9. Juli 2014

Gesinnung verantworten

 

Eigentlich wollte Erich Mühsam nach dem Machtantritt Hitlers und nach mehreren Morddrohungen Deutschland in Richtung Prag verlassen haben, aber es kam anders. Der "Dalles" verhinderte eine sofortige Abreise, bis der Anarchist das Geld zusammen hatte für sich und seine Frau Zenzl, war schon wieder etwas passiert, der Reichstag brannte. Am Morgen darauf wurde Mühsam verhaftet, in Polizeigewahrsam genommen und bald darauf in ein Konzentrationslager überstellt. Er kam nie mehr frei, in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934, nach Monaten der Tortur und Erniedrigung, ermorderte man ihn, angeblich, so rechte Blätter, hatte er Selbstmord verübt.

Um an dieses Verbrechen, das sich vor 80 Jahren zutrug, zu erinnern, ist jetzt im Verbrecher-Verlag ein Mühsam-Lesebuch, herausgegeben von Markus Liske und Manja Präkels, erschienen. Es bringt, chronologisch geordnet, Prosa (Tagebuch, Feuilletons, Kritik) und Gedichte in wechselseitiger Abfolge. Was die meisten Texte zeigen: Mühsam war kein trockener Theoretiker, der sich auf die Diskussion schwieriger Textpassagen einließ. Er war ein von seinem Glauben Überzeugter, seine Bibel die zu offenbarende Güte des Menschen. Ohne diesen religiösen Aspekt wird man Erich Mühsam nicht gerecht. Von daher erübrigt sich eine rein sachliche Auseinandersetzung mit dem Anarchisten. Das Primat der edlen Gesinnung wird nicht durch einen korrekten logischen Schluss bewiesen. Angesichts der Zeitläufte, in die Mühsam heineingeboren wird, ist diese Setzung natürlich einigermaßen bizarr. Der Erste Weltkrieg, Hunger und Not, Räteregierungen, die sich nach Tagen und nicht nach Jahren bemessen, Revolutionen, die nicht vorankommen oder abgewürgt werden, jahrelange Inhaftierungen des Anarchisten Mühsam – all das lässt ihn nicht an seinem Glauben irre werden, dass der Mensch eigentlich gut sei und im freiwilligen, staatenlosen Zusammenschluss mit anderen Menschen zufrieden und glücklich leben könne.

Erich Mühsam war kein Demokrat im Sinne der parlamentarischen Repräsention. Er verachtete die SPD, und nur übergangsweise, aus taktischen Erwägungen heraus, ging er Bündnisse mit der KPD ein. Karl Marx charakterisierte er als trockenen, humorlosen Doktrinär, der um nichts fortschrittlicher sei als Bismarck – eine Abrechnung mit beiden erschien 1927 in Mühsams Ein-Mann-Blatt Fanal unter dem Titel "Bismarxismus". Erich Mühsam war aber nicht nur Anarchist, er war auch Künstler und Lebenskünstler, von der schwierigen Kunst, ohne Geld leben zu müssen, erzählen zum Beispiel die Tagebücher, die ebenfalls im Verbrecher Verlag erscheinen. Und er versucht, die anarchistische mit der künstlerischen Position miteinander in Verbindung zu setzen. Das mag vom künstlerischen Standpunkt aus fragwürdig sein, vom anarchistischen Standpunkt her gesehen ist die Verbindung vielleicht nicht ganz unplausibel. Mühsams Text, der 1907 in der sozialpsychologischen Monatszeitschrift Polis erschien, war zunächst Karl Kraus für Die Fackel angeboten worden. Kraus hatte abgelehnt. Warum?

Vielleicht ging ihm die (scheinbare) Selbstlegitimierung des anarchistisch-terroristischen Gewaltakts zu weit. Vielleicht lehnte er auch die künstlerische Infiltrierung des politischen Terrors ab. Mühsam behauptete jedenfalls in dem schlicht "Terror" betitelten Text: "Die Handhabung terroristischer Mittel weist dem, der sie übt, einen Platz an in der Reihe künstlerischer Persönlichkeiten." Braucht der Terrorist eine solche künstlerische Nobilitierung? Den Terror hatte Mühsam zuvor beschrieben als "die von einem Einzelnen oder Mehreren eigenmächtig in Anspruch genommene physische Justiz innerhalb des sozial geregelten Gesellschaftsbetriebes." Natürlich, Mühsam lebt zur Zeit der Geburt der künstlerischen Avantgarden. Aber selbst die Dadaisten agierten symbolisch (was Gerichtsverfahren nicht ausschloss), die Futuristen warfen nicht Granaten in die Menge sondern Flugblätter, als sie durch Berlin fuhren, und niemals betrat André Breton die Straße, um wahllos in die Menge zu schießen. Marcel Duchamps Readymade stellte eine Verletzung dar, aber eben nicht physisch. Wenig überzeugend liest sich denn auch Mühsams Versuch, stimmungsmäßig einen Brückenschlag zwischen Künstler und Terrorist zu bauen: "Ganz künstlerisch ist immer die von aller Zeitlichkeit losgelöste Stimmung bei Begehung terroristischer Taten." Zugleich ginge damit die absolute Fragwürdigkeit dieser Tat einher.

Man sieht an diesem kleinen Textbeispiel, dass Mühsam es seinen Lesern nicht leichtmacht(e). Er glaubte immer daran, auf der richtigen Seite zu stehen und die Wahrheit über den Menschen zu kennen. Die Weltrevolution war sein Steckenpferd, der Mensch nach der Geschichte seine Vision. Leider hat uns die Geschichte Mühsams Anliegen nicht näher gebracht.

Dieter Wenk (6-14)

 

Erich Mühsam: Das seid ihr Hunde wert! Ein Lesebuch, hrsg. von Markus Liske und Manja Präkels, Berlin 2014 (Verbrecher Verlag)

 

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