11. April 2014

Der Künstler und die Frage nach der Technik

 

telehor. internationale zeitschrift für visuelle kultur

 

1936 erschien die erste und einzige Ausgabe von „telehor. internationale zeitschrift für visuelle kultur“, herausgegeben von dem erst 23-jährigen, aber bereits in Kunstkreisen bekannten Architekten František Kalivoda. Der besondere Fokus dieser Ausgabe war das Werk László Moholy-Nagys, und „telehor“ stellt damit die erste Textsammlung zu diesem zentralen Denker des Bauhauses dar. Der Medienwissenschaftler Klemens Gruber und der Kunsthistoriker Oliver A. I. Botar haben dieses wichtige Dokument für die Geschichte der Avantgarde neu veröffentlicht und dabei ein ungewöhnliches Experiment gewagt. Ihr Reprint macht nicht nur den Text und die Abbildungen zugängig, sondern lässt auch die Materialität dieses Buchobjekts buchstäblich wieder begreifbar werden. Der Nachdruck ist genau wie das Original mit einer Spiralbindung versehen und enthält noch weitere Details, wie die perforierten Bestellkarten, die das Buch als Designobjekt wieder aufleben lassen. Die Herausgeber lassen sich so auf eine performative Medienarchäologie ein, die den damaligen Gebrauchswert wieder erfahrbar macht und die Materialität dieses Objekts in den Vordergrund rückt.

Diese Zeitschrift ist aber nicht nur von Interesse aufgrund ihrer taktilen Struktur, die Texte repräsentieren wichtige Zeugnisse, um zu verstehen, wie sich das Bauhaus in der damaligen Medienökologie situierte. Die hier versammelten Texte Moholy-Nagys – ein Brief an den Herausgeber Kalivoda, die Essays „vom pigment zum licht“, „fotografie, die objektive sehform unserer zeit“ und „probleme des neuen films“ – setzen sich dabei schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis von Technik und Kunstproduktion auseinander. Moholy-Nagy stellt in diesen Texten immer wieder die Frage danach, inwiefern sich der Künstler neuer Medialität annähern soll und Technologien in sein Schaffen aufnehmen kann. Der Bauhausprogrammatiker versucht dabei eine Balance zu halten, die zwischen Enthusiasmus und Skepsis gegenüber Technologien wie der Fotografie und dem Film hin und her pendelt.

Zu diesen Essays kommt ein „film-scenario“, betitelt „Huhn bleibt Huhn“, hinzu, das zeigt, wie Moholy-Nagy sich eine dynamische Formsprache des Films vorstellte. Er nimmt dabei eine Ästhetik des Übergangs auf, bei der einzelne Filmsequenzen durch eine morphologische Vermittlung von Formen verschaltet werden, die auch bei Künstlern wie Walter Ruthmann oder Hans Richter zu beobachten ist.

Gerahmt werden Moholy-Nagys Texte von einem Vorwort von Siegfried Giedion, das einen Abriss der Geschichte der frühen Avantgarde anbietet und sowohl das Bauhaus als auch Moholy-Nagy als zentralen Diskursknoten für experimentelle Kunstformen identifiziert. Den Schluss bildet das Nachwort des Herausgebers, in dem er klarstellt, dass es ihm in dieser Zeitschrift darum geht, den aktuellen Stand der visuellen Kunst und ihre Entwicklungslinien anzudeuten.  Er erkennt dabei Moholy-Nagys Werk als einen unhintergehbaren Status quo an und sieht in dessen Kunstschaffen eine zukunftsweisende Perspektive, um die neuen technischen Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts gestalterisch nutzbar zu machen.

Die Texte liegen in der Zeitschrift in vierfacher Ausführung (in tschechischer, deutscher, englischer und französischer Sprache) vor und zeigen dabei den internationalen Anspruch der Publikation. Der Kommentarband weitet diesen Anspruch noch aus und druckt die Texte in vier weiteren Sprachen (Spanisch, Russisch, Mandarin und Ungarisch) ab. Der Kommentar der Herausgeber (deutsch und englisch) kontextualisiert die Entstehung der Zeitschrift und verweist vor allem auf ihre internationale Eingebundenheit des Herausgebers und des Verlagsorts Brünn. Es wird dabei besonders betont, dass Brünn zu dieser Zeit zu einem wichtigen diskursiven Ort wurde, an denen bedeutende Repräsentanten der Moderne wie van Doesburg, Mies van der Rohe, Walter Gropius oder Le Corbusier Veranstaltungen organisierten und Vorträge hielten.

Bei dieser Publikation des „telehor“ geht es aber nicht nur einfach um eine kuratorische Sicherstellung einer bedeutenden Quelle der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch um Fragen nach unserer Mediengegenwart. Ansprüche auf Aktualität für eine beinah 80 Jahre zurückliegende Publikation sind sicherlich immer mit Vorsicht zu genießen, aber diese Ausgabe macht es überaus deutlich, dass sich Moholy-Nagy bzw. das Bauhaus die zentrale Frage gestellt hat, wie Kunst Technik inkorporieren und reflektieren kann. Der Titel „telehor“ ist dabei programmatisch, denn er verweist nicht auf den Kunstdiskurs, sondern vielmehr auf eine frühe Version des Fernsehens, entwickelt von Mihaly von Denes. Was also hinter diesen Texten steht, ist die Frage nach der Interdependenz von Medialität, neuen Technologien und künstlerischem Schaffen. Die Technologien, mit denen sich das Bauhaus beschäftigte, mögen dabei nicht mehr die gleichen sein wie heute, die grundsätzliche Frage, die in allen diesen Texten gestellt wird, dürfte aber in der Zeit der digitalen Medien vielleicht noch dringender als im frühen 20. Jahrhundert sein: Wie kann der Künstler eine Medienpraxis gestalten, die das Potenzial neuster Technik ausschöpft, aber nicht von ihr dominiert wird.

 

Arndt Niebisch

 

telehor. internationale zeitschrift für visuelle kultur + Kommentarband, Hrsg. v. Klemens Gruber und Oliver A. I. Botar (Lars Müller Publishers: Zürich, 2013)

 

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