20. Dezember 2003

Reif für’s Festland

 

Beim Schönen muss man schon ein absoluter Teilnehmer sein, sonst bricht man sich mindestens ein Bein. Nichts rassistischer als das Schöne. Im Alltag fällt das natürlich nicht auf, weil es völlig selbstverständlich ist. Dagegen zu revoltieren ist so sinnvoll, wie den Winter oder den Sommer abschaffen zu wollen. Das Schöne hat seinen eigenen Parcours etwa im Gedicht, im Kino oder auf der Insel. Aber auch das sind keine Ideallösungen. Das merkt man bei Dichterlesungen, schlechten Filmen und wenn es regnet. Am Besten scheint immer noch zu sein, man bleibt schön zu Hause und träumt so vor sich hin. Hier hält man es natürlich erst recht nicht aus. Das wirkliche Fleisch fehlt, der Sandstrand, der Sonnenuntergang, das Abenteuer.

Wen es nicht hält, der geht alleine los. Keine Rücksichten, nur die eigenen Wünsche, die eigenen Grenzen, die man überwinden kann. Und man geht nicht auf den Bauernhof, sondern möglichst weit weg, zum Beispiel, wie der Amerikaner Richard (Leonardo di Caprio), nach Thailand, Bangkok, wo Christian Kracht auch immer hin fährt. Dort pulsiert bekanntlich das Leben. Aber man selbst ist erst mal Zuschauer. Man versteht ja nichts. Deshalb ist es dann doch schön, gleich mal ein paar Europäer im Hotel zu treffen. Das beruhigende Abendland, das in Gestalt eines französischen Pärchens für Esprit und Erotik sorgt. Zusätzlich bekommt man noch eine mysteriöse Karte überreicht, eine Insel, das Paradies. Etienne, der Franzose, organisiert die Fahrt zur Schatzinsel. Dann ist man auch schon da. Die Insel ist zweigeteilt. Arbeitende Eingeborene (na ja, arbeiten tun die nicht richtig, die bauen halt Drogen an) und ausgestiegene Abendländler. Die beiden Gruppen haben so etwas wie einen Vertrag, man lässt sich in Ruhe, jeder verwirklicht auf seine Art die Utopie. Das Problem ist, dass beide Gruppen nicht ganz autark sind. Die einen müssen die Droge verkaufen, die anderen müssen immer mal wieder aufs Festland, um sich mit Zivilisationsmüll einzudecken. Gelegenheit zudem, ein bisschen zu plaudern, wie toll man es doch auf der Insel hat oder umgekehrt wie verlogen es da ebenfalls zugeht.

Boyle versucht auch gar nicht erst, die totale Andersheit bei den Touris vorzuführen. Wer will schon zusammen mit 50 anderen in einem Raum schlafen. Oder sich von einer schmallippigen Zippe (Tilda Swinton) anführen lassen. Einen Arzt gibt es auch nicht. Und wenn einem ein Hai das Bein abbeißt, hilft einem niemand. Das sind dann die Tücken des eigentlich gar nicht mal so tollen Paradieses. Ausgrenzungen wie im normalen Leben auch. „The show must go on.“ Und da die Fehler im System immer mehrfach passieren, kommen noch mehr Touristen auf die Insel. Richard hatte geplaudert, als er noch in Bangkok war. Die Nachzügler sind nicht so clever wie Richard mit seinem Pärchen. Sie müssen sterben. Der gute Wilde ist auch nur ein Traum, ein böser dazu. Himmel und Hölle sind jetzt ganz nah. Aber beide Gruppen haben beide Anteile in sich. Man kann auch sagen: Wenn zwei parasitäre Bereiche sich zu überschneiden drohen, ist das Getöse so groß, dass der Wirt selbst eingreifen muss. Der Wirt, das ist man selbst, der Zuschauer, der die Drehung der Spirale beenden muss. Abschalten. Weitermachen. Auf beiden Seiten.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Danny Boyle, The Beach, USA 2000</typohead>