23. August 2015

Akte Leben

 

Der Polizei sei Dank, ohne die wir Manzinis Geschichte nie erfahren hätten. Dem Comic sei Dank. Dem Leser sei Dank, der die Geschichte des Verdächtigen Manzini glaubt und mit Empathie verfolgt. Denn nur derjenige erlebt die verwirrenden Höhepunkte in Band 4 in ihrer vollen Tiefe. Ohne Glauben an das Gute und Feine im der Morde verdächtigten Manzini könnte einem dessen Geschichte, die ja die eines bedürftigen, aber philosophierenden Idioten ist, auf gut Deutsch gesagt, doch am Arsch vorbeigehen. Erst wenn wir Polza Manzinis Imaginationen, also seine biografischen Selbstbeschreibungen, auf der der Blast-Zyklus bis auf Band 4 beruht, glauben und für real halten, gehen wir eine Beziehung mit ihm ein. Im Sinne des Ernstnehmens stehen wir auf Seiten der verhörenden Polizisten, auch wenn uns diese nie sympathisch waren. Doch fehlt uns deren Hintergrundwissen. Erst wenn wir alle Teile zusammendenken, Manzinis Literarisierung seines Lebens, das Verhör-Setting, Rückblenden und Funny-Strip-Einschübe, nimmt die Geschichte an Fahrt auf. Dabei dürfen wir unsere mitleidige Komplizenschaft nach 3 Jahren, 800 Seiten und ca. 100 Euro Investition sowie den Glauben, dem Phänomen Manzini etwas näher gekommen zu sein, nicht vernachlässigen. Es ist eine Komplizenschaft, wie wir sie bei dem so großartigen Film wie „Mann beißt Hund“ , Nabokovs Humbert Humbert aus „Lolita“ oder Hubert Selbys Icherzähler in „Mauern“ schon erlebt haben. Alles selbstgerechte Unsympathen, die an ihrer wahnhaften Autobiografie arbeiten. Als Schutz, um nicht in dieser Komplizenschaft gefangen zu bleiben, die, wie wir ahnen, auf einer rücksichtslos verlogenen Selbstwahrnehmung beruht, müssen wir der Geschichte einen höheren Wert geben. Sonst bleiben wir lediglich Statisten in den autobiografischen Geschichten dieser, zugegeben oft formvollendet stilisierten, Selbstdarstellungen. So suchen wir nach symbolischer Überhöhung, nach Mustern von Erkenntnis. Die großen, staatlichen Aufschreibapparate, Polizei (inkl. Geheimdienste), Psychiatrie, Krankenhaus, haben nur ein Ziel: Abgleich mit ihrem gesetzten (gesetzestreuen, also worttreuen) Wirklichkeitsbild und Schließen der Akte. Die privaten oder öffentlich-rechtlichen Apparate, Film, Fernsehen und Literatur (Comic), versuchen die Akte offenzuhalten. In Blast 4 wird dies überdeutlich. In diesem Comic arbeiten alle gesellschaftlichen Institutionen im Diskurs an der Konstruktion des reale Geschehens und möglicher weiterer Morde. In diesem Sinne versöhnt Blast alle Institutionen miteinander, die Polizei mit dem Journalismus und der Literatur. In Wirklichkeit gibt es diesen Diskurs in dieser Intensität nicht. Anders als Humbert Humbert, Selbys Icherzähler und auch bei „Mann beißt Hund“ schreibt Manzini nicht selbst an seiner Biografie, sondern lässt die Polizei schreiben. Heißt: Wer zu schwach oder zu unambitioniert ist, seine Biografie selbst zu schreiben, sollte möglichst kriminell, krank oder psychisch auffällig werden, dann schreiben andere deine Geschichte. Die Schwierigkeit ist dabei, dass die Akte offengehalten wird. Als gäbe es nur zwei Arten von Leben, um die man sich ständig kümmern muss; die von Kranken und die von Künstlern. Künstler kümmern sich ständig um sich selbst, um die anderen kümmert sich die Gesellschaft.

Neu in Blast 4 sind Rückblenden und Metakommentare wie den umwerfend ironischen 3-Panel-Funny-Strip, Jasper – Der Bipolarbär. Einem Eisbären und seinem Doktor, einer mitschreibenden Mischung aus Papagei und Pinguin.     

 

Blast bietet für einen Comic unglaublich viele Aspekte. Meine Beobachtungen sind nur Teilaspekte, für die es, wie ich meine, viele Indizien im Blast-Zyklus gibt. Zum Beispiel, dass Manzini einen Werkbegriff von seinem Leben hat, selbst im rauschhaften Blast, so in Blast 4, Seite 150, Manzini: „Hier sind wir wichtig, einzigartig, spürst du es? Spürst du, dass wir ein unverzichtbarer Teil des Werkes sind...“ – im psychedelischem Erlebnis fallen Ich und Welt im Werkbewusstsein zusammen. 

Und im gleichen Buch, auf Seite 127, Manzini im Anblick eines Landschaftsbildes: „Das Werk eines Mannes, der Frieden gefunden hat.“ Man bedenke, der bürgerliche Ex-Gourmet-Kritiker Manzini, der sich in selbstmörderischer Absicht auswildert, philosophiert anhand eines Landschaftsbildes. Heißt: Im Landschaftsbild treffen sich das Kunst- und Naturschöne als Erlösungsfantasie. Das meine ich mit symbolisieren.

 

Christoph Bannat

 

Manu Larcenet: Blast 4, Hoffentlich irren sich die Buddhisten 

• Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock

• Handlettering von Dirk Rehm

ISBN 978-3-95640-023-0

208 Seiten, schwarzweiß & farbig, 20,5 x 27 cm, Hardcover

Reprodukt, EUR 29,00

 

 

 

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