2. Oktober 2016

Medien haben ihre Berechtigung

1. Der Autor in der Schirn, Comic-Ausstellung, 2016. Foto: Ariane Binder
2. Emil Orlik, der Maler, 1901, Holzschnitt
3. Japanische Druckgrafik, Manga-Ausstellung Hukosai X Manga, mkg-Hamburg
4. mkg-Hamburg, Hukosai X Manga-Ausstellungsansicht
5. Captain Marvel , 1948, reprint in Classic Children Comics
6. Shmoo- Cover No. 2, 1949. Shmoos vermehren sich in Sekundenschnelle millionenfach. Womit sie hier die Frage nach in- und exklusiver Museumskultur stellen.
7. Secret romance #20, 1972,Weird-Love, reprint #7
8. Der Autor ca. 1967 in der Bücherhalle Hamburg-Langenhorn(er) Markt. Im Anschnitt die Box mit den Comics u.a. Prinz Eisenherz, Asterix, Little Nemo, Luky Luke. Foto: Horst Bannat

– ihr Verschwinden aber auch

 

Das Medium der Sonntags-Comicseiten, um 1900 in Amerika erfunden und in den 30ern vom Markt verschwunden, verdrängt, unter anderem, von der aufkommenden Heftchenkultur der Superheldencomics, ist sicherlich eines der schönsten Grafikformate. Ihr Verschwinden hat ökonomische und soziologische Gründe, die noch zu erforschen ein spannendes Feld wären. Man kann dies Verschwinden bedauern. Aber das ist kein Grund zu jammern. Gejammert wird in Frankfurt an der Schirn im Ausstellungskatalog,  PIONIERE DES COMIC. EINE ANDERE AVANTGARDE, reichlich. Dabei ist dies eine hervorragende Ausstellung, im bildungsbürgerlichen Sinne. Gezeigt werden original Sonntagsseiten von Lyonel Fininger, Cliff Sterrett, Frank King, Windsor McCay, Charles Forbell, George Herriman und Frank King. Eine Ausstellung mit Säulenheiligen des Comics, wie sie es so noch nie gab. Ein Juwel, der so nur in Frankfurt geschliffen werden konnte. Denn Frankfurt ist das deutsche Mekka brillanter bürgerlicher Ausstellungen. Zusätzlich gleitet der Besucher, aus der Comic-Ausstellung kommend, in  eine zweite Ausstellung – „Kunst für alle“, Holzschnitte um 19. Jahrhundert in Wien, als  künstlerisches Massenmedium. Beide auf einer Etage. Zeitgleich in Hamburg, ebenfalls auf Bewusstseinsbildung angelegt, eine Manga-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Auch hier gab es, einige Meter weiter, im Bucerius-Kunst-Forum ein thematisch angedockte Ausstellung, Hieronymus Boschs Monsterdarstellungen. Zwei Ausstellungen, die wie aufeinander abgestimmt scheinen. Doch zunächst wird in der Frankfurter Schirn gejammert, dass der Comic nicht die gleiche (akademische) Beachtung wie die freie Kunst erfährt. Und das Gejammer schwingt sich in gewagte Höhen, behauptet es doch, dass die ersten abstrakten Bilder von Comic-Künstlern, wenn schon nicht erfunden, so doch zumindest inspiriert wurden.  Nun wurde die Diskussion um das erste abstrakte Bild bereits in der Schirn mit der Ausstellung TURNER HUGO MOREAU. ENTDECKUNG DER ABSTRAKTION, 2007–2008, aufs Feinste (u. a. mit Wilhelm-Busch-Bildzitaten) behandelt. So wie die Bilder der Malerin Hilma af Klint seit Jahrzehnten unter dem Label erste abstrakte Bilder touren – wenn´s denn, jenseits des  historisch-sportlichen Aspekts, überhaupt interessiert. Leider genügt sich die Frankfurter Comic-Ausstellung nicht in ihrer eigentlichen Größe. Jenseits des Beleidigtseins, „Im Kunstbetrieb nicht mitspielen“ zu dürfen. Dabei ist der Katalogtext verhältnismäßig intelligent und gekennzeichnet von, das Medium Comic betreffend, erhellenden Beobachtungen. Aber auch unwissend, wenn bei der Comic-Beachtung mehr akademischer Diskus gefordert wird, der ja bereits seit Jahren von der „Gesellschaft der Comicforschung“ gepflegt wird. Ich meine, es sollten eher die Unterschiede von Comic und sogenannt freier Kunst verdeutlicht werden. Das reizt das Bewusstsein auf beiden Seiten.

 

Reverend Bannat sagt:

1. Comics sind so etwas wie ein 3-dimensionales Schreiben. Meint: Figuren werden im Bildraum, wiedererkennbar, über mehrere Bildrahmen hinweg gedreht. Was eine eigenständige künstlerische Fähigkeit ist. Wer das einmal versucht hat, weiß das.

2. Comics sind ein Gemeinschaftswerk. Es arbeiten mindestens drei Personen zusammen: Autor, Zeichner und Repro-Techniker, was auch in Personalunion passieren kann. Zusätzlich können noch Koloristen, Szenaristen, Autoren, Storyliner, Lettering-Zeichner, Übersetzer, Verleger u.v.m dazukommen. Comics entstehen im Bewusstsein eines Band oder Bigband-Gefüges.

3. Daraus folgt die paradoxale Besonderheit; hier ist die Reproduktion das Original. Woraus folgt, dass das gedruckte Erscheinungsbild, also das Original, je nach Druck und über die Jahre besser und/oder schlechter werden kann. Eine Herausforderung für jeden Verleger.

3.a Zu Reproduktion gehört das Wunder der prozentualen Vergrößer- bzw. Verkleinerung. Wunder; da wir im Kopf immer einen menschlichen Richtwert herzustellen versuchen. Heißt: Wir denken uns eine Zeichnung auf die Proportionen und den Radius der Armeslänge des Zeichners als Mensch. Wir versetzen uns die Haltung des Zeichners, was wir auch metaphorisch lesen können. Im Kopf vollziehen wir, mehr oder weniger bewusst, und das nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, nach, was wir sehen. So fragt sich der Leser irgendwann (nachdem er den Inhalt geschluckt hat), was für einen körperlichen Schwung z. B. Paul Pope im Vergleich mit Up Iwerk oder Robert Crumb leistet, um ihre Dynamiken in die Zeichnung zu bekommen. Die Reproduktion als Original verwischt und provoziert diese Vorstellungsleistung. In der freien Kunst gibt es diesen komplizierten Vorgang so, jenseits der Aura des reproduzierten Kunstwerks und in dieser komplexen Form nicht. Im Feld der freien Kunst gibt es das Original, zu dem man pilgern kann. An der Pilgerstätte begegnet einem die menschliche Proportion des Künstlers. Zusätzlich verbindet der Pilgerweg Städte miteinander. In diesem Sinne hat der Comic keinen Ort.

4. Der Auftrag für einen Comic ist immer klar, selbst beim Autorencomic. Das Narrativ ist die Minimalanforderung. Die Bilder müssen, und sind die verbindenden Fäden noch so dünn, zusammenhängen. Andere Aufträge befehlen zu unterhalten, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, Charaktere zu entwerfen oder dramaturgische Linien zu entwickeln und/oder vieles mehr. Anders bei der freien Kunst, bei ihr ist der Auftrag erst zu erraten ist, was oft genug ihr einziger Mehrwert ist. Einen Auftrag, den der Künstler oft selbst nicht zu benennen weiß und dessen Auftraggeber schon mal als „höhere Wesen“ bezeichnet werden.

5. Der Comic kennt keinen Ikonoklasmus. Und damit auch keine Avantgarde. Der Fortschrittsgedanke ist ihm fremd. Wie fremd der Fortschrittsgedanke der freien Kunst ist, erfährt diese heute selbst, doch war dieser bis heute ein äußerst produktives Missverständnis. Im Comic wird nicht, wie in der freien Kunst, um die Alleinherrschaft gekämpft, um sein eigenes Feld zu behaupten oder im idealistischen Sinne das Genre (inklusiv seiner Heilsversprechen) weiterzubringen.

6. Die freie Kunst braucht das Profane, um etwas zu haben, was sie heilig sprechen kann. Der Comic ist ein profanes und banales Medium. Das Museum, wie es sich heute darstellt, funktioniert als Archiv für ewige Werte. Ein Grund, warum Museum nicht mit Kunst handeln, denn ewige Werte sind nicht verhandelbar. Ein besseres Synonym für etwas Banaleres,  also etwas alltäglich zu Vernachlässigendes  als  (Sonn-)täglich erscheinende Zeitungen gibt es kaum. Die sprichwörtlichen yesterday-papers dienen schon auf Recycling-Tonnen als Symbol für Papiermüll, auch wenn sie zeitweilig unsere Aufmerksamkeit zu fesseln verstehen. Nun braucht aber der heilige Bezirk das Profane und Banale. Dies ist sein Reservoir für nachwachsende Rohstoffe. Deutlich wird das (anhand von Darstellung) von Alltagsgegenständen, die mit der Zeit museale Weihen erfahren haben, z. B. Dinge, die ausgegraben wurden.

Sehen wir es ohne Gejammer, dass dem Comic die musealen Weihen versagt werden; das Comic ist stark genug, vielleicht zu stark, dann doch nicht banal genug, um vom Museum geschluckt zu werden.

 

Die Hamburger Manga-Ausstellung war gut, aber zu unintellektuell. Phänomenologisch klebten die Ausstellungsmacher an der Idee der japanischen Figuren-Historie und sammelte von damals bis heute Manga-Ikonen. Intelligenter Boschs Monsterfigurentheater im Bucerius-Kunst-Forum. Hier wird die Entwicklung vom Monsters als Abschreckung, nützlich in einem Regime das mit der Angst, hier vor ewiger Verdammung, arbeitet, in Schreckensfiguren zur reinen Unterhaltungszwecken gezeigt. Heißt: Jedes Regime hat sein Bilder und Regeln des inneren Zusammenhalts. In diesem Fall ist es das Aufkommen einer neuen (niederländischen) bürgerlichen Schicht, die die alten Schreckensbilder ablehnt und eher auf moralische Codierung setzt. So braucht jede Gesellschaftsschicht) seine eigenen Bedrohungsszenarien – das wird einem hier vor Augen geführt. Eine Lesart, mit der man gleich wieder zurück in die Manga-Ausstellung laufen möchte, um deren Monsterbild zu überprüfen.  

 

Christoph Bannat

 

 

Frankfurter Schirn-Kunsthalle: PIONIERE DES COMIC. EINE ANDERE AVANTGARDE, 18. SEPTEMBER 2016

 

Frankfurter Schirn-Kunsthalle: KUNST FÜR ALLE. DER FARBHOLZSCHNITT IN WIEN UM 1900, BIS 3. OKTOBER 2016

 

Hamburg-Museum für Kunst und Gewerbe: HOKUSAI X MANGA, 11. September 2016

 

Hamburg-Bucerius-Kunst-Forum: Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch, 11. September 2016

 

Gesellschaft für Comicforschung www.comicgesellschaft.de