3. Januar 2004

Diesmal schwindelfrei

 

Nach diesem Schrei der allerersten Einstellung erwartet der Zuschauer mindestens ein herumliegendes blutiges Messer, also Mord, die entdeckte Leiche. Aber nichts da. Die Kamera zeigt bloß einen kleinen Kasten, der auch noch leer ist und auch im entferntesten nichts von einem Sarg hat. Die alte Dame, der man so unerwartet ins Gesicht sehen durfte, hatte gerade in der ihr eigenen Art festgestellt, dass ihr Schmuck geraubt wurde. Dann ein Blick auf ein Dach, eine Katze geht ihres nächtlichen Weges, und erneut sieht man eine Frau, die um ihren Schmuck trauert.

Etwas später im Film ist man schon zu Gast bei John Robie in dessen splendider Villa mit Blick aufs Mittelmeer, seine schwarze Katze ruht sich im Korbsessel auf der schattigen Terrasse aus, und auch John (Cary Grant) ist sich keiner Schuld bewusst, alles andere wäre auch ein gewagtes Spiel mit dem Schicksal, denn sein solitäres Frührentnerdasein darf er nur mit Vorbehalt genießen, auf ihm liegt der Schatten der Bewährungsstrafe. Was man diesem effeminierten Macho nicht gleich ansieht: dass er früher einmal Mitglied einer Diebesbande war, die sich darauf spezialisiert hatte, teuren Schmuck aus den Hotelzimmern unaufmerksamer Damen zu entwenden. Die Bande flog irgendwann auf, alle saßen ein bisschen im Knast, dann wieder das normale Leben. Da bei der neuerlichen Raubserie alle Spuren zu John führen, sind alle früheren Teilnehmer sauer. Aber sind es auch alle aus dem selben Grund?

Eigentlich glaubt man John, der seine Unschuld betont, auch wenn er gleich im Laufe der ersten Vorstellung vor der Polizei flieht, die bereits nach ihm sucht. John sucht nach einer Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, und da trifft es sich gut, dass er auf einen Versicherungsvertreter trifft, der ihm eine Liste der reichsten Hotelgäste Nizzas zuschustern soll. Nebenbei lernt er auch noch eine reizende Amerikanerin (Grace Kelly) kennen, deren mitreisende Mutter sie irgendwo dann doch mal verkuppeln möchte, obwohl das gar nicht nötig ist. Aber vor 50 Jahren waren Mutter-Tochter-Verhältnisse ein bisschen heikler („ach, Mutter“).

Das Leere-Kisten-Prinzip des Anfangs taucht übrigens immer wieder im Laufe des Films auf, schließlich schaut man keinen Thriller, sondern eine Krimikomödie, bei der die Polizei ein bisschen sinnlos durch die Gegend spazieren darf und der Wert von heroischen Umkleideaktionen in den Wolken Nizzas geschrieben steht. Die Rede ist von einem opulenten Maskenball, den die haute volée der Badegäste im Stile des 18. Jahrhunderts in einem Palazzo zu feiern gedenkt. Während der Feier  passiert gar nichts, außer dass vorgeführt wird, wie man jemandem ein Alibi verschafft, das dieser aber gar nicht braucht. Und dass es erst Nacht werden muss, bevor es mit der Klauerei losgeht, darauf hätten alle einschließlich Zuschauer kommen können. Nachts sind alle Menschen grau, vor allem, wenn sie auf Dächern spazieren gehen, aber immerhin lässt sich meist sagen, ob jemand allein geht oder in Begleitschutz. Und wer da jetzt neben John so waghalsig sein Leben riskiert, weiß man immer noch nicht zu sagen, obwohl, wenn man’s dann später weiß… Die Liebe und Eifersucht der Frauen darf man nie unterschätzen. Wenn sie von der Reinheit Südamerikas träumen, muss Mann auf alles gefasst sein.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Alfred Hitchcock, Über den Dächern von Nizza (To catch a thief), USA 1955</typohead>