2. April 2017

Teufel oder nicht Teufel?

 

Elisionen 6

 

Der erste große Coup der Gegenreformation ging von einem Katalanen mit dem Namen Iñigo López de Loyola aus, besser bekannt als Ignatius von Loyola. "Millionen von Seelen", so liest man in dem nie verfilmten Drehbuch Iñigo von Julien Green, "werden gerettet, weil sieben spanische Studenten der Universität Paris sich hingekniet und sich selbst ganz zum Opfer gebracht haben." Die Gesellschaft Jesu ist eigentlich eine Kompanie, der Begriff Kadavergehorsam geht auf sie zurück. Ist die Mitgliederzahl zunächst päpstlicherseits auf 60 Personen begrenzt, wird der Kampforden 1556, dem Sterbejahr des Ignatius, auf bereits 1000 angewachsen sein.

Niemand wird als Heiliger geboren, und so hat auch dieser berühmte Missionar eine Vorgeschichte. Iñigo, adelig, kämpft als Soldat auf spanischer Seite gegen die Franzosen. Während einer Schlacht wird er schwer am Bein verletzt und sofort operiert. Zurück in der Heimat unterzieht er sich einer zweiten chirurgischen Behandlung, da der Apparat, der das gebrochene Bein ruhig halten sollte, auf dem Rückweg durch die Berge entzweigegangen war. Nach der zweiten Operation fürchten die Mediziner um sein Leben. Obwohl er kein Zeichen des Schmerzes gegeben hat, ist Iñigo mehr tot als lebendig. Hier die Auskunft des Chirurgen gegenüber einer der Schwestern des Kranken: "Die Säfte, die sich im Körper Ihres Bruders gesammelt haben, lösen sich nicht, was eine allgemeine Zersetzung des Blutes zur Folge hat. Das ist der Fingerzeig Gottes und wir können nichts dagegen tun, aber... (Schweigen. Der Mediziner hustet und ergreift wieder das Wort:) Die guten Ordensbrüder werden nicht fehlen." Iñigo überlebt und kommt wieder zu Kräften. Aber es ist ein böses Erwachen. Die Chirurgen haben offensichtlich gepfuscht. Die Knochen sind zwar zusammengewachsen, aber ein Buckel hat sich unterhalb des Knies gebildet. Zwei Knochen überlappen sich und der Kranke ist dazu verdammt zu hinken. In seinem Zimmer, in dem auch eine große Christusfigur aus dem 15. Jahrhundert hängt, die von einem "grausamen Realismus" kündet, ist Ignatius nicht bereit, diese Demütigung hinzunehmen, er fordert eine dritte Operation, die einzig dazu dienen soll, das zu kurze Bein zu verlängern. Der erste der beiden verantwortlichen Chirurgen antwortet, dass eine dritte Operation, die die gefährlichste von allen wäre, nicht nötig sei, denn das Bein sei im Zustand der Heilung und mit Gottes Hilfe würde er in einigen Wochen wieder gehen können. Aber hinkend, antwortet Igantius verächtlich. So viel Eitelkeit muss sein für einen jungen Mann, der zwar sehr klein ist, aber in der Welt (der Frauen) noch viel erreichen will. Ignatius ist (noch) ein zorniger Bartleby mit einer ganz konkreten Formel: "Ich will nicht hinken." Der ältere Bruder versucht zu beschwichtigen, dass es nicht ehrenrührig sei zu hinken; der erste Chirurg verweist darauf, dass der Patient extrem leiden würde, da man mit einer Maschine an dem zu kurzen Bein ziehen müsse, um es zu verlängern; der Bruder wiederum verweist auf die vergleichbaren Qualen der Inquisition und der zweite Chirurg erläutert dem Patienten, dass er das Gefühl haben würde, dass man ihm das Bein ausreiße. All das hilft nicht: Ignatius, er sieht dem zweiten Chirurgen mitten ins Gesicht und scheint sehr verärgert: "Handelt es sich um Ihr Bein oder um meins? Ich will nicht hinken, verstehen Sie? (Er schreit.) Ich will nicht hinken! Ich will nicht hinken!" Was instantan folgt, ist eine geniale Rückbindung an die Heilsgeschichte, und man kann es nur bedauern, dass noch kein Kameramann sich an der Engführung von Akustik und Optik des folgenden Nebentexts versuchen musste. Es heißt dort: Die Stimme des Ignatius hallt in diesem Teil des Hauses wider und strahlt zurück in den langen Flur. Man dringt in dem Flur vor, wie um der Richtung des Klangs zu folgen. Dieser Schrei: "Ich will nicht hinken!" lässt sich häufiger vernehmen und ebbt am Fuße eines Kreuzes ab, das das Tor der Schlosskapelle überragt. Man soll hören: "Ich will nicht..." in dem Augenblick, in dem man die Füße von Jesus Christus am Kreuz sieht.

In dieser noch unerhörten Szene würden sich nicht nur Schallwellen überlagern; dadurch, dass ein Wort ausgelassen wird, weil es zu schwach geworden ist, vernommen zu werden, findet eine Überhöhung statt, und in dieser Überhöhung kommt es zu einer maximalen Spannung zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Anspruch, dass auf der einen Seite nicht gewollt wird (der Kelch möge vorübergehen) und auf der anderen kein Pardon gegeben werden kann. Die Grausamkeit der Szene mag darin bestehen, dass das filmisch unterstellte "Ich will nicht..." des Christus schon kein Gegenstand eines Willens mehr ist. Die Prüfung hat längst stattgefunden. Aber natürlich wird hier auch ein Modell vorgestellt. Zuletzt handelt es sich um die Verwandlung des "Ich will nicht" in ein "Ich will (weil ich muss)". Es geht also um die Umstellung von Weltlichkeit auf Transzendenz durch die Löschung der Negation. Und diesen Weg wird der hier noch nicht heilige Ignatius beschreiten. Tatsächlich unterzieht sich Iñigo einer dritten Operation, er ist an eine Maschine angeschlossen. Die imaginäre Kamera zoomt an den gerade behandelten Patienten heran: "'die Augen gefüllt von Schreien', aber der Mund geschlossen." Dann kommt es zu einer eigenartigen Aktion. Martin Garcia, Ignatius' älterer Bruder, ist ebenfalls anwesend; durch eine "plötzliche Inspiration" nimmt er das an der Wand hängende Kruzifix und hält es mit beiden Händen in die Höhe. Man sieht das Gesicht Christus' aus der Nähe. Auch in dieser Szene bekommt es der Kameramann mit einer Engführung zu tun, diesmal aber nicht zwischen Akustik und Optik, sondern zwischen zwei optischen Phänomenen: "Ignatius' Blick folgt der Geste seines Bruders und ruht einen Moment auf dem Kruzifix. Sein Gesicht bietet eine erstaunliche Ählichkeit mit dem, den er betrachtet. Während einiger Augenblicke soll man den Eindruck haben, dass das Gesicht des Ignatius wie ein Wiederschein des Gesichts Christi sei, und man wird darin ein Zeichen der Vorherbestimmung sehen."

Ignatius hat den entscheidenden Christus-Impuls aufgenommen, ohne dass er es weiß. Aber schon bald zeigt er Wirkung. Zunächst lässt die schmerzhafte Behandlung dem Patienten noch Zeit, sich zu langweilen. Er verlangt nach Lektüre. Seine Schwester Marina soll ihm den Ritterroman Amadis de Gaula bringen. An der von Ignatius angezeigten Stelle des Hauses findet Marina zwei Bücher. Aber da sie nicht lesen kann, bringt sie beide. Aber keines von beiden ist das verlangte, statt dem Ritterroman erhält der Bruder Das Leben der Heiligen und Das Leben Unseres Herren. Ignatius möchte ein anderes Buch, aber da die beiden schon mal da sind... In der nächsten Einstellung sieht man ihn lesen, es ist Nacht. Er liest über Franziskus von Assisi, der erst durch den Stachel einer Krankheit zu Gott gefunden habe. Die Lektüre gibt Anlass zu einer weiteren, noch ganz imaginären Engführung zwischen dem Heiligen und Ignatius. Der weltliche Ritter Amadis weicht dem geistlichen Ritter Franziskus. Am Ende geht Ignatius ein Licht auf: Er wirft das Buch weg, das zu Boden fällt. "Aber warum nicht ich? Warum nicht ich? Entstammen die Heiligen nicht dem selben Fleisch wie ich? Haben sie nicht die gleichen Wünsche gehabt? Bin ich dazu verdammt, immer meinem Körper zu dienen, während diese Männer ihn besiegt haben? Mein Gott, ich rufe Dich an. Ich kann nicht mehr."

Ignatius bricht die dritte Operation ab. Eine ganz andere Operation ist ihm vorgeschrieben, sie ist militärisch-kirchlicher Art.

 

Dieter Wenk (3-17)

 

 

Julien Green, Iñigo, in: J.G., Oeuvres complètes II, Textes établis présentés et annotés par Jacques Petit, Paris 1973 (Édition Gallimard), Bibliothèque de la Pléiade, S. 1177-1281