19. Januar 2016

Laster des Verstandes

                     

Antwortendes Handeln von etwas, was bisher nicht von Menschen als heilig, göttlich, gut oder intelligent bestimmt wurde. Vielleicht ist es eh böse.

 

Dietmar Dath hat wieder einen Roman geschrieben, »Leider bin ich Tod«, 461 Seiten lang, bei Suhrkamp erschienen. Es ist wie oft bei Dath ein Science-Fantasy-Text. Denn im Gegurgel und Geschwurbel der sich vorwärts wälzenden Story sind die Lichterscheinungen, Glyphen, Zauberplätze und feenhaften Wechselfiguren deutlich in der Überzahl, verglichen mit dem auch vorhandenen Vertrauen in Technik. Mit diesem freundlichen Technikvertrauen zu Anfang nehmen die Romane von Dath ja meistens Schwung auf: Es gibt intelligente Menschen, die naseweis genug sind, sich einzubilden, etwas verstanden zu haben, und dann stecken sie ihre Nasen ein bisschen zu tief irgendwo hinein und der Terror beginnt. (Der ist wie immer prächtig, es kracht und knattert, Rauch und Nebelschwaden ziehen durch den Text.)

 

Man findet diese Anfangskonstellation, die nicht unbedingt am Anfang des Textes stehen muss, fast wortgetreu in verschiedenen Büchern Daths: entweder »Kausalität« oder »Rationalität« »sind der Mörtel des Universums« und beide Kleber tun’s nur leidlich. Und die ganz Schlauen wissen das und können es sogar in Modellen, vor allem in Wettermodellen nachspielen, dass da irgendwas läuft, was eben nichts mit Rationalität zu tun hat. In diesem Roman geht es auch um Anmaßung und Eitelkeit, um »das Laster eines Verstandes, der mehr verstehen will, als zum Leben nötig ist«. und dafür gibt’s aufs Dach, immer schon.

 

Der Klappentext zum Buch »Leider bin ich Tod« behauptet, der Text handele von der »weltenverändernden Kraft der Religion«. Nun man darf auf Klappentexte und Rezensionen nicht so viel geben, auch hier stimmt’s nicht, denn es geht eher darum, dass Menschen im Laufe der Jahrtausende diverse Herangehensweisen entwickelten, sich mit einem mehr oder weniger vollgerammelten Götterhimmel auseinanderzusetzen, die man sich mal hierarchisch gestaffelt als Dämonen und Unterdämonen vorstellen kann – einer läppischer als der andere – oder auch als autonome, eifersüchtige, eingeschnappte Götter. So viel »weltenverändernde Kraft« hat also nicht die Religion, sondern wenn, dann das Göttergewimmel, oder der Super-Gott, und dem oder denen sind die Religiösen herzlich Wurst, sie wollen laut Dath nur nicht bei ihren Aktionen gestört werden oder in irgendeiner Weise »bewiesen« werden. In einer für Daths Romane unausweichlichen Szene auf einem Schulhof erklärt ein schlauer Knabe einem schönen, dass Gottesbeweise dumm sind, denn was man weiß, muss man schließlich nicht glauben.

 

Aber man kann auch als Normalsterblicher »FAZ«-Mitarbeiter Minimalabweichungen beobachten, die natürlich nichts beweisen und auch von niemand anderem bemerkt werden, so sind etwa die Sesambrötchen vom Bäcker bei der Station Galluswarte in Frankfurt bei größeren chronologischen Sauereien länglich statt rund.

 

Auch diese Zeitsperenzchen sind ein Vorkommnis, welches aus früheren Texten Daths erinnerlich sein sollte, und es macht gar nichts, erneut zu versuchen, zu verstehen, was es mit dieser verfluchten Polynomialzeit auf sich hat, oder während des Lesens den Punkt zu bestimmen, an dem die Geschichte in sich selbst zurückgebogen wird und der Roman anfängt zu loopen.

 

Natürlich ist es auch ein bisschen affig, Begriffe wie »Katoptrik« zugeraunt zu bekommen, was den Bereich der Optik meint, der sich mit spiegelnden Flächen befasst, die Spiegel haben in diesem Roman jedenfalls einen neuen großen Auftritt, durch sie hindurchschreitend, kann man durch die Zeit und durch Gefängnismauern reisen, manchmal reist man allerdings traurigerweise zu seinem eigenen Schlachtfest. Manchmal braucht es Zauberformeln dafür, manchmal geht’s einfach so, Spiegel verwandeln sich bei Bedarf auch in Messer.

 

Ein bisschen drüber sind auch die sprechenden Namen, allen voran: Cyan, Abel und Kain, was englisch Cain, also irgendwie Cyan und wieder Kain ist, wobei die beiden sowieso die gleiche Haut benutzen ... na klar, es kommt zum Brudermord an Abel, bei dem aber auch noch eine lesbische Schwester mitzumischen hat, die ohnehin allerlei wichtige Aufgaben in diesem Buch zu erledigen hat.

 

Die wenigen Überlebenden des Romans beschäftigen sich nach den erstaunlichen Ereignissen mit bestürzend prosaischen Dingen, z. B. einem Blog, der sich gegen die Missionen der Bundeswehr, gentechnisch veränderte Nahrung und schlechte Stadtverwaltung richtet. Und das ist ein schöner Kontrast für den Abschluss echter Science-Fantasy, man hat irgendwie geträumt, ist selbst durch einen Zauberspiegel gefallen, hatte Flöhe im Kopf, und selbst wenn es anders wäre, empfiehlt es sich – wie man aus der Handlung weiß –, »das Laster eines Verstandes, der mehr verstehen will, als zum Leben nötig ist« im Schach zu halten, und das ist eine religiöse Übung, sie heißt Demut und ist eine komplizierte Sache. (Andernfalls gibt’s, wie schon gesagt, aufs Dach.)

 

Nora Sdun

 

 

Dietmar Dath: Leider bin ich tot, Roman, Suhrkamp 2016, 16,99 Euro

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