30. Mai 2017

Anna Haifisch

The Artist: Der Schnabelprinz
The Artist: Der Schnabelprinz
The Artist: Der Schnabelprinz
The Artist
Wunderland
Wunderland

 

Mit „Von Spatz“ ist Anna Haifisch etwas Großartiges gelungen. In diesem Zusammenhang habe ich sie auf Textem (http://www.textem.de/index.php?id=2720) als stilsichere Bildungsbürgertochter beschrieben, die mit ihrem unbefangen-schlurfigen Zeichenstil eine aufgeklärte Anti-Attitüde pflegt. Jetzt ist „The Artist: Der Schnabelprinz“ erschienen, nach „The Artist“. Meine Kritik zu „The Artist“ hatte ich hinter einer poetischen Schimpfwortkaskade zu verstecken versucht. Betrachtet man alle drei Ausgaben, ist „Von Spatz“ ihr bestes, da komplexestes Heft. Alle Geschichten spielen im gleichen avancierten Kunstmilieu. Doch in „Von Spatz“ verortet sie den Künstler zielgenauer im geschlossenen Kliniksystem einer Selbsthilfegruppe, während in ihren anderen Geschichten die Künstler, antriebschwach und orientierungslos, als Einhandsegler auf den Meeren des Kapitals frei über das gefluteten Feld der Selbstdarstellung rudern. Einem Feld, auf dem die Künstler ihre Zweifel und Widersprüche, zwischen Anpassung und symbolischem Widerstand, Selbstmitleid und Wahn verhandeln. Anna Haifisch verkleidet ihre Geschichten fabelhaft als allegorisches Bestiarium. Seit dem spätem 18. Jahrhundert werden Künstler und ihr soziales Umfeld vermehrt zum Gegenstand von Karikaturen. Hogarth, Daumier, Grandville sind die bekanntesten Beispiele, die heute selbst als (freie) Künstler gehandelt werden. Sie schafften den Aufstieg aus dem Reservoir des Profanen, aus dem Tagesgeschäft von Massendruckerzeugnissen in die heiligen Hallen der Museen. Heilig meint hier den Glaube an die ewigen Werte der Kunst, die im Museum, dem Tempel, gefeiert werden. Ich bin dafür, Künstler ernst zu nehmen, als Erscheinung und in ihrer Tätigkeit. Ich mag Anna Haifischs Zeichnungen. Mir können ihre matt-gelb-altrosa Flächen, auf denen sich ihre Strichtierchen verspielen, nicht groß genug sein. Mir kann diese farbige Einsamkeit nicht groß genug sein. Ihre Geschichten einmal in Neo-Rauch-Bildgröße, Anna Haifisch wurde in Leipzig sozialisiert, zu erleben, halte ich für ein lebenswertes Experiment. Mich stört bei „The Artist: Der Schnabelprinz“, dass das Heft nicht schlauer sein will als sein Vorläufer und es sich mit einer allzu bekannten Ironie des Künstlerimages bequem macht. Nichts gegen Ironie, die für mich ein Überfliegen der bestehenden Zustände (mit der Gefahr des Absturzes) ist. Und kein Plädoyer fürs bedingungslose Engagement als Gegensatz zur Ironie (mit der Gefahr, darin zu ertrinken). Bei „The Artist: Der Schnabelprinz“ fehlt mir der artistischer Seilakt, zwischen Absturz und Ertrinken. Jener Akt, der bei „Von Spatz“ funktionierte, indem Ironie im doppeltem Sinne als Engagement in Sachen Selbsthilfe funktioniert. Und hier kippt die Geschichte Genre- (in Bezug comicfreie Kunst) übergreifend und Anna Haifisch wird selbst zur freien Künstlerin. Ihr Heilsversprechen lautet: engagierte Selbstheilung durch Ironie. Denn Leid und Leiden am Kunstsystem sind der Kern ihrer Geschichten.

Alle drei, Caspar David Friedrich, William Turner und Constable, wurden in den 70ern des 18. Jahrhunderts geboren. Mit ihnen fängt unser modernes Kunstleben an. Sie waren die ersten Kleinstunternehmer in eigener Sache. Zur gleichen Zeit verspricht die französische Revolution (1789), dass man durch Arbeit und nicht mehr nur durch Geburt zu Macht kommen kann. In dieser Zeit wurden Künstler zu freien Künstlern. Hof, Adel und Kirche wurden als Arbeitgeber zunehmend vom gehobenen Bürgertum, Bankiers, Industriellen und den entstehenden Nationalstaaten abgelöst. Gleichzeitig verloren die Handwerkszünfte, die bis dahin für die Traditionspflege zuständig waren, an Bedeutung. An die Stelle der Traditionspflege trat die Idee von Originalität und Authentizität, sie wurden zum Signet für das Wahre und Echte in der Kunst. So stellt sich die Frage, welche Tradition uns Künstlermenschen, die wir in der Ausdruckswelt arbeiten, verbindet, da weder Originalität noch Authentizität erlernbar, geschweige denn vererbbar sind? Und welche Tradition, verstanden als die Weitergabe von Wissen, wird im Kunstbetrieb gehandelt? Ich meine, dass freie Künstler, also jene, die sich ihre Aufträge selbst geben, die Gesten der Selbstbehauptung üben, die sie symbolisch, und im Feld der Kunst geht es größtenteils um symbolische Handlungen, vorleben. Künstler leben vor, woran andere Künstler sich anzupassen haben, während sie gleichzeitig die Idee des Alleinstellungsmerkmals, der Originalität und Authentizität hochhalten. Ein intellektueller Spagat, der überall in unserer Massengesellschaft verhandelt wird. Verhandlungen, die überall in der Ausdruckswelt, bei H&M ebenso wie bei DSDS oder auf der D_14, stattfinden. Trotzdem oder gerade deshalb ist das Feld der Kunst heute größer denn je geworden.

Ich meine, Anna Haifisch macht es sich zu leicht, wenn sie sich nur auf das Karikieren des Künstlers als Kleinstunternehmer in eigener Sache (Produktion, Werbung und Vertrieb in Personalunion) verlässt. „Selbstständig heißt doch nur“, wie mein Fahrlehrer zu sagen pflegte, „dass du selbst und das ständig sein musst.“ Vereinfacht lässt sich Kunst, wie die Wirklichkeit selbst, in symbolische Handlungen, reale und imaginäre Felder zerlegen. Und das schließt komplexe Heilsversprechen, wie im Slavoj-Žižek-Titel „Liebe Deine Symptome wie Dich selbst“, betrachtet man Kunstwerke als Symptome, mit ein. Versprechen, wie sie in der Kunsttherapie eine gesellschaftliche Entsprechung finden. Aber auch im Imaginären. Wie das Versprechen der Idee der Ruine als transitorischer Raum, von Epidaurus bis Auschwitz. Ein Heilsversprechen, das mit der Aussage, „dass das Fragment der heile Teil der Moderne ist“, in Korrespondenz tritt. Gleichzeitig lebt der Kunstbetrieb vor, dass man/frau als Auftraggeber seiner selbst ganz real davon leben kann. Und, um auf die Selbstbehauptung des Künstlers zurückzukommen, zeigt sie diesen als den Ummünzer, der es versteht, die Aufmerksamkeit, die er für seine Symptome bekommt, in (Hochschul-)Posten zu verwandeln. Neben dieser Verwandlung von Beachtung in gesellschaftliche Posten spielt das Versprechen der Kunst einer „nicht entfremdeten Arbeit“, bei der Leben und Arbeiten eins werden, immer noch eine Rolle. Auch das ist ein Art Heilsversprechen von Kunst. Ein weiteres ist das, dass man für die Spur geliebt wird, die man/frau (auf der Leinwand) hinterlässt. All diese Versprechen sind auf verschiedenen Ebenen miteinander verwoben. Die dahinter stehenden Mythen zu klären, lohnt sich. Und, ein letztes Versprechen, am Ende dieser lebenslangen Übung soll man bekanntlich erfahren, wozu das Ganze gut ist. Oder wie mein Fahrlehrer zu sagen pflegt: Lieber eine glückliche Verkäuferin als ein unglücklicher Künstler, aber lieber ein unglücklicher Künstler als eine unglückliche Verkäuferin.

 

Christoph Bannat

 

 

Anna Haifisch:

Von Spatz, rotopolpress

The Artist, Reprodukt

The Artist: Der Schnabelprinz, Reprodukt

 

amazon

 

 

Tom Tirabosco: Wunderland, avant Verlag

 

Wie der Wille zur Kunst in das Familiengefüge und damit in die (heimliche) Konditionierung der Kinder eingreift, davon erzählt Tom Tirabosco in „Wunderland“. Das passt zur oben beschriebenen Problematik. Ich denke mir „Wunderland“ im Haifisch-Stil und imaginiere mir ihre familiäre Vorgeschichte. Leider ist Tiraboscos Erzählung zeichnerisch harmlos und macht erzählerisch, je näher er der Jetztzeit kommt, schlapp. Egal wie schlimm eine Autobiografie ist, so ist sie immer auch eine Erfolgsgeschichte. So ist jeder Autor auch ein Gott, also einer, der seine Geschichte vom Ende her kennt. Nur will Tiraboscos nicht ans Eingemachte – da, wo’s lebendig, banal, sprachlos und schmerzhaft wird. Je näher er der Jetztzeit, dort wo die Felder der Sprachlosigkeit beginnen, kommt, desto mehr verschweigt und harmonisiert er.