21. Januar 2004

Über Eliten – gute und böse

 

Die Herstellung von einmütigem Kopfnicken war seine Sache nicht. Einhelliger Meinung zu sein war für ihn in den meisten Fällen gleichbedeutend mit Denkfaulheit und Herdentrieb, also Feigheit. Mencken beschließt seine beißenden Bemerkungen zur Demokratie nicht mit der versöhnlerischen Formel, dass Demokratie unter allen Regierungsformen immer noch die am wenigsten unerträgliche sei. An deren Stelle sähe er am liebsten eine „zivilisierte Aristokratie“, die zwar immer noch arrogant und hochmütig wäre, aber deren disziplinierte und rechtschaffene Vertreter sich längst von dekadenten Adelsattributen getrennt hätten. Mit der geforderten Anständigkeit dieser klar sehenden und unbestechlichen wenigen Leute wäre Mencken heutzutage gar nicht so weit entfernt von „deliberativen“ Konzepten von Zivilgesellschaft (um die es im Moment ein wenig ruhiger geworden ist), der es nicht um Macht und Prestige, sondern mehr oder weniger allein um die Sache geht. Das ist ein sehr humanistisches Vorurteil des ansonsten gar nicht so humanistisch daherkommenden Mencken.

Dieser Zeitungsmensch, wie er sich selber gerne nannte, wollte überall anecken und provozieren, und das hat er auch geschafft mit dem Zusatzerfolg, dass man ihn dabei ernst genommen hat. Die meiste Zeit jedenfalls. In den dreißiger Jahren hatte er den Fehler begangen, sich ein wenig zu sehr auf seine deutsche Vergangenheit zu berufen. Und er beging den noch größeren Fehler, die als typisch deutsch bekannten Tugenden auch auf das Dritte Reich zu beziehen. Das machte ihn suspekt. Aber wer weiß, vielleicht sah er ja wirklich Verwandtschaften. Sein Glaube an die Macht der Rhetorik. Magnet Hitler. Magnet Mencken. Und in der Tat. Seine Texte – die hier versammelten sind etwa zwischen vier Zeilen und zehn Seiten lag – sind von etwas zutiefst Manichäischem durchzogen. Es gibt letztlich keinen  Ausgleich. Dialektik sucht man hier vergeblich. Die Masse ist blind, ihre Führer mögen zwar ganz anständige Leute sein, nehmen aber letztlich auf das Volk keine Rücksicht. Eine Sache ist entweder dies oder das, ein Drittes gibt es nicht. Männer sind seiner Meinung nach völlig überschätzt, Frauen dagegen unterschätzt (Mencken ist aber kein Feminist, die Frauen spielen das völlig blöde Spiel des Mannes mit, auch wenn sie es durchschauen). Von Philosophie hält er nicht viel, seine witzige Abrechnung mit dem antiken Griechenland als Vorbild des ach so tiefen und weisen Abendlandes gehört mit zum Besten dieses kleinen Büchleins. Aber, ein kleiner Trost für den Griechen, andere haben es ja auch nicht besser gemacht.

Und die Welt insgesamt? Reden wir nicht drüber, ein Trauerspiel. Man merkt, dass Mencken seinen Nietzsche gelesen hat. Die Texte, mit denen der Band beginnt, erinnern sehr stark an den fulminanten Auftakt von „Über Lüge und Wahrheit im außermoralischen Sinn“: der Mensch im All, ein Witz. Andererseits, ohne Selbstüberschätzung würde die Eintagsfliege nicht auf die Idee kommen, man möge sich doch auch noch am Tage danach an sie erinnern. Dass Mencken daran größtenteils mit ziemlich grobem Werkzeug arbeitete, bereitet dem Lesespaß keinen Abbruch, im Gegenteil. Ein gutes Buch für die Injektion zwischendurch.

 

Dieter Wenk

 

H. L. Mencken, Gesammelte Vorurteile, Frankfurt am Main und Leipzig 2000 (Insel)