys immer auch eine technische Entsprechung. Dabei geht es um Technik und Natur sowie deren Überwindung. Heute, in Zeiten, in der Technik uns wie eine zweite Natur umgibt, ist die Aktualität dieser Verbindungen mehr denn je spürbar. Zwei Ausstellungen, die zufällig parallel laufen und nicht ohne den Nullpunkt des Revolutionsjahrs 1917 gedacht werden sollten. Und eine Dissertation, die den Blick und die Fahrt in den Kosmos immer auch als eine Selbstbestimmung lebendig hält, tut gut, gerade im Wahljahr der Stagnation. Und außerdem hat Heiko Schmid mir digitale SF-Comics nahegebracht. Dass die besten dieses Genres sich in ihrer Härte und Konsequenz nicht ohne Grund größtenteils im Image-Verlag ansiedeln, ein Autorenverlag, dessen Zeichner sich von Marvel und DC Comic trennten, zeigt ihre avantgardistischen Ambitionen. Diese Comics sind der Ideenwelt Wenzel Habliks und des russischen Kosmismus verwandt, wenn auch wahrscheinlich nur unbewusst.

 

Christoph Bannat

 

 

* Wenzel Hablik, Tagebucheintrag

 

Heiko Schmid: Metaphysische Maschinen. Technoimaginative Entwicklungen und ihre Geschichte in Kunst und Kultur. 09/2016, 290 Seiten, kart., zahlr. z. T. farb. Abb. ISBN 978-3-8376-3622-2

Wenzel Hablik – Expressionistische Utopien
Martin-Gopius-Bau, Berlin,  02.09.2017 – 14.01.2018

Art Without Death: Russischer Kosmismus
Haus der Kulturen der Welt, Berlin
01. September 2017 – 03. Oktober 201

 

Zurück in die Zukunft. Interview mit Boris Groys

www.art-magazin.de/kunst/21065-rtkl-interview-mit-boris-groys-zurueck-die-zukunft

 

Hans Blumenberg: Schriften zur Technik, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2141,  

Die Vollzähligkeit der Sterne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997

 

Boris Groys/ders. (Hrsg.): Die Neue Menschheit. Biopolitische Utopien in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2005,

 

Gotthard Günther: Das Bewußtsein der Maschinen – im Netzt als Pdf. Agis-Verlag, Krefeld und Baden Baden

 

Jewgeni Iwanowitsch Samjatin: WIR. Ein dystopischer Roman, über Natur und Glasbauarchitektur und Überwachung

 

Paul Scheerbart – Lesebuch: Meine Welt ist nicht von Pappe, Parthas Verlag, ISBN: 978-3-86964-062-4