28. Dezember 2003

Wider Fiktion und Wirklichkeit

„When a true genius appears in the world, you may know him by this sign, that the dunces are all in confederacy against him“ Jonathan Swift

 

Die Fronten sind klar. Zunächst. Hier: „Desirevolution“, eine Pornoproduktionsfirma, die Teile ihres Umsatzes in gesellschaftszersetzende Aktionen investiert, weil ihnen nach eigenem Bekunden „zwei Sachen“ auf die Nerven gehen. Das allgemeine Klagen über Geld, das vorne und hinten nicht reicht. „Und das andere, wovon wir die Schnauze voll hatten“, erläutert Simple, einer der „Desirevolution“-Gründer einmal das andere, „das war der Rest der Welt.“ Eine breite Angriffsfläche also, die dem „Dort“ viele Gesichter gibt: Rentner, Lehrer, Psychologen, Künstler, Beamte, Regeln, Normen und Strukturen, alles steht in der Schusslinie.

 

Ein Genie ist Simple, da macht des Autors programmatische Namenswahl keine Schlenker, nicht, doch jener Teil von Oslos bürgerlicher Dumpfbackigkeit, die mit ihm in Berührung kommt, ist dennoch geschlossen gegen ihn. Schließlich ist es Simple, der die Kampfzone von „Desirevolution“ massiv ausweitet. Sein Geschäftspartner PapaHans ist vollauf zufrieden mit der subversiven Kraft von Pornos in Faldbakkens Norwegen. Nicht zu letzt, weil das eklatante Missverhältnis zwischen Nachfrage und dem Restriktionen unterliegenden Angebot ihm ein gutes Auskommen sichert. Die kleine Schar der Darsteller hingegen scheint glücklich und zufrieden, eigene – nie unangenehm beschriebene – Formen, der Erwerbstätigkeit gefunden zu haben, die zudem regelmäßig gegen die weichen Sphären chemischer Rezeptorenkitzler getauscht werden. Nur Simples schwelende Wut gegen den Rest der Gesellschaft sucht sich eigene Kanäle. Da ist zunächst das nicht abreißende Grundrauschen seiner galligen Tiraden gegen alles und jeden. Und da sind seine „Projekte“. Sie tragen Namen wie „Fuck up the Neighbourhood“, „Willkommen in der Rezepthölle“ oder „Oversocialized Leftie in Pain I + II“. Einer vermeintlichen "Textilkünstlerin" zeigt er, dass selbst die Faszinations-Diktatur ihre Grenzen hat, und tätowiert ihr „FasciNATION“ auf den bourgeoisen Bauch. Einen vollkommen Sucht-indisponierter Menschen verpflichtet er qua „Zwangsalkoholikervertrag“ dazu, sich zu Tode zu saufen, weil große Kunst doch immer auch dramatisch und der Mensch das größte Kunstwerk sein soll.

 

Die herzrührige Romantik in Simples Kampf zwischen den beiden Welten rührt daher, dass von Beginn an klar ist: Die Windmühlen des Systems sind stärker. Nicht ob, sondern wann Simple scheitert, ist die Frage. Denn die eine Seite, die „ehrliche“ Welt der Pornografie, sagt deutlich: „Hier kannst du nicht mitspielen, so sehr du auch willst, denn das hier ist Fiktion, (...) du hast keine Chance, du bis verurteilt zu ewigem Begehren nach etwas, das es nicht gibt.“ Während die andere, die „verfluchte Lifestyle-Welt da draußen“, es immer wieder schafft, die Möglichkeit zu simulieren, „up to date“ sein zu können. Was natürlich, wenn überhaupt, nur jenen Bruchteil einer Sekunde möglich ist, bis die Definition sich wieder geändert hat. In ihrer Agilität und Integrationskraft schluckt diese Definition schließlich auch Simple.

 

So ist es nicht der Plot, der „Cocka Hola Company“ zu einem guten Buch macht, sondern der liebevolle Ton, mit dem Faldbakken seinem Nihilismus Ausdruck verleiht. Selten nach John Kennedy Toole waren Misanthropen sympathischer.

 

Gregor Kessler

 

Matias Faldbakken

The Cocka Hola Company

Blumenbar Verlag, 464 Seiten, 22 Euro