18. Juli 2017

Ich hab einen neuen Mann getroffen

 

Almut Klotz starb 2013. Sie hinterließ das Fragment Fotzenfenderschweine, in dem sie über ihre Beziehung zu und dem Leben mit Reverend Christian Dabeler schreibt. Unvollendet dementsprechend. Doch das scheint genau das Ding zu sein, weswegen dieser rast- und atemlose Text so bezaubert. Er ist niemals abgeschlossen. Er kann es nicht sein. Klotz, die seit den 80ern viele Rollen innehatte zwischen Hamburg und Berlin als Sängerin, Musikerin, Komponistin, Auflegerin, Kolumnistin und Autorin, beschreibt ungeniert und wie in einem (Schreib-)Rausch, angereichert mit einigen Fotografien und dezentem Bildmaterial, wie das war, damals als sie Reverend Christan Dabeler, den "besten Orgelspieler Hamburgs" kennenlernte. Wie sie ihm verfiel und zwischen ihrem eigenen Engagement und dem Kampf für neue starke Frauenrollen sich an ihm rieb. Er, der charismatisch zwischen Wein, Aufnahmen und Dunkelheit in der Wohnung und übelstem Sexismus und Provokation andererseits schwelgte. "Tourette-nah", wie sie schreibt, angesichts der permanenten und unter Einsatz aller Kräfte wüst geführten Dauerstreits. Er, der offensichtlich, das wird im Buchverlauf immer deutlicher, an Hochsensibilität leidet und ein recht einsames selbstgewähltes Mann-an-der-Bar-mit-durchgeknalltem-Hund Image/Leben pflegt, den meisten Dingen, die Almuts Leben ausmachen, aus dem Weg geht. Dass sie trotzdem immer mehr zueinander finden, die größten Diskussionen, Dispute, Versöhnungen ausfechten, in gemeinsamer Sache komponieren und gemeinsam schreiben, beschreibt Klotz in direkter, niemals schwafeliger, packender Sprache. Warum es sich um eine "Abrechnung mit der Indie-Pop-Szene" handeln soll, ist nicht klar, so will es der Klappentext. Es handelt sich vielmehr um das Milieu, in dem diese Liebesgeschichte zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen spielt, that's it. Es hätte genauso gut ein anderes Milieu sein können. Es ist keine Abrechnung, es ist das Leben, wie es die beiden aus Almut Klotz Sicht geführt haben, und deswegen ist der Text so gut. Er rechnet nicht ab, er schildert aus der Sicht zweier Piloten einer Welle, wohin sie sie führt, bis sie ganz einfach abbricht. Das ist Fotzenfenderschweine. Wunderschön zu lesen, traurig, teilweise aggressiv, aber niemals banal, kokett oder indifferent. Auch wenn es vielleicht bemüht und bescheuert klingen mag angesichts Almut Klotz' frühem Tod und der nur wenig zurückliegenden Ereignisse, das Buch ist ein Kultbuch. Es hat den Verve von On the Road und die Schwingungen des Traueraspekts und der Romantik von Wave/Dark Wave/80ies etc. in sich. Eine erstaunliche, dichte Leseerfahrung. Reverend zum Titel:

"Fender sind zylindrisch- oder kugelförmige Polster [...] die zum Schutz des Rumpfes zwischen Kaimauer und Yacht gehängt werden. Während der Fahrt auf See werden diese in Backskisten oder unter Deck verstaut. Aufgrund ihrer runden Form folgen sie gerne der Schiffsbewegung. und purzeln dabei herum. Sehr nervig, daher verkeilt man sie am besten irgendwo. Man ist meist zu faul, dafür extra unter Deck zu gehen, und versucht sie daher, mit geschicktem Wurf von oben, zwischen Maststütze und Vorschiffskoje zu verstauen. Aber sie sind eigenwillig und fügen sich manchmal ungern in ihr begrenztes Joch. Sie wollen lieber lustig in der Kajüte herumtanzen. Nach zwei, drei missglückten Würfen, wenn man sich genervt unter Deck begeben muss, um sie einzufangen, sind es keine einfachen Fender mehr. Dann sind es Fotzenfenderschweine."

 

Jonis Hartmann

  

Almut Klotz: Fotzenfenderschweine, Verbrecher Verlag, Berlin 2016

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