20. März 2017

Folkdays aren't over ... Retro ...

 

Another side of Mark Knopfler mit "Tracker" und Blues Roots bei den Rolling Stones mit "Blue & Lonesome" und ergänzend literarischer Realismus mit "Stories" von Breece D’J Pancake

Vor Jahren rezensierte ich das Buch „Stories“ von Breece D’J Pancake. Beim Lesen von Artikeln über diesen amerikanischen Autor entdeckte ich, dass sich Mark Knopfler für einen Song von Pancakes Schreibe Inspiration holte. Das brachte mich dazu, doch wieder bei diesem Gitarristen reinzuhören. Und ich stieß auf sein aktuelles Album „Tracker“ mit Songs, die wirken wie tief verwurzelt im amerikanische Folk und Blues. Knopflers Erfolgsband Dire Straits wurde Ende der 70er Jahre mit „Sultuns Of Swing“ bekannt. Keiner kam daran vorbei. Gründungsmitglieder der Band waren neben Mark Knopfler sein Bruder David Knopfler und John Illsley und Pick Withers. Mark Knopfler, der Frontmann der Straits, spielte sich allerdings mit seinen Gitarrensoli auch weit, zu weit in den Mainstream. Ich beachtete ihn kaum noch. Aber mit „Tracker“ zieht er mich auf einmal in seinen Bann. Vor fünf Jahren spielte Knopfler live on Tour mit Bob Dylan. Dies dürfte ihn vermutlich ganz in Folk- und Bluessounds gebracht haben. Knopfler ist Brite, stammt aus dem schottischen Glasgow, war einige Zeit Journalist und etablierte sich in der Londoner Szene als Musiker. Er klingt nun mit "Tracker" ungemein amerikanisch.

Songwriting und Literatur

Was Knopfler in seinem achten Soloalbum thematisiert, ist Lebenszeit: Was im Laufe der Zeit alles war, was im Laufe des Lebens alles passierte. Und die Frage: „Was wird sein?“ Zum anderen nennt der 67-Jährige in einem Interview mit „Salon“ einige Literaten, auf die er seine Arbeit bezieht: Außer Breece D’J Pancake nennt er Basil Bunting, einen exzentrischen Lyriker aus dem Umfeld des „Newcastle Evening Chronicle“ und Beryl Bainbridge, eine zu ihren Lebzeiten unterbewertete Autorin und Schauspielerin. Er redet über den Schriftsteller Timothy O’Grady und wendet sich dann Visuellem zu, dem Fotografen Steve Pyke. Für Knopfler soll Songs aufnehmen im Studio ähnlich sein wie mit einem Malkasten Bilder schaffen in einem Atelier. Die Liner Notes für „Tracker“ schrieb der Literat Richard Ford für ihn. Fiktion und Non-Fikton fließen bei dem Projekt „Tracker“ ineinander. Oder anders: Es ist eine „Kollision von Büchern und Orten“.

Musik ohne Filter

„Tracker“ bedeutet Detektiv, Fährtensucher, jemandem oder etwas auf der Spur sein. „Tracker“ gibt sich elitär aber straight. „Tracker“ ist weit in der Songwritertradition Amerikas. Waren Mark Knopflers perfekte Gitarrenlinien immer mal wieder zu glatt, sind sie nun kantiger und schnörkelloser. Der Gitarrist besinnt sich auf Songwriting-Fragmente. Weniger ist mehr. Er tut sogar wie ein Songwriter’s Songwriter. Sagt Dinge wie: „Wer weiß, warum man sich an etwas erinnert, die Sachen kommen von überallher.“ Wenn er annimmt, dass er etwas von Folk und Blues versteht, dann bestätige ich ihm das. Und Knopfler kann auch auf seine Band The Notting Hillbillies verweisen und diverse Kollaborationen mit namhaften Countrymusikern. Mit dabei Emmylou Harris. Er versteht es, aus dem Chaos, das einen im Leben umgibt, herauszufiltern, was für klassische Songs in der Tradition des amerikanischen Songwritings schon immer Merkmal ist. Etwas herausfiltern für einen Song. So einfach konnte man Songwriting auch beschreiben. Wozu kompliziertere Worte haben!? Lieber in einem Club mit Musik sein. Vom Jahr 1983 an wurde Folk, Blues und Rock mit dem Titel „Ohne Filter“ vom SWR in Deutschland präsentiert. Das war für Leute, die auch beim Debüt der Straits mehrmals hingehört hatten und die „Down ToThe Waterline“ als Intro nannten und wussten mehr als drei weitere Band- und Songnamen aufzuzählen. Das war für Leute. die nicht nur die Fernsehsendung „Rockpalast“ kannten. 

Technik und Feeling 

Mark Knopfler, der privilegiert und elitär seine Stücke in besten Aufnahmestudios zusammenbastelt und teuerste Gitarren und Equipmentteile verwendet, tut das alles mit der Geste eines Songwriters, der nicht mehr als eine einfache Akustische besitzt und eine Spur zum Aufnehmen. Dabei ist er Eigentümer der British Grove Studios in London. Sein Gitarrensound, der als laid-back propagiert wurde, hat einen Touch Schwermut und manchmal jazzige Einsprengsel, wenn er sich als Songwriter zeigt. Und dieses leicht Zwiespältige hat das gewisse Etwas. Knopfler produzierte „Tracker“ selbst und arbeitete dabei eng zusammen mit seinem langjährigen Musikerkollegen Guy Fletcher und außerdem mit John McCusker, Mike McGoldrick, Glenn Worf, Ian Thomas und weiteren Gastmusikern. Wer mehr wissen will, muss zuhören. Denn es geht um Songs und Feeling. Keine Erörterung. Einfach Songs.

Blues Roots und The Rolling Stones mit „Blue & Lonesome“

In Mark Knopflers British Grove Studios haben auch die Rolling Stones 2016 ihr jüngstes Album „Blue & Lonesome“ eingespielt. Die Stones, eine britische Musiklegende, waren immer wieder eine Rockband für das Massenpublikum. Auf „Blue & Lonesome“ spielen der 75-jährige Mick Jagger und die Stones jedoch back to the roots astreinen, rohen Blues. Ungeschliffen rauen Sound mit eckigen Riffs, aufgenommen fast ohne Overdubs. Das legt nicht jeder auf. Es ist ihr 23. Studioalbum und besteht aus 12 unkomplizierten Blues-Coverversionen. Außer den Bandmembers Mick Jagger, Keith Richards, Ronnie Wood und Charlie Watts sind dabei Eric Clapton, Darryl Jones, Matt Clifford, Chuck Leavell und Jim Keltner. Produziert hat Don Was, der schon mit den Who’s Who der amerikanischen Country-, Folk- und Rockszene von Bob Dylan über Glenn Frey bis Bob Seger im Studio oder auf der Bühne war. To be continued. Die jahrzehntealten amerikanischen Bluessongs stammen von Buddy Johnson, Howlin’ Wolf, Memphis Slim, Magic Sam, Little Walter, Miles Grayson, Lermon Horton,Eddie Taylor, Little Walter, Otis Hicks, Jerry West, Ewart G. Abner, Jimmy Reed und Willie Dixon. Der urbane Blues entstand ab den 20er Jahren. In den 40er Jahren wurde der ländliche Delta-Blues in Chicago elektrifiziert. Wer hört heute noch Chicago-Blues? Es ist fast wie Zeitversetzung in die 40er, 50er und 60er Jahre. In den 60er Jahren fing der Bluesrock, Rhythm and Blues und Rock'n'Roll der Stones an. Mit dem aktuellen „Blue & Lonesome“ sind sie wieder bei Blues-Standards. Traditionell und kontemporär.

Namedropping im Diskurs 

Dass man mit Mark Knopfler immer auch nah am Mainstream ist, zeigt seine Nominierung für den Echo 2016, eine Auszeichnung der Deutschen Phono-Akademie, die nicht nur nationale Popstars, sondern auch internationale Musiker präsentiert. On the road. Business. Show. Sold out.

Musiker, die im Studio oder auf der Bühne mit Mark Knopfler und den Dire Straits zusammenspielten, sind u. a. Hal Lindes, Terry Williams, Jack Sonni, Omar Hakim, Mel Collins, Chris White, Phil Palmer, Chris Whitten, Danny Cummings und Paul Franklin. Diese wiederum fand man bisher in der Folk-, Blues- und Jazzszene mit Bands und Musikern wie Lindisfarne,The British Blues All Stars, Fish, Rockpile, Weather Report, George Benson, Clannad, Alexis Corner, Bad Company, Camel, Alvin Lee, Wishbone Ash, Eric Clapton, Johnny Cash, Rodney Crowell oder John Martyn. Credits. Reputation. Blues-Sound. Jazzrock. Folkdays.

Zurückzukommen auf Breece D'J Pancake – „Stories“

Hinterwäldlerweisheit statt Weltgewandtheit 

Realismus – Amerikanischer Realismus

Realismus ist schon immer eine Geisteshaltung. Ob im 19. Jahrhundert in der Literatur, ob in der Neuen Sachlichkeit der Malerei des 20. Jahrhundert oder heute hier wie dort. Auch Realismus existiert noch in der Postmoderne. Realismus ist einfach betrachtet für alle und jeden das Fassbare, Objektive. Aber Realismus ist weit mehr.

Der amerikanische Realismus des Autors Breece D'J Pancake ist erst einmal einordnenbar in klassische amerikanische Story. Exakter Realismus und keine weiteren Ismen. Aufmerksamer betrachtet: Präziserer Realismus lässt sich kaum schreiben. Bei der Annäherung an Pancake lässt sich zudem begreifen, dass es Abstufungen im Realismus gibt. Und dass Pancake sehr weit gegangen ist. So weit, dass er es offenbar nur ertrug, ein Werk vom Umfang eines Buchs zu schaffen. 

Scheint beispielsweise des öfteren Automatismus risikobeladen für einen Autor und Künstler gewesen zu sein, so sollte man vielleicht sagen: Sei vorsichtig mit dem Realismus. Mit realistischen Sichtweisen und darin verschiedene mögliche zu kombinieren. Eine Vielzahl realistischer Positionen kann wissenschaftlich erörtert und diskutiert werden.

Hillbilly

„Almost heaven, West Virginia / Blue Ridge Mountains, Shenandoah River / Life is old there, older than the trees / Younger than the mountains growin' like a breeze …“ (John Denver, Sommer 1974).

Breece D'J Pancake lebte ab 1952 in West Virginia. 1979 nahm er sich mit 27 Jahren in Charlottsville das Leben. Nachdem er 12 Geschichten geschrieben hatte.

Mit Namen Breece Dexter Pancake in Milton geboren, studierte er in Buckhannon und Hurlington, unterrichtete Englisch und besuchte Schreibkurse. Als Hillbilly distanzierte er sich gerne von anderen. Pancake schätzte den Singer-Songwriter Phil Ochs, der sich als singender Journalist bezeichnete mit topical songs und der das Umfeld von z. B. Joan Baez, Pete Seeger and Bob Dylan und auch die Metropole New York frequentierte. Der Begriff Hillbilly gilt nicht nur in der Musik. Vielleicht kann man Pancakes Literatur old time literature nennen. Bewusst der Country Music, der Mountain Music nicht abgewandt. Das Getümmel von New York schien Pancake nicht anzuziehen. Er blieb in West Virginia, auch The Mountain State genannt. Einer der ärmsten Staaten Amerikas. Seine ersten Geschichten veröffentlichte Pancake in „The Atlantic Monthly“. Erst vier Jahre nach seinem Tod erschienen seine Storys als Buch. Und wurden nun bei weissbooks erstveröffentlicht in deutscher Übersetzung von Katharina Böhmer. 

Pancakes Kulturkosmos

Pnakaces literarische Welt war der raue, harte Alltag von Arbeiter-, Bergleuteexistenzen in der Provinz. Oder Hilfsarbeitern, die beruflich lieber unterwegs waren als in einer Heimat. Nicht der „american dream“ war Pancakes Thema, sondern die Welt des einfachen Mannes. Nennt Jayne Anne Phillips die „Stories“ von Pancake die amerikanischen „Dubliners“ (James Joyce), so hat sie, was die Qualität angeht, sicherlich recht. Und Pancake hätte auch ein umfangreicheres, großartiges Werk vorlegen können. Aber er wäre vermutlich in eine andere Sphäre als die des Joyceschen „Ulysses“ vorgedrungen. Er war zu sehr, zu tief Realist. In völlig frei fließende Assoziationen wäre Pancake wahrscheinlich literarisch nicht gegangen.

Pancake schrieb über ein pures, aber eher grobes Leben ohne das dekadent Verfeinerte einer Großstadt. Ohne sophisticated Kosmopolitismus mit einzubeziehen. Das unterschied ihn von jemandem wie Hemingway. Auch wenn er diesem nicht ganz fern war. Pancake stand einem wie Faulkner näher. Auch Faulkner schrieb über Provinzler. Aber Pancake war purerer Realismus als Faulkner. Faulkner hatte eine zusätzlich reflektierende Ebene, die Pancake wegließ. Pancake war direkter, noch schnörkelloser. Ländliches, Menschen, Dialoge. Das genügte für einen reduzierten, aber perfekten, exzellenten, schonungslosen Realismus.

Wieder einmal vielleicht bei amerikanischem Realismus den Maler Edward Hopper erwähnen. American Scene. Als Anhaltspunkt, Hinweis. Hopper war analytischer, klarer Realismus. Wie ihn Pancake in der Sprache anlegte. Pankake ging nur im Härtegrad weiter. Pancake war spröder, aber wohl auch noch einfühlsamer. Wie mit einer Lupe betrachtete er alles und gab dann seine Beobachtungen in seiner Literatur weiter. 

Abenteuer der Wirklichkeit 

Die Frage nach der Realität stellte kürzlich auch die Münchner Hypo-Kunsthalle mit der Ausstellung „Das Abenteuer der Wirklichkeit“. Die Moderne spricht auch vom Zweifel an der Darstellbarkeit der Realität. Davon, dass Objektivität zum Paradoxon wird. Realismus ist ein komplexes Phänomen. Realität ist Konstruktion. Selten detailliert und genau jedenfalls ist Pancake in die literarische Darstellung von Realität gegangen. Und ab einem bestimmen Maß an Genauigkeit der Realität ist das für einen Künstler vielleicht schwer zu ertragen. Warum brachte ein Talent wie Pancake sich um? Vielleicht sah er zu präzise?

Abenteuer des Schreibens

In den Geschichten von Pancake immer wieder auftauchend dominierende Männer und deren Grausamkeit. Gegenüber der Welt der Frauen. Und überhaupt. So war das damals in der Provinz. Wohl nicht nur damals und dort.

„… Er fühlte sich leer vom vielen Reden mit ihr und wollte nicht da sein, wenn sie wach wurde …“ („Der Schläger“) Pancake, wach, schrieb. „… Ottie hört Sheila lachen, aber tiefer , als er es in Erinnerung hat. Früher war ihr Lachen höher, und die alte Frau scheuchte sie über die Veranda und sagte: ,Bitte nicht Schätzchen. Ein Lebewesen kann fühlen.‘ …“ („Bei dieser Trockenheit“) Pancake, fühlend, schrieb.

Pancake, sensibel, aber unpathetisch, knallhart beobachtend, schrieb. Und brachte sich dann um. Ihm als Autor war Brutalität gegenüber anderen, wie sie etwa seine Protagonisten ausführten, fremd. Pancake, ein Realist, der der Welt zu früh abhanden kam.

 

©  Tina Karolina Stauner, 2017/2011

Breece D'J Pancake: Stories

Übersetzt von Katharina Böhmer

Verlag Weissbooks, Frankfurt am Main, 2011

 

Mark Knopfler: Tracker, 2015

(Virgin / Verve / Universal Music)

 

Rolling Stones: Blue & Lonesome, 2016

(PolydoreRecords / Universal Music)

 

www.markknopfler.com

www.rollingstones.cpm

www.weissbooks.com/autoren/breece-d-j-pancake