20. Januar 2004

„Beweg deinen Hintern“

 

Ist nicht jeder Tanz erquicklicher anzuschauen, als jemandem beim Luftgitarrespielen zusehen zu müssen? Trotzdem waren wir damals, Ende der 70er, näher an der Luftgitarre als an Disko. Wir hassten diesen Tanz, wir weigerten uns, den Film zu sehen, und wir glaubten, das Gitarrensolo, nein, eigentlich jedes instrumentalische Solo (vielleicht abgesehen vom nur noch trögen Trommelsolo, das wir aber immer tapfer haben über uns ergehen lassen) als Gipfel von Musik überhaupt betrachten zu dürfen. Getanzt haben wir natürlich trotzdem, freestyle, sehr anstrengend, ohne jede Hilfe von außen. Es war alles lächerlich.

Blick auf New York, Manhattan, die gerade mal vier Jahre alten Twin Towers, ein Typ steigt aus der Metro, es ist Tony (John Travolta), er kommt gerade von der Arbeit und geht nach Hause. Er verdient wenig, sein Job interessiert ihn nicht, seine Mutter kann nicht kochen, sein Vater ist arbeitslos, nörgelt aber an allem herum, der einzige Held der Familie ist Tonys Bruder, ein Priester, der aber im Laufe des Films aussteigt und die Kutte an den Nagel hängt. Tony hat ein paar Freunde, die genau so arm dran sind wie er.

Genau so arm? Nicht ganz. Auf seine Art ist Tony auch ein Held. Er ist der Samstagabend-Held des 2001, ein Schuppen, wo man gerne die BeeGees auflegt, zu denen Tony famos tanzen kann. Tony könnte hier jede Frau haben, sie stehen auch tatsächlich Schlange, aber zu mehr als tanzen hat Tony meist keine Lust. Bis Tony Stephanie sieht. Liebe auf den ersten Blick. Ein bereits eingegangenes Engagement mit der penetranten Annette, die nur ficken will und blöd ist wie das alltäglich hart werdende Brot, sagt Tony ab, den Preis von 500 Dollar für die beste Tanzshow will er mit Stephanie gewinnen. Diese ist eine Aufsteigerin aus demselben Milieu, aus dem Tony kommt. Beim ersten Date trägt sie dick auf. Das schüchtert Tony ein. Das ist nicht seine Welt. Aber er bleibt dran. Überzeugt als Tänzer. Erweist sich als Kavalier, wobei er seinen Job verliert (allerdings doch nur für einen Tag, Tony ist u.k.). Woanders versagt er, sein Freund Bobby, der immerhin sein Auto für die nächtlichen Fahrten zur Verfügung stellt, hat ein riesiges Problem – seine Freundin ist schwanger –, und niemand will es wissen. Grund genug, dass sich Bobby von einer der New Yorker Brücken fallen lässt.

Aber auch im Tanzsaal eskalieren die Dinge, Tony und Stephanie gewinnen zwar den ersten Preis, aber im Grunde merkt Tony, dass andere besser getanzt haben und dass Disko ziemlich blöde ist. Er gibt den Preis mit dem Geld denen, die es verdient haben und skandalisiert damit seine Partnerin, die ihm ihrerseits blöde Sachen an den Kopf wirft. Einen Tag später ist alles wieder gut. Die beiden raufen sich zusammen, wollen neu anfangen, heraus aus der Bronx, hinein nach Manhattan. Die Geburt des Self-made-Paares aus Disko. Sehr amerikanisch.

Aber warum gibt es dann immer noch diese ewig trüben Tassen wie Annette, die überhaupt nichts lernen und noch jede Erniedrigung einstecken? Das sind natürlich die Leute, die nicht aufhören, zu Disko zu tanzen und dazu verdammt sind, ewig die gleichen Erfahrungen machen zu müssen. Es ist wie mit den Händen, die immer nur um sich selbst kreisen oder wie mit den Händen, die mal nach oben, dann wieder nach unten zeigen und so jede Dialektik vermissen lassen, die den Luftgitarristen seinerzeit von sich selbst erlöst hat, weil er das nicht mehr ertrug.

 

Dieter Wenk

 

John Badham, Nur Samstag Nacht (Saturday Night Fever), USA 1977