22. Januar 2004

Geld und Heil

 

Kurz nach Erfindung des modernen Intellektuellen durch Emile Zola Ende des 19. Jahrhunderts wird er auch schon wieder arbeitslos. Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts macht der Pariser Verlag, bei dem der Schweizer Denis de Rougemont als Redakteur arbeitet, Pleite. Er verliert seine Stelle, wird arbeitslos. Trotzdem: Kann man als Intellektueller überhaupt arbeitslos werden? Die alte Unterscheidung zwischen Beruf und Berufung. Der Intellektuelle kann seinen Job (Beruf) verlieren, aber nicht seinen Auftrag (Berufung). Wie aber, wenn der Intellektuelle seinen Auftrag verfehlt (1927 erschien „Der Verrat der Intellektuellen“ von Julien Benda)? Wie, wenn er so sehr frei schwebt, dass er die Bodenhaftung verliert und die Sprache des „Volks“ nicht mehr versteht und umgekehrt.

Denis de Rougemont nun geht nicht zum Arbeitsamt, sondern verschwindet mit seiner Frau auf die Ile de Ré, wo er hofft, mit dem Schreiben von ein paar Artikeln den Lebensunterhalt verdienen zu können, den er für die Insel braucht. Der Schweizer merkt schnell, dass er tatsächlich reif für die Insel ist. Das Volk, und vor allem das Inselvolk, ist anders, als er es sich und wohl auch viele andere gedacht haben. Die Leute wissen eigentlich nicht, was er da so den ganzen Tag macht. Die Schreibmaschine finden sie ganz interessant. Kommunikation in seinem Sinn kommt überhaupt erst mit dem und über den Pfarrer zustande. Aber er muss feststellen, dass in Sachen Politik die schönste Unordnung herrscht. Das Volk denkt nicht (mit).

Das ist ja die klassische These der Daseinsberechtigung des Intellektuellen. Er weiß, wo es lang geht, und das muss er halbwegs verständlich auch mitteilen können. Aber es sieht nicht gut aus für den Intellektuellen. In Paris wird nur noch unverständliches Zeug produziert („Avantgarde“), und auf den Inseln und in der Provinz trifft man auf Leute, die noch nicht einmal Fragen stellen, sondern entweder stumpf sind oder alles nachplappern, was ihnen so vorgesetzt wird. Denis de Rougemont tritt für eine (neue) Nützlichkeit ein, er macht sich stark für ein echtes Engagement (Sartre hat das wohl nur noch popularisiert), und sein modernisierter cartesianischer Fundamentalspruch lautet: „Ich denke, also bin ich mitten drin.“ Genau, Mao Tse Tung hat das allerdings sehr radikal ausgelegt, die 68er wiederum gaben dem einen akzeptablen romantischen Unterstrich. Man durfte scheitern. In den 30er Jahren ist aber noch alles offen, Politik außergewöhnlich personalisiert. Warum sollte da der Intellektuelle hinten anstehen.

Und doch erstaunt es, dass de Rougemont auf keinen anderen als Goethe zurückgreifen will. Der Bildungsgedanke als gelungene Vermittlung zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen. Und zwar als „notwendige Verbindung“ gedacht. Aber anders als bei Goethe geht es nicht länger um die Verwirklichung eines einzelnen Selbst, sondern um die Informierung „einer neuen Welt“, deren gegenwärtiger Zustand als chaotisch, falsch und gefährlich beschrieben wird. Ohne das auszuführen, stellt sich de Rougemont irgendwie eine universale Kirche vor, auf jeden Fall eine Respiritualisierung, Kommunikation als Kommunion.

Witzigerweise hat sich der Verlag gleich auch die Rechte einer zukünftigen Verfilmung dieses Tagebuchs gesichert, und es gibt eine Szene, ganz am Schluss, wo ich ganz gern das Gesicht des Denis de Rougemont gesehen hätte. Er beschreibt da, wie er auf eine Gruppe junger Leute stößt (er selbst ist knapp 30), die plötzlich in Lachen ausbrechen. Er ist so sehr irritiert, dass er vergisst, über was er gerade nachgedacht hat. Und dann sagt er, dass er während der Zeit eines neuralgischen Schmerzes die Nutzlosigkeit zu denken empfunden hätte in einer Welt, „wo man genau so lacht.“

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Denis de Rougemont, Journal d’un intellectuel en chômage, Paris 1937</typohead>