22. Januar 2004

Ist es Kritik, ist es Unterhaltung?

 

Als die Frankfurter Hefte 1951 in ihrer September-Ausgabe Lion Feuchtwangers Goya-Roman besprachen, war man des Lobes voll, ohne in Begeisterung auszubrechen. Hier hatte jemand seine Schuldigkeit getan, also die Erwartung erfüllt, einmal mehr einen gediegenen historischen Roman vorgelegt zu haben. Warum schreibt man überhaupt historische Romane. Der Rezensent, Eugen Kogon, antwortet darauf: „Wenn der Kern des Menschen getroffen wird, bedarf es keiner greifbaren Aktualität; sie ist jederzeit zum Greifen nahe.“

Der historische Roman lebt also von der Analogie. Anders gesagt: Alle Phänomene der Peripherie haben es gleich weit zum Zentrum und sind insofern austauschbar, als sie über die Mitte vermittelbar sind. Der Kern des Menschen wird aber nicht analysiert wie in der Philosophie, sondern dargestellt mit den Mitteln der Erzählung. Das heißt wiederum, dass der historische Roman kein Reflexionsinstrument ist, er kennt keine Metaebene. Jede Übertragung hat der Leser zu verantworten.

Wenn in diesem Roman also die spanische Inquisition auftaucht und eine wichtige, häufig lebensentscheidende Rolle für alle Beteiligten spielt, so darf sich jeder fragen, wo diese Institution heute zu verorten wäre. Ist es die Gestapo, die SS, oder, da Feuchtwanger ja schon lange im Exil in den USA lebte, eher eine amerikanische Organisation, die es (HUAC) gewissen Subjekten schwer macht, sich ihren (auch politischen) Neigungen entsprechend zu verhalten? Was aber genau wäre dieser Kern, von dem Kogon spricht? Ist es ein Charakterzug, oder eine bestimmte Haltung, oder vielleicht eine Relation zwischen verschiedenen Positionen?

Feuchtwanger zeichnet seine Hauptfigur als eine Persönlichkeit, der es nur um ihre Kunst geht und die doch genau weiß, dass, um ihr nachgehen zu können, manche Kompromisse mit dem Regime nötig sind. Erst ab einer bestimmten Position und mit dem entsprechenden Rückhalt darf man sich Sachen erlauben, die weniger abgesicherte Künstlerpersönlichkeiten schlichtweg das Leben kosten würden. Die „Caprichos“ sind solche Sachen, von denen Goya weiß, dass sie revolutionär sind und die zurückzuhalten für ihn oberstes Gebot sind. Aber nicht für lange. Natürlich ist er eitel genug, um zeigen zu wollen, was er kann, und das Spiel der Herausforderung, das er akzeptiert, wird ihn zwischen das Protektorat des Königshauses und das brutale Auge der Inquisition werfen, ohne dass er wüsste, wie der Streit der um ihn sich balgenden Kampfhähne ausgeht. Der Künstler setzt sich ein, riskiert etwas, wird – wider besseres Wissen? – politisch, aber diesmal mit einem Werk, das unverhohlen politische Züge trägt. Goya hat Glück, bei aller nicht selten diffamierenden Offenheit dem Königshaus gegenüber, die sich in seinen Bildern zeigt, weiß man, was man an ihm hat.

Die Inquisition zieht den Kürzeren, aber dieser Ausgang stand zu keiner Zeit in Goyas Hand, er hat einfach Glück. Dieser Roman ist übrigens kein Gesamtportrait des Spaniers. Ein zweiter Band sollte folgen, ist aber nie erschienen. Was dem Leser hier vorliegt, spielt in der Zeit, als Goya erster Maler des Königs wird. Breiten Raum nehmen die Liebesgeschichten zwischen Goya und der so schwierigen wie unwiderstehlichen Herzogin von Alba ein. Politisch ist es die Zeit, in der Napoleon beginnt, sein Reich in Europa zu begründen.

Der Ton, in dem das alles geschrieben ist, ist betont nüchtern, der Autor bleibt dezent im Hintergrund. Und doch überzeugt das Buch im ganzen nicht. Irgendwie fehlt der Zug, es plätschert so vor sich hin, von der Kunst Goyas erfährt man fast nichts. Man weiß nicht, warum die Wahl auf Goya fiel und auf keinen anderen, der Roman liest sich wie ein Serienprodukt eines gleichwohl oder gerade deswegen professionellen Autors. Und man ahnt: Hätte William Dieterle diesen Roman verfilmt, so hätte er mit Sicherheit den Kern des Menschlichen herausgeschält, aber so, dass er verstellt worden wäre von den rosa Farben einer hollywood-geklonten Zwiebel.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Lion Feuchtwanger, Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis. Roman, Berlin 2003</typohead>