29. November 2015

Jazz-Legende Ornette Coleman: Celebrate Ornette

 

Legende des Free Jazz, Harmolodics-Erfinder und Extrem-Ästhet Ornette Coleman lebt seit dem 11. Juni 2015 nicht mehr. Er wurde 85 Jahre alt. Ergänzend zu seinem umfangreichen  Œuvre gibt es in memoriam aktuell die Edition Box "Celebate Ornette". Hier meine Erinnerung an eine seiner  Shows der vergangenen Jahre und meine Begegnung mit ihm beim Jazzfestival Saalfelden 2009:

Blau überspannt den sommerwarmen Bergort. Im Congresshaus, das schicke Festvalzentrum, verbringe ich die Zeit fast chillend, relaxt in musikalische Sets mit zumeist eher Feinnervigem hineinhörend. Zwischendurch unterhalten wir Journalisten uns mit den Musikern auf dem Balkon der Lounge. Ich stimme mich dabei gedanklich ein auf den Festival-Mainact: Ornette Coleman.

Coleman, der 1960 mit der Veröffentlichung von "Free Jazz" als Neuerer auftrat, startet seinen Auftritt zum Festvalabschluss fast lyrisch, sentimental. Wechselt im ersten Stück zwischen Saxofon und Trompete. Später auch einmal zur Violine, neben der ein Bass gespielt wird wie in einer Cellosuite. Im lilafarbenen, feinrotgestreiften Anzug und schwarzen Basthut ist der schmächtige, fast 80-jährige Mann, lebende Autorität des Free Jazz, im Zentrum der Bühne und koordiniert ein Spiel, das in seine gesamte Werkgeschichte und sein antiautoritäres Musiksysthem Harmolodics führt. Mit ihm in der Formation die Bassisten Anthony Falanga und Al McDowell und sein 53-jähriger Sohn Denardo Coleman am Schlagzeug. Ein Quartett. Coleman arbeitet damit, an sein Original-Quartett der 60er Jahre zu erinnern, genauso aber auch die Zeit von Prime Time anzudeuten, und begibt sich natürlich ebenso in sein jüngstes Material. Die Übergänge sind fließend. Das harmolodische Gedankengebäude besteht im Grunde von Anfang an in Colemans Arbeit, auch schon im Original-Quartett, wurde aber erst etwa 1972 zu Prime Time theoretisch mit Worten artikuliert und diskutiert. Der Grundgedanke ist eine Synthese aus ‘harmony’, ‘movement’ und ‘melody’ bzw. ‘melodic’, daraus entsteht die Formel ‘harmolodics’ als ein offenes Spiel, bei dem die Improvisation Form schafft.  Auch in Saalfelden ist Harmolodics ein sich stets veränderndes Klangbild. Immer wieder werden in diesem Ineinandergehen von Soundflächen und Soundlinien auch Motivkürzel eingefügt, die betont oft wiederholt werden. Selbst Denardo Colemans Schlagzeugarbeit ist davon geprägt. Coleman und seine Mitmusiker können einfühlend zurückhaltend sein, genauso wie härtest strukturierend und vorwärtstreibend sich verhalten. Coleman verlangt vom Musiker wie vom Zuhörer extreme Hörfähigkeit, Bereitschaft zu besonderem musikalischen Denken. Wobei das Ganze mittlerweile etwas gezähmt wirkt, da nicht mehr neu, nicht mehr alternativ, längst den Hörgewohnheiten vieler vertraut. Aber an Ausstrahlungskraft hat der Charismatiker aus Fort Worth, Texas nichts eingebüßt. Sicher hat sich sein Spiel etwas verändert. Weniger Widerspenstigkeit, sondern eine unglaubliche Wärme geht nun des Öfteren davon aus. Auch im Dissonanten, Atonalen. Coleman soll ja Kreativität und Harmolodics als soziale Botschaft bezeichnet haben, von Beginn an als Visionär von Weltverbesserung gesprochen haben. "Harmolodic meint nicht nur Musik. Sie existiert auch im menschlichen Körper, in dem Sinne, wie das Nervensystem mit dem Wissen korreliert. Es ist ein Weg wahrzunehmen, wie alles auf alles einwirkt", so Coleman.

Coleman zeigt sich nach dem Konzert kommunikativ in der Lounge. Und ich interviewe ihn spontan mit ein paar Fragen über Harmolodics.

Harmolodics, zeitlos, ständig im Wandel begriffen, ist eine musikalische Philosophie. Mit Potenzial, das eine Weltphilosophie birgt. Velleicht ist der CD-Titel „Sound Grammar“ von 2006 eine Art Grammatik dafür. Für ein musikphilosophisches Programm als Entwurf zu herrschaftsfreiem Diskurs und Kollektivität.

 

Tina Karolina Stauner

 

Pledge Music: "Celebrate Ornette" – ein 15000 Exemplare umfassendes Deluxe Limited Edition Box Set mit 3 CDs, 2 DVDs, 4 Vinyl (180 g.).

(Informationen u. a. aus dem Buch "Ornette Coleman – Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten" von Niklas Wilson)