27. November 2016

Autor Normalverbraucher

 

Einmal traf ich einen Autor, der beschwerte sich, dass jeder Tag gleich verlaufe und er nicht vorankomme. Das tue mir leid, sagte ich ihm und wollte schnell wieder gehen, aber er hielt mich auf, ließ mich nicht gehen, nahm mich quasi gefangen. Er wollte, er musste reden. Wieder mal war ich am falschen Ort, zur falschen Zeit. Und jetzt saß er vor mir, mit glänzendem Gesicht, leicht glasigen Augen und einer hippen Brille, die, wie ich erschrocken feststellen musste, der meinen erstaunlich ähnlich sah.

Kaum jemand liest meine Texte, klagte er jetzt.

Das kann dir doch egal sein, sagte ich. Ich duzte ihn; hätte ihn aber am liebsten gesiezt, um damit wenigstens etwas Distanz zwischen uns zu wahren. Aber dann hätte er mich wahrscheinlich durch seine Brille, die auch die meine hätte sein können, sicher nur verstört angeglotzt und mir nahegelegt, dass ich ihn ruhig duzen könne, zumal wir – und auch das fiel mir unangenehm auf – etwa im gleichen Alter waren.

Aber man möchte doch gelesen werden, jaulte er nun.

Sicher, sagte ich, nur wenn nicht, dann eben nicht, wen interessiert’s.

Das stimmt natürlich, pflichtet er mir sofort bei. Liest ja heutzutage ohnehin kaum noch jemand, fügte er noch hinzu und rang sich ein ironisches Grinsen ab. Seine Zähne waren gelber als meine – wenigstens unterschieden wir uns darin. Ich wollte weg, wusste aber nicht wie.

Darf ich dir was geben?, fragte er mich jetzt.

Was?!

Ich hab einen Text bei mir. Keine Sorge, er ist nicht lang.

Ich machte mir keine Sorgen, aber ich konnte nicht glauben, dass das bebrillte Glanzgesicht jetzt tatsächlich eine grüne Mappe aus seiner Adidas-Umhängetasche hervorzauberte, aus der er ein leicht abgegrabbeltes Din-A4-Blatt entnahm und es mir aufgeregt reichte.       

Das Blatt war in kleiner Schrift – Times New Roman, ich vermutete allerhöchstens Schriftgröße acht – zu Dreiviertel vollgeschrieben.

Hab Ja gesagt, ist nicht viel.

Und was soll ich damit?

Lesen.

Da ich mich nicht traute, Nein zu sagen, las ich.

Und?, fragte er mich, nachdem ich den Text gelesen oder vielmehr überflogen hatte.

Was soll ich sagen?

Ist es gut? Ein kleiner Speicheltropfen schoss ihm aus dem Mund und verfehlte mich nur knapp.

Das musst du doch wissen. Schon wieder duzte ich ihn!

Ich weiß, dass es ein bisschen radikal ist.

Radikal?

Zum Beispiel die Stelle mit den Arbeits- und Erziehungslagern für Hartz-IV-Empfänger und Homosexuelle.

Mal abwarten, was die Zeit noch bringt.

Eine hübsche Frau lief an uns vorbei, er nahm sie gar nicht wahr, was auch egal war, denn sie uns auch nicht. Zwei identische Brillen in einer Kneipe sind ja auch kein besonderer Hingucker. Ich wurde müde.

Ich glaub, es ist gut, sagte er, sogar sehr gut, denke ich jedenfalls.

Na dann ist doch alles klar.

Versteht nur keiner.

Tja.

Das ist übrigens der Anfang zur Einleitung meines Romans. Meines zweiten! Den ersten wollte auch keiner lesen.

Das tut mir leid.

Leider ist Schreiben mein Leben!, wurde er jetzt pathetisch.

Das ist sehr traurig.

Wieso?

Egal.

Die hübsche Frau drehte um und kam nochmals an uns vorbei. Ich lächelte sie an. Sie lächelte nicht zurück, sondern tat, als wenn sie es nicht bemerkt hätte. Ich wollte weg, nur weg von hier, weg aus diesem Laden, und vor allem weg von meinem Brillenspiegelbild.

So, ich muss dann mal los, muss morgen früh raus.

Morgen ist Sonntag.

Ich muss in die Kirche.

Bist du gläubig?

Wie man’s nimmt. Ich bin Pastor.

Oh, das hätte ich jetzt aber gar nicht gedacht.

Der Autor nahm es mir tatsächlich ab.

Du wirkst eher wie jemand aus der Werbebranche. Das sollte jetzt aber keine Beleidigung sein.

Kein Problem, kam auch nicht so rüber.

Katholisch?

Was?

Katholischer Pastor?

Ja, ja. Also dann.

Vielleicht sieht man sich ja noch mal.

Ja, vielleicht.

Aber auf jeden Fall danke für deine konstruktive Kritik.

Äh, ja gerne.

Ich verließ den Laden und ging gleich in den nächsten. Auch da waren etliche Brillen. Viele potenzielle Autoren also auch hier. Ich achtete besonders darauf, dass ich mich nicht in die Nähe von jemanden setzte, der ähnlich aussah wie ich. Ich fand einen Platz ganz am Ende der Theke. Hier war ich sicher. Gut, dass ich kein Autor bin, dachte ich und bestellte ein Bier.

Ist hier noch frei?, vernahm ich es zu meiner Rechten.

Ein Brillentyp mit Umhängetasche pflanzte sich auf den letzten freien Barhocker neben mir.

Was machst du?, fragte er mich nach nur wenigen Sekunden des Schweigens.

Ich bin in der Werbebranche, sagte ich, exte mein Bier und bestellte sofort ein neues.

 

Jörn Birkholz