Vom Rand in die Mitte zielen
Im Museum erwarten wir das Echte, Wahre und Schöne in seiner Intersubjektivtät. Vom Comics erwartet wir das nicht. Er soll nur unterhalten. Der Louvre, und wenn ich hier vom Museum spreche, meine ich die für bildenden Künste, vergibt Jährlich einen Auftrag an einen Comiczeichner, die einzige Vorgabe ist, dass er selbst thematisiert wird. Ein echter Makel, dass es einen solchen Auftrag in Deutschland nicht auch gibt. 14 Aufträge wurden bereits vergeben. Die Zeichner Enki Bilal und David Prudhomme wurden bereits ins Deutsche übersetzt. Letzterer war am konsequentesten, indem er sich wie ein zeichnender Ethnograf auf das Beobachten der Museumsbesucher beschränkte. Viele der anderen Zeichner verschwurbelten sich, vielleicht aus Ehrfurcht vor der E-Kultur, arg irgendwo zwischen privaten Mystizismen und Geschichtsdokumentation. Jirô Taniguchi hat mit „Wächter des Louvre“ den neuesten Auftrag erfüllt, der ist jetzt auf Deutsch erschienen. Detailgenau und gut recherchiert erzählt Taniguchi die (Malerei-)Geschichte des Louvre und verknüpft sie mit seinen und japanischen Vorlieben. Leider ertrinken die, oft fotogestützten, Zeichnungen sämtlich in einer Kontrastarm braunton bestimmt blassen Harmlosigkeit. Im Fieberwahn reist Taniguchis Alter-Ego-Protagonist durch Zeiten und Räume. Im Louvre wird er zeitweise von einer Renaissanceschönheit begleitet, später von trifft er hier seine Ex-Freundin. Dazwischen schwenkt er zu den original Schauplätzen Camille Corots, der eine große japanischen Fangemeinde hat, was ich so nicht wusste, und fährt in van Goghs Atelier – was als Statement gelesen werden muss, wurde er doch nie im Louvre aufgenommen. Und setzt er doch mit seinen impressionistischen Mitstreitern den Endpunkt der Louvre-Sammlung. Die Sammlung des Louvre endeten Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute geht es im Musee d´0rsay, bei den Impressionisten weiter. Auch dies Museum hat jetzt seine erste Graphic-Novel-Zeichner: Manuele Fior. Anders als der fleißig blasse Jirô Taniguchi löst Fior seine Aufgabe mit lockerer Brillanz. Dabei ist das Cover sein bester Einfall; ein Pariser U-Bahneingang am Strand, in einem Rousseau-artigem Dschungel, mit überwucherter Vase und Säulenstumpf, Kunstlicht im Baum und Degas- (wenn ich mich nicht täusche) Bildzitaten. Auch Fior navigiert in Zeitsprüngen durch fiktive Räume, wie Taniguchi. Von der Kunstszene der Impressionisten, durch deren Bildlandschaften zur Jetztzeitgeschichte einer Museumswärterin, die sich in einen Rousseau hineinträumt. Doch die angedeuteten Erzählungen bleiben anekdotische Fragmente. Wobei auch formal der Comic nicht überzeugt, so will sich zwischen den Panels keine wirkliche Spannung aufbauen. Es scheint, bei den meisten Museumscomics, als fördere dieser Ort den Hang zur Verklärung. Dabei wäre die Nachrevolutionäre Öffnung des Louvre 1793 und die Enteignung der königlichen Sammlung 1870 einer genauen Erzählung wert. Oder bieten genug Stoff zur Industrierevolutions- oder Kolonialgeschichte.
Wie es besser geht, zeigt Ben Gijsemans mit „Hubert“. Besser meint hier auch, konsequenter an der Realität. Ben Gijsemans Protagonist Hubert pendelt in seiner Freizeit zwischen dem Musee d´Orsay, dem Louvre und dem Musée royaux des Beaux-Arts-Brüssel. In ihnen spinnt er seine Fäden, deren Enden im heimischen Laptop und vor seiner Staffelei zusammenlaufen. Hubert fotografiert Kunstwerke und malt sie zu Hause, im Kleinen und ohne Anspruch auf Veröffentlichung, nur für sich nach. Gleichzeitig fällt sein Blick durchs Fenster auf die Nachbarin. Dabei wird der ganze „Hubert“ wie Taniguchis „Wächter des Louvre“ von einem braun-milchigen Grundfarbton bestimmt. In diesem Fall aber in meisterhafter Manier. Dieser Grundton ist wie ein weiterer Darsteller, der Zeit und Stimmung der Geschichte umfassend bestimmt. Hubert kopiert so lange das bereits Vollendete, bis er sich selbst gebärt. Das macht er, indem er aus seinem Fenster sieht. Anders gesagt: Hubert passt sich in verkleinertem Maßstab an die ewigen Museumswerte an, bis er diese im Alltag wieder er- bzw. findet. Und was sind Gemälde anderes als Fenster in der Wand. Dass Hubert vielleicht schon zu alt, schwach und stur ist, um sich zu Ende zu gebären, könnte die Tragik der Geschichte sein, auch das wird im Comic angedeutet.
Mit dem Original verbinden wir das Echte, mit dem wir das Wahre und mit diesem das Schöne verbinden. Und mit dieser Trias verknüpfen wir seit ca. 200 Jahren auch die Vorstellung des Wahrhaftigen und des Eigentlichen. Wer also das Originale besitzt, ist auch im Besitz dieser Begriffe. Das Museum stellt diese Begriffe aus und erklärt sie zum schützenswerten Kulturgut. Das Museum schreibt Geschichte, indem es diese Begriffe zeitlich und stilistisch ordnet, auch um sie anschließend für abgeschlossen zu erklären. Hergestellt wird das Kunstgut von der Mittelschicht, der bürgerlichen Klasse. Von jenen, die sich keine Originale leisten können. Jene, die es wertschätzen, sich mit Kunst, wie wir sie seit 200 Jahren kennen, zu beschäftigen. Gesammelt wird von der Oberschicht von jenen, die sich Originale leisten können. Heute werden große Sammlungen zeitgenössischer Kunst fast ausschließlich von Privatpersonen angelegt und geführt. Zu dieser Anlage geben Museen, auch mithilfe ihres wissenschaftlichen Apparats, nur noch ihren Segen. So schreiben Privatpersonen Geschichte. Die avancierte, avantgardistisch geprägte Mittelschicht, so wie wir sie seit ca. 200 Jahren kennen, wehrte sich lange gegen eine Vereinnahmung ihrer Werte. Die Umwertung, indem die Kopie zum Original erklärt wurde, war so ein widerständiger Akt. Mit diesem wurde die Übereinkunft, was als das Eigentliche, Wesentliche, Wahre und Schöne ist, infrage gestellt. Diesen Begriffen wurde das Profane, Banale und Alltägliche entgegengestellt. Dafür sind Marcel Duchamps und Andy Warhols Arbeiten beispielhaft. Dieser Akt der Umwertung aber musste innerhalb der Parameter von Originalität und Authentizität geschehen. Nun lassen sich diese nicht vererben, hier bricht die Tradition der Avantgarde ein. Seitdem werden keine Werte, sondern nur noch Strategien und Gesten vererbt. In einer Welt des Massenindividualismus, in der sich jeder seine Turnschuhe selbst zusammenstellen kann, befinden sich die Kunst und ihr Anspruch auf Originalität in einer Krise. Wenn auch nur einer der symbolischen Repräsentation. Sicher ist Film, jenseits der Museen, heute das bildgebende Medium für unsere Gesellschaft. Und der Comic nur eine Randerscheinung. Was nicht heißt, dass man vom Rand aus nicht in die Mitte zielen kann.
Christoph Bannat
Hubert
96 Seiten , 24 Euro
Jacoby & Stuart
Die Wächter des Louvre
136 Seiten, 29,90 Euro
Carlsen
d`Orsay-Variationen
72 Seiten, 19,95 Euro
avant-Verlag
Einmal durch den Louvre
80 Seiten, 20 Euro
Reprodukt
Robert Hubert ,* 9. Februar 1908 in Alençon, Frankreich; † Juli 1978 in Paris.