20. September 2014

The Party is over

 

In Hamburg ging letztes Wochenende ein Kunstereignis vor sich, das von sich selbst behauptete, außergewöhnlich zu sein. Es trug das (englische) Wort für „Messe“ im Namen und das schicke Sonderzeichen Slash, welches die Veranstalter als Teil der Generation Digital Natives markiert. Im Folgenden soll verglichen werden, worin die neue Kunstmesse anders sein wollte als die etablierten und in dem Sinne konservativen Kunstmessen (Datenerhebung mittels investigativer Internetrecherche) und inwieweit sie dieses Ziel umzusetzen vermochte (Feldforschung).

Das Selbstverständnis der Art Basel als derzeit renommiertester Kunstmesse ist das einer Plattform zur Vernetzung der internationalen Kunstszene. Dabei sollen besonders Galerien im Erfüllen ihrer Funktion, dem „nurturing“ (Pflegen, Aufziehen, Ernähren) ihrer Künstler, deren Entwicklung und Förderung, durch Finanzierung der Kunstproduktion, Einführung in die Kunstwelt und Hilfe bei Formierung und Ausbau der jeweiligen Karrieren unterstützt werden. Die Wirkungsmacht der Kunstmesse als einer Hauptveranstaltung der Szene sei vor allem im letzten Jahrzehnt innerhalb der allgemeinen Expansion der Kunstwelt immens gestiegen. (Übersetzung der ausschließlich englischsprachigen Website Art Basel wurden eigenständig vorgenommen.) Die Kunstmesse nimmt also eine erhabene Rolle ein: Sie ist Förderin der Förderer, Meta-Förderin, frei nach der Art-Basel-Terminologie „nurturer of the nurturer“. 

Die Selbstdarstellung der Kunstmesse München als zweites Beispiel einer traditionellen Messe ist dagegen eindeutiger und direkter (immerhin traut sie sich im Gegensatz zur Art Basel, die Texte auch auf Deutsch anwählbar zu machen). Kunstmessen, „gleichsam museale Veranstaltungen auf Zeit“, sind „Leistungsnachweis für den Kunsthandel“. Im Wirtschaftsjargon wird offen konstatiert und im selben Atemzug gerechtfertigt, dass „legitimer Weise auch wirtschaftliche Interessen ins Sammeln hinein[spielen], denn Kunst und Antiquitäten sind eine sehr sichere, mittel- und langfristige Kapitalanlage“. Die Besonderheit einer kulturellen Kapitalanlage sei der zum ökonomischen hinzukommende „ästhetische Genuss“ als „Mehrwert“.

Diesen klassischen Konzepten entgegenstehend bzw. sie erweiternd fand in den Phoenix-Farbrikhallen in Harburg die „P/ART“, eine „Produzentenkunstmesse für unabhängige Künstler und Künstlerinnen“ statt. Entscheidend sollte der Kontakt zwischen von Galerien und Institutionen unabhängigen KünstlerInnen und dem Publikum, zwischen Produzenten und Rezipienten, sein: „KünstlerInnen zeigen ihre Werke selbst, bestimmen deren Preise und treten in direkten Kontakt mit dem Publikum.“ Das Prinzip der Produzentengalerie wurde ins Messeformat zu übertragen versucht.

Auch die P/ART wollte Plattform sein, aber nicht nur für die im Markt Agierenden, sondern den Handel mit dem Diskurs verschmelzen. (An anderer Stelle der Website wird die gewünschte „Verschmelzung“ als eine von „Diskurs und Praxis“ bezeichnet – zieht man die Parallele, bildet also entgegen eigener Aussage auch im Verständnis der P/ART Handel die sogenannte Kunstpraxis.) 

Gleich der „öffentlichen Kulturpflege“ als einem Ziel der Kunstmesse München fühlt sich die P/ART in der Verpflichtung eines Bildungsauftrags. Sie will „die Koordination von kreativer Bewegung“ in den Mittelpunkt stellen (eindeutiger Rückzug ins Uneindeutige). Hier fällt der Begriff des über die „Verkaufsförderung von regulären Messen hinausgehenden“ „Mehrwerts“ hinsichtlich der „theoretisch-kontemplativen Komponente“: Fragen nach dem Wesen und dem Wert der Kunst und auch nach der „boomenden Distributionsform Kunstmesse“ sollen im Rahmenprogramm diskutiert werden. 

Der Anspruch ist also ein durchaus hoher, nämlich einerseits selbstkritisch die Veranstaltungskategorie „Kunstmesse“ und grundlegend die Funktionsweise des Betriebssystem Kunst zu thematisieren (und durch das Eigenständigkeitspostulat wenigstens einen Teil davon – die Galerien – zu unterhöhlen). Als ob das nicht genug wäre, soll das Ganze „mit all seinen Implikationen“ noch dem Betrachter vermittelt werden.

Dementsprechend waren auch die Erwartungen hoch; der Ausdruck „Unabhängigkeit“ trägt einen Hauch von Widerständigkeit oder zumindest von Widerständigkeitspotenzial in sich. Und der Veranstaltungsort als stillgelegte, weil am kapitalistischen Marktsystem gescheiterte (vom Konkurrenten verschluckte) Fabrik vermittelte die Möglichkeit eines latent anarchischen Kunsterlebnisses. 

Trotzdem hätte man es besser wissen können: Eine Kunstmesse ist eine Kunstmesse, bleibt eine Handelsveranstaltung, und auch die P/ART ließ nicht viel „konzeptuellen Hybridcharakter an den Grenzen von Kunstmarkt und Kunstausstellung“ spüren, den sie selbst angekündigt hatte. Bezeichnenderweise ist im gleichen Areal in Harburg die Sammlung Falckenberg untergebracht, als Privatsammlung eines Industriellen per se kein Ausdruck von Revolte gegen das System.

Die Auswahl an Arbeiten kann ausgewogen genannt werden: Von allem ein bisschen. Es wurde kein Schwerpunkt gesetzt, sich somit nicht klar positioniert und auf diese Weise die Unangreifbarkeit gesichert. Es war für jeden etwas dabei, aber für niemanden viel. 

Das Ambiente war mit vegetarischem Essen, elektronischer DJ-Musik, P/ART-(Corporate-Identity-)Jutebeuteln am Merchandising-Stand und einheitlichem Design, von handschriftlicher Typografie an der Bar (weiße Kreide auf schwarzem Grund) über schwarze Edel-Recycling-Möbelgarnituren bis zu den ebenfalls schwarzen Kunstwerken in Sichtnähe, im Trend und doch dezent, und das ist jetzt gar nicht ironisch gemeint. Ob „im Trend“ ein relevantes Attribut für Kunstumgebungen ist, lasse ich dahingestellt.

Die Verkaufsberater und das Organisationsteam sprachen durch ihre bloße Existenz bzw. Zusammensetzung aber klar gegen die Vorstellung einer „unabhängigen Produzentenmesse“, wie ich sie jedenfalls gehabt hatte. Die jungen KunstmessegründerInnen, die übrigens auch mit einer Show am folgenden Wochenende im Kontext des Reeperbahnfestivals vertreten sein werden, sind ihre Ausbildungen betreffend breit aufgestellt, aber lassen nicht an wirkliche Kenner der „Produktionsseite“ von Kunst denken, sondern eher an ein gutes Team von Eventmanagern, als welches sie sich mit P/ART auch herausgestellt haben.

Die Präsentation war ordentlich und sauber gemacht, die gezeigten Arbeiten wiesen eine erstaunliche Vielseitigkeit im Medium auf. Leider erzeugten sie untereinander kaum Spannung, sei es durch gegenseitige Steigerung, wechselseitigen Dialog oder Kampf der Gegensätze. Das lag aber an der Hängung bzw. Platzierung im Raum (mit keinem Wort soll gesagt werden, sie hätten dies nicht zu leisten vermocht!). Und diese lässt sich vermutlich auf ein relativ kurzes zur Verfügung stehendes Zeitkontingent für den Aufbau (die Arbeit mit den Händen, das Ausprobieren) zurückführen, oder dass wirklich niemand von den Organisatoren selbst Kunst macht, was im Falle einer Handelsveranstaltung auch nicht erwartet wird, aber von einem „Hybrid an den Grenzen“ dann vielleicht eben doch.

Erfahrung in der Praxis, so werden es die Veranstalter der P/ART hoffentlich gelernt haben, betrifft also doch nicht nur Handel, sondern hat auch mit Sensibilität für Inhalte und Formen (Medien) zu tun. Ob das eine konservative Haltung ist, weiß ich nicht, idealistisch ist sie allemal: Ich plädiere für eine Konzentration auf die Kunst, abseits des Events, abseits des Kapitals und indem ich mich sehr weit aus dem Fenster lehne: auch abseits des theoretischen Diskurses darüber. Symbiosen müssen möglich und offen bleiben und passieren, aber nicht erzwungen und notwendig werden. „Symbiose“, das Zusammenleben unterschiedlicher Arten zu gegenseitigem Nutzen, betont unter anderem das Hierarchiefreie an eventuellen Bündnissen. Es soll um gegenseitige Befruchtung von Kunst und Theorie oder temporäre Zweckvereinigung von Kunst und Markt gehen und nicht die Kunst (und Künstler) durch das unterhaltungswütige Publikum und ambitionierte Selbstunternehmer vereinnahmt und instrumentalisiert werden. Felix Schneeweiß, einer der 80 Künstler der P/ART 2014, stellt seinen ästhetisierten Alltagsgegenstand „Besen“ (veredelt durch die Farbe Schwarz: dieselbe Strategie derer sich die Messearchitekten bedienten) nach getaner Arbeit, also Erfüllung seines Zwecks „Kehren“, vor einen Haufen bunter Konfettis leger an die Wand. Selbstredend: The party is over.

Symbiose als Form sei also dem Mischwesen Hybrid vorzuziehen; ob dem Grundgerüst in der sprachlichen Formulierung dann „konzeptuell“, „kreativ“ oder „Plattform“ als Schmuckwörter voraus- oder nachgestellt werden, ändert an seiner Struktur nichts Entscheidendes. Das Widerständige könnte sein: Die Unabhängigkeit einer eigenen Existenzform einzufordern und zu realisieren und eben mit nichts und niemandem „verschmelzen“, besagte Zweckbündnisse durch die Bindung an den Zweck zeitlich zu limitieren und sich dadurch jeder Abhängigkeit zu entziehen. Dann wäre der Titel „Produzentenkunstmesse“ gerechtfertigt.

Ob etwas Derartiges außerhalb der Idealvorstellung existieren kann, wird in zukünftigen Experimenten ähnlich der P/ART erprobt werden.

Judith Neunhaeuserer