21. Januar 2004

Auch eine Bürgerinitiative

 

Travis (Robert de Niro) ist noch nicht so lang aus Vietnam zurück. Seine Familie, Vater und Mutter, wohnen irgendwo in Philadelphia, er selbst ist in New York, allein, orientierungslos. Er schreibt Tagebuch, einmal fällt ihm ein, dass ihm wohl nichts anderes fehlt als ein Freund. Nachts kann er nicht schlafen. Er wird Taxi-Fahrer. Unerschrocken fährt er überall hin und nimmt jeden Fahrgast mit. Sein Arbeitstag ist von 6-Uhr Abends bis 6-Uhr Morgens, mindestens, 6 Tage die Woche. Oft ist er sogar nach der Arbeit noch nicht müde, dann geht er in Porno-Kinos, deren Filme er anschaut wie Zahnpasta-Werbung.

 

Dann passiert es. Er sieht die Frau seines Lebens, Betsy. Betsy arbeitet als Wahlhelferin eines US- Präsidentschaftskandidaten. Travis beobachtet Betsy von seinem Taxi aus. Einige Tage später geht er in das Büro, in dem Betsy arbeitet, und bekennt, dass sie die hübscheste Frau in New York sei. Etwas später sitzen sie schon zusammen bei einem Kaffee. Travis beschreibt die Begegnung in dem Büro für beide, er unterstellt, dass auch sie Interesse für ihn hat, und seine Art, wie er das macht, ist zugleich unverfroren, frech und einzigartig. So kühn und unbeschwert ist noch keine Frau erobert worden. Der Mann hat was, das hat man gleich am Anfang des Films gemerkt, auch wenn er so merkwürdige Sachen über den Abschaum dieser Stadt sagt. Es gibt also so einen blinden Fleck bei Travis, manches sieht er nicht, obwohl es auf seinem Schirm ist. Aber warum muss er unbedingt mit dieser Frau in einen Pornofilm gehen? Das Händchen der ersten Stunde doch nur das Organ eines Grobmotorikers?

 

Natürlich kommt es zum Eklat, nichts kann diesen Fehler ausmerzen, keine Anrufe, keine Blumen, keine Besuche, Betsy schmeißt ihn raus. Travis ist untröstlich, auch wenn man ihm das nicht ansieht. Mittlerweile hat er den besagten Präsidentschaftskandidaten persönlich als Kunde im Taxi kennen gelernt. Was ihn am meisten beschäftige, wird Travis gefragt. Und da kommt es wieder, die apokalyptische Phantasie, dass New York einen totalen Neuanfang bräuchte. Der Kandidat hat verstanden, sein Motto ist ja auch: Wir sind das Volk. Kurze Zeit später ist Travis gut eingedeckt mit Waffen, eine Walter, eine Magnum 44 zum Abknallen von Elefanten und noch zwei schöne Objekte. Travis macht sich bereit. Er übt zu Hause. So was macht bestimmt viel Spaß, die lässige Frage: Meinst du mich?, redest du mit mir? – und immer enden diese Spielchen damit, dass Travis die Pistole oder den Revolver zieht und schneller ist als sein fiktiver Gegner. Dann geht er zu einer Wahlkampfveranstaltung dieses Kandidaten, schwer bepackt, was hat er vor, er wird doch nicht total blöde Amok laufen… Man wird auf ihn aufmerksam, Travis schmeckt die wirkliche Wirklichkeit, und sie schmeckt ihm gut.

 

Kurze Zeit später stößt er zum dritten Mal auf dieses junge Mädchen (Jodie Foster), das ihren Körper verkauft. Er spricht sie an, sie verweist ihn auf ihren Pimp (Harvey Keitel), im Zimmer packt er dann aus, dass er, Travis, sie, Iris, da raus holen wolle. Ein Paar Tage später gibt es ein paar Tote und einen neuen Helden in New York. Aber Travis bleibt auf dem Boden. Fährt weiter Taxi. Dann sitzt da eine Kundin auf dem Rücksitz, die er kennt. Er fährt sie nach Hause, sie erzählt, dass sie von seinem Abenteuer in der Zeitung gelesen habe, dann ist sie am Ort der Bestimmung, weiß aber vielleicht nicht so genau, was da noch kommen soll, fragt, was sie schuldig sei, und Travis sagt natürlich, dass sie, Betsy, ihm nichts schulde, und mit einem Gesicht völlig ohne Ressentiment, völlig einverstanden mit seiner Geschichte, fährt er wieder los, in die Nacht, und das ist ein großartiges Ende eines sowieso großartigen Films.

 

Dieter Wenk (01.04)

 

Martin Scorsese: Taxi Driver

Probleme sind weniger dazu da, dass man sie löst als dass man darüber spricht. Die meisten Probleme sind unlösbar. Wenn zum Beispiel Travis (Robert de Niro) mit seinen Kollegen im Bistro sitzt und die beiden Schwarzen ein paar Tische weiter taxiert, dann weiß er nicht, was er machen soll. In seinem Hirn existiert eine Verknüpfung, die er mit vielen anderen Nicht-Schwarzen teilt, wonach schwarz und dreckig etc. eine Einheit bilden. Travis steht oder genauer gesagt sitzt also vor einem Entsorgungsproblem. So bekommt es auch der demokratische Präsidentschaftskandidat zu hören, den Travis zufällig kutschiert; natürlich gehört es zu dessen Job, dem Volk aufs Maul zu schauen, aber letztlich verwundert es ihn doch, dass da jemand so unverhohlen zugibt, wovon andere eben auch träumen, nämlich denen, die angeblich die Schuld haben, aufs Maul hauen zu wollen. Alles nur eine Frage des Ressentiments? Oder die alte Leier mit dem Sündenbock? Travis träumt einen Traum von Sauberkeit und hat doch nichts dagegen, in die dunkelsten Straßen New Yorks zu fahren. Das Dunkle zieht ihn an. Die Nacht, die Zeit, in der er fährt, die Pornokinos, in denen er alleine sitzt, und wenn zu zweit, dann gibt es eine Katastrophe, natürlich zu Recht. Dann will er mit einem Kollegen reden und weiß doch (noch) nicht, was er will. Etwas später aber schon der Waffenhändler. Erinnerungen des Zuschauers werden wach an präpubertäre martialische Verkleidungsorgien. Selber Staat spielen. Familiale GSG-Neun. Die fantasierten Kurzdialoge mit dem Vertreter des Üblen und Bösen. „Hey, redest du mit mir…?“ Nichts befriedigender, aber auch nichts zwanghafter als das. Die Kränkung, kurz vorher oder alt eingesessen. Endlich kann man aufräumen. Die Wege vom stillen zum verzweifelten Außenseiter mit durchgehendem Außenbordmotor sind kurz, aber nicht determiniert. Travis hätte nur in ein anderes Kino gehen müssen. Aber so will er vielleicht immerhin einer gewesen sein, der angefangen hat, angefangen mit aufräumen. Nur hat er bei seinem Attentatsversuch das Terrain gewechselt und ist in einer anderen Fiktion angekommen. Hallo Oswald, gib mir die Sonne. Dieses Rührstück hat Gerhard Richter 1964 in einem Gemälde (natürlich nach einem Foto, und zwar aus dem „Stern“) festgehalten. Man bleibt den Vorlagen gnadenlos verbunden, ob man will oder nicht. Und Travis hat besonders wenig Auswahl. Betsy jedenfalls hätte ihn früher oder später entlarvt, denn sie hat ihn anfangs für jemand anderes gehalten, obwohl oder gerade weil Travis sich nicht für jemand anderes ausgegeben hat. Beim zweiten Selbstmordkommando kommt etwas mehr Logik ins Spiel. Immerhin gibt es jetzt tatsächlich jemanden zu retten und nicht so etwas Abstraktes wie die Welt. Iris (Frieden) heißt das Kind und damals ist Jodie Foster noch richtig groß, die Hackenschuhe. Sport ist ihr Pimp, und mit langen Haaren sieht Harvey Keitel letztlich auch nicht richtig gut aus, was seine schauspielerischen Fähigkeiten in keiner Weise schmälert. Zwar muss auch Travis Blut lassen, aber insgesamt geht die Sache richtig gut aus, die Prinzessin befreit und an den Ort der ursprünglichen Bestimmung zurückgeführt, Travis selbst wieder eingeführt in die Gesellschaft – vor allem der Taxifahrer. Herrn Hegel hätte der Film bestimmt sehr gut gefallen.

 

Dieter Wenk (10.04)

 

Martin Scorsese, Taxi Driver, USA 1975