16. Mai 2017

Rechts, links & Co. (1)

 

Heartfield und Beuys

 

Der Platz, von dem aus politisch etikettiert wird, gerät im Moment der Zuweisung selten selbst zum Problem. Als ob alle Etikettierer die goldene Mitte einnähmen. Und als ob die Rechts-Links-Einordnungen unbesehen durch die Jahrzehnte sich einfach so durchschieben ließen. Aber irgendwie scheint man sich doch zu verstehen. Oder täuscht das nur? Manchmal jedenfalls wird man stutzig. Wenn etwa Michael Töteberg in seiner John-Heartfield-Bild-Monografie den Vater des Foto-Monteurs, Franz Held, nicht nur als "linkssozialistische[n] Schriftsteller" bezeichnet, sondern suggeriert, dass er als solcher bekannt gewesen sei. Und in der Tat, in der Zeit Franz Helds war man als SPD-Anhänger "rechtssozialistisch" (1) eingestellt, ein Begriff, der heute nicht mehr gebräuchlich ist, genauso wenig wie sein Pendant "linkssozialistisch". John Heartfield wiederum, den man intuitiv links einordnet, hatte, zumindest eine Zeitlang, heftige ideologische Auseinandersetzungen mit dem radikalen Muttertier KPD, aber nicht, weil er nicht radikal genug agierte, sondern weil er die KPD "links" überholte. Mit Verdruss und Ärger nahm man in der politischen Leitstelle wahr, dass Heartfield für die gute alte Kunst offenbar keinen Platz mehr anzubieten hatte. Heartfield ging es in dieser hyperradikalen Phase nicht um die Rettung künstlerischen Erbes, sondern um die Komplettentsorgung, eine Haltung, die ihn mit Malewitsch und Marinetti verband. Das Stichwort hieß, wenn auch nur für kurze Zeit: tabula rasa. Muss man daran erinnern, dass Marinetti häufig mit dem italienischen Faschismus in Verbindung gebracht wird? Und wie ist die Renaissance-Wende Malewitschs zu verstehen?

Auf jeden Fall irritiert es, den Künstler Joseph Beuys als "Passatist" serviert zu bekommen, um eine Vokabel zu verwenden, die den Futuristen lieb war im Kampf um die vorderen Plätze. So heißt es in einer Einschätzung des Skandalkünstlers: "Beuys ist ohne Zweifel kein Progressist. Er gehört der alten Welt an, unserer alten, überalteten, senilen Welt, mit ihrer Weisheit." Gesprochen hat diese Worte Monsignore Otto Mauer, ein österreichischer Priester, Kunstsammler und Mäzen, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "BEUYS" im Städtischen Museum Mönchengladbach, 1967. Wie hat Beuys darauf reagiert? War er beleidigt? Andererseits lassen sich von seinen skulpturalen Vehikeln leicht Bahnen legen zu ganz plausiblen, ja klassisch anmutenden Überlegungen zu atmosphärischen Bedingungen des Lebens und Zusammenlebens, die weniger mit dem Visionär Beuys als mit der alten, zerbröselnden filzigen Welt zu tun haben. Ist Beuys' späterer Kapital-Begriff, so könnte man weiter fragen, ebenso radikal und "fortschrittlich" wie der von Marx? Macht Beuys' 'Kapital'-Umdeutung Karl Marx zum Bewohner der alten Welt, oder ist Beuys selbst mit seinem Kapital-Begriff hoffnungslos rückständig mit dem Andocken an den guten alten Bildungsbegriff des Herauswickelns der Fähigkeiten: Werde, der du bist!?

Die politischen Aktivitäten von Beuys nahmen in den 70er Jahren zu. Die Mitgründung der Grünen mag als Endpunkt dieser (partei)politischen Anstrengungen gesehen werden. Was nicht so bekannt ist: Beuys war davor Anhänger und 1976 sogar Spitzenkandidat der heute in Vergessenheit geratenen AUD, aus der immerhin die Grünen hervorgingen. Die AUD (Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher) war 1965 gegründet worden mit durchaus schillernden Gesichtern der nationalkonservativen Richtung, ein Gründungsmitglied war Hjalmar Schacht (2), von 1933-39 Reichsbankpräsident und 1934-37 Reichswirtschaftsminister. Das Wochenmagazin Die Zeit nannte die AUD-Leute "Rechtsdemokraten". Die AUD näherte sich Ende der 60er Jahre manchen Vorstellungen der APO an, nach 1972, also nach der Veröffentlichung der Berichte des Club of Rome, begann man sich verstärkt mit dem Umweltschutz zu beschäftigen. Trotz der Übernahme linker Positionen wurde die AUD von Beginn an bis in die 70er Jahre unter der Rubrik "Rechtsextremismus" geführt. Bei den Wahlen 1976 hat der AUD-Mann Beuys für seinen Wahlkreis Düsseldorf-Oberkassel immerhin 600 Stimmen (2%) auf sich vereinigen können.

Und die Beuys-Kunst? War sie progressiv, um mit der Zeit ranzig zu werden? Oder ist sie nur ein weiteres Beispiel für die mehr oder weniger gelungene Koppelung von Materie und Symbol?

 

Dieter Wenk (5-17)

 

 

  1. Der wohl heftigste Vorwurf der KPD gegenüber der SPD in den 20er Jahren lautete, sie sei "sozialfaschistisch". John Heartfield wiederum wurde von marxistischen Ästhetikern wie Eugen Kronmann 1932 vorgeworfen, nicht frei "von den Fehlern der 'linken' Formalisten" zu sein.

  2. Eine Fotomontage Heartfields aus dem Jahr 1934 heißt: "Hjalmar oder Das wachsende Defizit".

 

 

Literatur:

Reinhard Ermen: Joseph Beuys, Reinbek bei Hamburg 2010 (Rowohlt Taschenbuch Verlag)

Michael Töteberg: Heartfield, Reinbek bei Hamburg 1994 (Rowohlt Taschenbuch Verlag)