24. Januar 2004

Die Teufel sind oben

 

Als der Türke Ali (gespielt von Günter Wallraff) in den 70er Jahren durch die bundesdeutschen Betriebe geisterte, konnte man als Spätnachkomme der 68er-Generation diesem Auftritt nicht mehr als ein ambivalentes Gefühl entgegenbringen. Irgendwie war die Zeit vorbei, bestimmten Gesichtern (Strauss) oder Institutionen („Bild“) die Schuld zuzuschieben, ausschließlich oder nicht. Lähmung, bleierne Zeit – als Vorbedingung eines sich anschließenden fröhlichen Vergessens.

Dieser von Alain Delon produzierte Film spielt in den höchsten Kreisen gesellschaftlicher Gewalt, Abgeordnete, Richter, Präsidenten, und der ganzen demi-monde der Kletten als notwendiges Attribut einer Welt, die selbst schon mehr als halb in der Unterwelt sich aufhält. Das Problem der Wirklichkeit – die unmögliche Unterscheidung zwischen gut und böse – wird zum Konstruktionsprinzip des Films, insofern die bloße Zugehörigkeit zu bestimmten Kreisen die Kontamination mit der Korruption einschließt. Eine bestimmte Persönlichkeit zu attackieren heißt also nicht, ein Problem zu lösen.

„Der Fall Serrano“ führt vor, dass alles nicht so schlimm wäre, wenn alles nur einmal passieren würde und die Welt einfach weiterginge. Leider aber gibt es immer schon Aufzeichnungen, die von den Dingen, die da passiert sind, berichten. Das ist die wahre Erbsünde. Und deshalb ist das Problem nicht gelöst, wenn die Person Serrano stirbt, weil sie eine Akte führt. Die Akte lebt irgendwo weiter und bedrohlicher als je zuvor. Deshalb stirbt überflüssigerweise Philippe (Maurice Ronet), der Mörder Serranos – denn die Akte ist schon längst woanders. Totale Mobilmachung in den obersten Kreisen.

Der Anwalt (Alain Delon) des ermordeten Mörders, der sich im Besitz der kompromittierenden Papiere befindet, nimmt die Herausforderung an, er hat nur noch eine Frage an die Welt: Wer hat meinen Mandanten, der zugleich mein Freund war, getötet. Alain Delon ist also in der Position des Türken, der es wissen will. Aber eigentlich weiß er schon zu viel, nämlich dass dort, wo er sucht, niemand eine weiße Weste haben wird. Eine Frage der Ehre, doch bis zum Ende zu gehen.

Schöne Frauen treten auf (von Stéphan Audran, die vom Alkohol gezeichnet ist, über Mireille Darc bis hin zur blutjungen Ornella Muti als Abgeordnetenhäschen) und zeigen erneut, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Obskure Wichtigtuer (Klaus Kinski) fahren hier und da mal vor, sagen ihren Spruch auf aus der höllischen Unterwelt, und ziehen sich wieder zurück. Bösewichter, die sich zu weit vorwagen in diesem subtil austarierten Spiel, werden wie Jagdwild erlegt oder fallen schließlich in die Hände des Helden, den zwar alle verfolgen, einschließlich Polizei, den man aber nicht einfach umbringen kann, weil er als Subjekt, dem unterstellt wird zu wissen (die Akte), zu kostbar ist, um als bloßer Strohmann zu fallen – ein Nachfolger würde schon bereitstehen, schließlich lebt man nicht  mehr im Zeitalter des Originals, sondern der Vervielfältigung, was für Menschen wie Papiere gilt.

Leider scheint diese Wahrheit am Ende des Films in Vergessenheit geraten zu sein. Es gibt nämlich dann tatsächlich einen Schuldigen, aber wie dieser hier vorgeführt wird, ist ein Aberwitz, den man in der Logik des Films nicht unterbringen kann. Man schüttelt den Kopf und fragt sich, ob man irgendwas verpasst hat. Nein, wer auch immer hat dem Film ein dämliches Ende verpasst.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Georges Lautner, Der Fall Serrano (Mort d’un pourri), Frankreich 1977</typohead>