2. Januar 2004

Paris gehört den anderen

 

Das literarische Pendant wirtschaftlicher Wertsteigerung ist der Vergleich, die Metapher. Wenn ein Gewissen zum Beispiel nicht nur beißt, sondern auch noch brennt, wird es höchste Zeit, diesen heiklen Bissen abzustoßen, bevor er gänzlich unverkäuflich wird. Hier wie dort geht es also um Abnehmer, die Vertrauen darein setzen, dass das, was ihnen da angeboten wird, sie nicht völlig überteuert zu stehen kommt. Erfolgreiche Spekulanten sind dagegen Leute, denen es gelingt, ihren „Kunden“ ein X für ein U vorzumachen. Da Dichter nichts anderes machen, könnte man diejenigen unter ihnen als Börsenhaie der Literatur begreifen, die dort auf Moral spekulieren, wo sie nichts anderes zu tun meinen, als ein Bild unterzuschieben, das einem die Augen öffnen soll. Das ist dann der Mehrwert, der sich angeblich rein aus der Sache selbst ergibt. Zwar gehört die Metapher zur Literatur wie das Amen zur Kirche, aber kein Vergleich ist unschuldig, es sei denn, er hat sich schon erfolgreich als Cliché prostituiert.

Zola kommt im zweiten Band seines Rougon-Macquart-Zyklus aus dem Vergleichen gar nicht mehr heraus, insofern könnte man „Die Beute“ ein Gedicht nennen mit dem Titel etwa „Die Algen des Bösen“. Die mit Geld und Bildern reich Beschenkten sind dabei der Spekulant Saccard, sein Sohn aus erster Ehe Maxime, ein früher Vertreter des „Glam“, und Renée, die zweite Frau Saccards, Stiefmutter und spätere Geliebte Maximes. Also eine inzestuöse Konstellation, die den Vergleich mit Racines „Phädra“ nicht zu scheuen braucht und auch nicht scheut, sondern sucht. Den Staatsanwalt hat Zola trotzdem am Hals gehabt. Denn den Körper der Frau konnte er erst dann in die Bilderlosigkeit entlassen, nachdem er gestorben war. Davor feiert Zola mit ihm, den Kleidern, die ihn schmücken und exponieren und den Lüsten, die ihn verzehren und erneuern, eine wahre Sprachorgie. Dafür waren ihm die späteren Décadents dankbar, zu sehen, wie ein Bild das nächste gibt, zeugt, wie die Beschreibung sich vom Beschriebenen löst, immer mehr an Selbstständigkeit gewinnt oder umgekehrt an bereits bestehende Phantasien andockt, aber schon auf diesem Wege immer wieder durchschossen wird von Bildern als Perspektivierern, die der Ästhetisierung einen Anstrich des Verbotenen geben.

Erst Zolas Nachfolger setzen sich über diese Grenze hinweg. Die Beschreibung der inzestuösen Begattung im Gewächshaus zum Beispiel käme dann aus ohne die moralische Vergatterung einer vorgängigen Erotisierung der Pflanzenwelt. Die Höcker der Kerzen abessinischer Euphorbien wären dann nicht mehr „schändlich“, die Sinnlichkeit nicht „verderbt“, das Blattwerk nicht „unkeusch“. Und doch kann man sich fragen, ob nicht umgekehrt diese moralischen Tupfer in dem rauschhaften Bilderwerk und der synästhetischen Ekstase unerhört untergehen. Die Opulenz der Gestaltung spricht gegen eine Verurteilung, die noch nicht einmal zu begründen wäre im Rahmen dieses Projekts einer Naturgeschichte einer Familie. Die Moral kommt immer von außen und zu spät. Wäre das anders, bräuchte es keine Literatur.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Emile Zola, Die Beute</typohead>