23. Juni 2014

Kleine Kassa

  

“Kleine Kassa” behandelt die großen Themen im kleinen Kreis, im kafkaesken Heidekreis nämlich. Die Schwierigkeit des Verlassens vorgezeichneter Pfade, die Virtualität des Daseins in der Unterhaltungsgesellschaft karikiert ein Kofferradio. Lässig touchiert der Autor dabei die kulturellen Äußerungen, die seine und die flankierenden Generationen berührt haben; Charles Bukowski, 'Pulp Fiction' blitzen auf, 'Falling Down' in einem rührend provinziellen Remake, das eigentlich das Original zu sein scheint. Dort der Wagen im Stau, hier der Bus an der Haltestelle; wird einfach stehen gelassen auf einen scheinbar unbedeutenden Anlass hin.

In rührender Naivität setzt Georg alles auf eine Karte und seine Füße verlieren dabei regelmäßig Bodenhaftung. Die Schuhe, eben noch gehütet wie ein Schatz und auf Kratzer im Lack argwöhnisch begutachtet, werden dem Protagonisten in kürzester Zeit durch den Lauf der Ereignisse von den Beinen geraspelt. Und schon kriecht die Kälte der Konsumgesellschaft dem Leser beim Besuch des Supermarktes stechend in die nackten Sohlen – das Einkaufserlebnis ist nur angenehm für die adäquat Gekleideten, für diejenigen, die sich noch nicht aus einem Impuls heraus aus dem Raster katapultiert haben.

Und auf der anderen Seite des Schachbretts, der alte Spick, sein Lehrmeister: Wie Rivière in Saint-Exupérys 'Nachtflug' als Direktor seine Fluggesellschaft strategisch gegen menschliche Regung verteidigt, so geht dieser gnadenlose Kontrahent die Schlachten um die Zukunft des Eisenwarenhandels an – zumindest in der Vorstellungswelt des ihn fliehenden Helden, der durch einen Koffer unbekannten Inhalts an seinen General gekettet bleibt. Dabei wird Körperlichkeit und Sinneswahrnehmung immer gekostet wie ein alter Wein, sprachlich und semantisch; alte Bratensoße aus dem Mülleimer eines Zivildienstleistenden-Wohnheims wird zum Fest für die Sinne der Leser, deren Erleben sich in der Wirklichkeit immer mehr auf die Touchscreens zu verlagern droht.

Eines ist dem Protagonisten dieses Ritts zumindest gewiss; auf einen 'Schocker' wird dieser für den Rest seines Lebens nicht mehr angewiesen sein, um sich zu spüren. Die begleitenden Themen kommen spielerisch und in kleinen Gesten, und sind dabei umso mehr profund.

 

Matthias Kulcke

 

Martin Lechner: Kleine Kasse, Residenz Verlag 2014

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

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