10. März 2017

Rück-Schlag

Gobineau: La Renaissance

 

Ein Trauerspiel in fünf Akten. Es beginnt mit dem Aufstieg und Fall eines religiösen Fanatikers, Savonarola. Der zweite Akt zeigt den Abenteurer Cesare Borgia auf dem Rad der Fortuna. Den Höhepunkt bildet die atemberaubende Fürstwerdung eines Papstes, Julius II. Der vierte Akt offenbart die finanziellen Konsequenzen der päpstlichen Verweltlichung (Leon X.). Zuletzt spielt Italien schon keine Rolle mehr, ein Gespräch unter Greisen mit Michelangelo reflektiert die "gute alte Zeit". Aber was ist dieses Italien der sogenannten Renaissance? Ein Flickenteppich aus Fürstentümern und Republiken und einem pontifikalen Rom als Machtfoyer. Immer wieder wird der französische König um Unterstützung gebeten, andere Fremde sind schon des Längeren Partikularbesetzer der Halbinsel (Spanien). Das religiöse Element ist ein vernachlässigbarer Vektor im politischen Machtkampf. Und darin liegt die Attraktion dieser Zeit: Eine nie gekannte Bewegung und Beweglichkeit. Bündnisse werden geschlossen und zerfallen sogleich wieder, es ist eine Zeit der Depeschen, der Kondottieri, der Versprechungen, der Lügen, der Dissimulationen. Gift spielt eine große Rolle, und natürlich der Ruhm. Und damit der Schein.

Hier kommen die Künstler ins Spiel. Und auch hier zeigt sich Beweglichkeit. Wer am meisten zahlt, bekommt die besten Exemplare. Was nicht immer heißt, dass am Ende, nach getaner Arbeit, tatsächlich gezahlt wird. Vor allem Rom, der Vatikan, rüstet auf, die Sixtinische Kapelle, die Peterskirche; die Privatresidenzen der Kardinäle wollen ausgestattet sein, das ist sehr prachtvoll, kostet aber auch viel Geld, das man nicht hat. Martin Luther wird Papst Julius II. wegen seiner fortgesetzten Kriege als "Blutsäufer" bezeichnen. Gobineau zeigt uns ausgiebig diese andere Seite der Renaissance. Sein Buch ist keine gelehrte Abhandlung, auch wenn die die jeweiligen Abschnitte einleitenden Expositionen den Anspruch einer Übersicht vermitteln. Die Renaissance kommt erst in den jeweiligen Dialogen zu sich. Das entsprechende Setting – Papstpalast, Kirche, fürstliche Residenz, Straßen, die Etappe des Krieges, Aufstände, Gespräche unter Künstlern – lässt eher an Filmkulissen als an Dekorationen des Theaters denken. Auch hier zeigt sich die enorme Beweglichkeit. Es ist die große Kunst der aphoristischen Narration, die für Gobineau einnimmt. Viele Übergänge sind nachträglich zu konstruieren, Tableaus werden gebaut und als solche stehen gelassen, weil sie von selbst zerfallen. Vielleicht sucht der Leser das hagiografische Element, aber er wird es nicht finden, kein Held, der nicht zugleich ein Schurke ist, keine Majestät, die sich nicht zugleich unmöglich macht. Dabei fallen zwei Gestalten auf, die man unschwer als Sprachrohr des Autors interpretieren wird, Machiavelli und Michelangelo. In Machiavelli wird sich der Diplomat Gobineau wiedererkannt haben. In der Weltläufigkeit des Florentiner Sekretärs, aber auch in der Begrenztheit der Wirkmächtigkeit. Zuletzt ätzt Machiavelli mit passenden Sarkasmen gegenüber denen, die glauben, mit Wortlaub und Begriffszunder eine neue Welt aufbauen zu können. Sehr modern lässt Gobineau den Florentiner sagen, dass "keine Politik konjekturaler sei als die Politik". Mit Blick auf die Bereitschaft vieler Leute, sich politische Hoffnungsträger schmackhaft zu machen, heißt es: "Man saugt sich mit einer inkommensurablen Hoffnung unbegreiflicher Dinge voll; man spricht, man schreit, man erregt sich, man denkt an nichts auf der Welt und man trinkt, man trinkt, man trinkt ohne Unterbrechung aus einer Schale von Gefühlen, deren Tönung ständig wechselt." Hier spricht offensichtlich nicht der verfemte Autor des Principe.

Und die Kunst? Und die Künstler? Dekoration, Schmuck, großartiges Beiwerk. Der Umgang Julius II. mit den Künstlern, selbst den größten, ist despotisch. An den einschlägigen Stellen lässt sich illusionslos studieren, was Auftragskunst heißt. Die Dividende des Renommees wird noch heute ausgezahlt. Unter Umkehrung der Verhältnisse. Machiavellistisch im herkömmlichen Sinn könnte man sagen, dass der schöne Schein staatsräsonal unterfüttert ist. Der schöne Schein des Despotismus macht vergessen, dass ohne das einigende Band der Kirche die Anarchie ins Haus stünde. In diesem Sinne ist auch Michelangelo immer ein religiöser Künstler gewesen, im Auftrag des Glaubens und der Tugend. "Jetzt", es spricht der 89-jährige Michelangelo, "ist alles aus. Das Feuer brennt nicht mehr. Es gibt kein Italien mehr. Die, die wir verachtet haben, werden unsere Herren. Die Künstler sind zugrunde gegangen. Ich bin der letzte Überlebende der heiligen Phalanx; was man mit dem gleichen Namen des Ruhmreichen bezeichnet, den wir getragen haben, das sind nur noch Händler, und dabei sind sie auch noch unverschämt." Anders als Machiavelli ist dieser Michelangelo alles andere als verbittert. Er erkennt seinen Rang und sieht die Grenze. Zuletzt ist man alleine, mit genau nur seinem eigenen Zusammenhang, der nicht übertragbar ist. Das ist die Erkenntnis eines greisen Künstlers, die ihn gleichwohl zu einer modernen Figur macht. Das ist die ganze großartige Idiotie.

Dieter Wenk (2-17)

Gobineau, La Renaissance, in: Gobineau, Oeuvres III, Édition publiée sous la direction de Jean Gaulmier, Paris 1987 (Éditions Gallimard), Bibliothèque de la Pléiade, 579-929