30. Juli 2017

Es war so trocken, dass man es feucht nennen konnte

 

Zu seinem 200. Geburtstag ist bei Jung und Jung der neu übersetzte Reisebericht Ktaadn von Henry David Thoreau erschienen. Das kleine Hardcover-Bändchen ist in für den Verlag typischer Gestaltung erschienen, mit einem zeitgenössischen Gemälde nämlichen Berges. Die Reise selbst, 1847 von Thoreau und einigen Gefährten exekutiert, findet wie immer in seiner Wahlheimat Maine statt, im Gebiet zwischen Penobscott und Merrimack. Anstatt jemals seinen Fuß woanders hingestellt zu haben, folgt Thoreau eben jener Philosophie, lieber die Unendlichkeit zwischen 0 und 1 zu bereisen; sprich: die unbekannte Schönheit der unmittelbaren Umgebung zu erforschen und zu genießen. Dabei ist im Gegensatz zu den neuen Übersetzungen seiner Tagebücher bei Matthes und Seitz jener Bericht Ktaadn, aus einem Vortrag heraus entstanden, ein merkwürdig nüchterner, für Thoreau-Verhältnisse fast uninspirierter Text. Zwar gibt es hymnische Schilderungen, enzyklopädische Abschweifungen (zum Glück gibt es Anmerkungen am Ende) und überraschende Details (z. B. die Beschreibung einer Wolkenmaschine auf einem Hügel im Wald), doch lässt der Bericht hauptsächlich ein Gefühl des Beiwohnens der Reproduktion einer Reiseroute zurück, bebildert fürs Leserauge zwar, aber ohne jene Thoreau-Oddness, die, wenn man ehrlich ist, seine Besonderheit auch heute noch literarisch ausmacht.

Viel spannender tatsächlich ist der beigefügte Nachruf seines Freundes und Mentors Ralph Waldo Emerson auf ihn. Die beiden, die sich ähnlich waren und lange gemocht, später jedoch von einander entfremdet haben, porträtieren sich durch Emersons verblüffende Eloge gegenseitig. Zunächst eine kurzweilige Hymne auf Thoreaus kalkuliert erratisches und selbstgewähltes, widerständiges I would prefer not to-Verhalten mit einer kuriosen Aufzählung von Skurrilitäten aus Thoreaus Leben wandelt sich Emersons Hauptsatzansammlung zu einer unverhohlen deutlichen Kritik an dessen idiosynkratischer Asozialität. Freilich nicht ohne aufrichtiges Bedauern um das zu kurze Leben des ehemaligen Freundes. Dieser Text gibt alles her, was man von Thoreau erwartet, nur dass er eben nicht  von Thoreau ist.

Das kurze Nachwort von Übersetzer Alexander Pechmann, der sich zu beiden Persönlichkeiten äußert, rundet ein nicht ganz essenzielles Werk Thoreaus ab, das jedoch in der schwer zu begrüßenden Anstrengung steht, noch viel mehr seines zu zwei Dritteln noch immer nicht auf Deutsch erschienenen Gesamtwerks zu übertragen. Denn Thoreau ist gültig. Besonders durch sein eigenes (verrücktes) Schreiben (nicht unbedingt hier bei Ktaadn) und durch sein kompromisslos kritisches und selbstermächtigendes  Verhalten.

 

Jonis Hartmann

 

Henry David Thoreau: Ktaadn, Jung und Jung, Salzburg 2017, ISBN 978-3-99027-092-9

 

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