2. November 2014

Einseitiges und mehr

 

Man sieht es dem Dialog Eupalinos oder der Architekt nicht an und man wüsste auch gar nicht zu sagen, warum das wichtig sein könnte, dass er aus genau 115.800 Buchstaben besteht. Aber genauso viele Buchstaben wollte die Zeitschrift "Architectures" seinerzeit von Paul Valéry haben. Sie hat sie bekommen. Allerdings hat der Dialog in etwa so viel mit Architektur zu tun wie Cy Twomblys Gemälde Thyrsis mit den Idyllen Theokrits. Bei anderen Texten wird die Frage der mengenmäßigen Normierung offenkundiger. Man fragt sich dann vielleicht, ob Autoren wie Anton Tschechow einfach genau auf die zweieinhalb bis drei Seiten einer Erzählung geeicht waren oder ob die immer gleiche Länge von außen herangetragen wurde. Die Texte bei Björn Kuhligk sind noch ein bisschen kürzer als bei Tschechow, etwa eine Seite. Kolumnen für die "taz" aus den letzten Jahren, die von Ulrich Gutmair in der Rubrik Berliner Szenen publiziert wurden.

Der Autor ist als Held eigentlich immer dabei. Mal mit seiner Familie, vor allem der Kita-Tochter und dem etwas älteren Sohn, mal mit Freunden in Kneipen, mal als Testperson in eigener Sache für authentisches Romanschreiben. Zwischen Alltag und Freizeit wird manches verhandelt, ganz beiläufig, so viel hat auf der Seite ja auch nicht Platz. Der Ton ist also eher lakonisch als geschwätzig, aber gar nicht sentenzhaft oder aphoristisch gefeilt. Manchmal krass naturalistisch, eine authentische Berliner Sequenz, die der Autor gewissermaßen nur noch in Worte fassen oder ebendiese festhalten musste. Andere sind ein wenig konstruierter, holpriger, aber nicht im stilistischen Sinn, sondern um die Lakonie zu forcieren. Denn auf einer neu aufgemachten Ebene wirst du den Leser unvorbereiteter treffen. So heißt eine Kolumne beispielsweise Unter Dealern und trägt sich unter anderem in der Hasenheide zu mit den Kleindealern "in ihren lächerlichen Hip-Hop-Klamotten". Über die Assoziationskette Minizoo, depressive Rinder und Lamas fällt dem Autor möglicherweise etwas ein, was er tags zuvor im Fernsehen gesehen hat. "Die erste Chinesin, die den Weltraum erreichen wird, sagte gestern im Fernsehen, sie würde oben alle anderen chinesischen Frauen vertreten. Welch eine erschütternde Aufgabe." Das sitzt perfekt und lässt tief blicken, wenn man demnächst mal wieder Anlass hat, in die Höhe zu gucken. Aber meistens urteilt nicht der Autor, sondern die Kolumne, oder sollte man nicht eher sagen, sie urteilt nicht, sondern lässt alles ein wenig in der Schwebe? Passagenwerk eines Passanten, der manchmal auch nur aufmerksamer ist und aufschreibt, was andere auch erzählen könnten, wenn man sie fragte. Es ist "street-photography" mit ungezwungenen Einlagen, Reisegeschwindigkeit eines Fahrrads ohne Gangschaltung, das Auto kommt nur als Taxi vor, sodass man auch gescheit schauen kann. Björn Kuhligk ist geborener Berliner, Jahrgang 1975, hat mehrere Preise gewonnen, u.a. 1997 den Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin, und schreibt Lyrik und Prosa.

 

Dieter Wenk (10-14)

 

Björn Kuhligk: Großraumtaxi. Berliner Szenen, Berlin 2014 (Verbrecher Verlag)

 

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