22. August 2013

Sprengt die Museen!

Die große Odaliske, Vives, Ruppert & Mulot, Reprodukt.
La Traversee Du Louvre von David Prudhomme, Reprodukt.
Le Jour Du Musee, Bastien Vives, Warum-Verlag.
Le Jour Du Musee, Jerome d´Aviau, Warum-Verlag.
Le Jour Du Musee, Jerome d´Aviau, Warum-Verlag.
Mein Junge, Oliver Schrauwen, Reprodukt.
Richter zeichen, Alexander Roob, Salon Verlag.
Joseph Beuys. Der lächelnde Schamane, Willy Böß-Verlag.

 

Ich weiß nicht, warum ich am Tag danach ins Museum ging. Vielleicht suchte ich einen Raum mit gesicherten Werten. War ich doch hochgradig verunsichert. So rannte ich ins Musée des Beaux Arts in Lyon. Museen, diese Innenräume im Außenraum. Ich war bis aufs Äußerste gespannt und mein Gerechtigkeitssinn angeschlagen. Zwei Tage hatte Adlene von seiner dreijährigen Haft, physischen und psychischen Folter durch französische Geheimdienstbeamte sowie deren Überfall auf seine Familie erzählt. Meine Frau, Marita Neher, recherchierte für ihr Buch „Albtraum Sicherheit“ (Fischer Verlag 2013). Adlene Hicheur ist ein unter Terrorverdacht geratener Wissenschaftler vom Cern, algerischer Herkunft. Am dritten Tage unserer Zusammenkunft lief ich wie betäubt ins Museum und sah dort nur bourgeoise Propaganda-Kunst. Kunst, die einzig der Stabilisierung bestehender Verhältnisse, hinter deren Kulisse ich gerade geblickt hatte, dient. Aufgebracht raste ich durchs menschenleere Museum und stand plötzlich vor den Skulpturen der Deputierten der Juli-Monarchie von Honore Daumier, faustgroßen karikaturesken Bronzeskulpturen. Schläfrige, dumme und gewitzte Fratzen, in die sich die Arroganz der Macht eingeschrieben hatte. Und war urplötzlich so etwas wie begütigt und sah in ihnen eine, wenn auch nur formale Entsprechung für meine Gefühle. Diese Daumiers waren für mich das Verbindungsstück von der musealen Innenwelt zur Außenwelt.

Ist das also die Funktion von Museen? Uns Vorbilder für den Erhalt bestehender Verhältnisse zu liefern und/oder uns zu begütigen? Museen sind etwas für Zombies. Mit ihren untoten Dingen. Dinge, die ihrer handwerklichen oder rituellen Funktion beraubt wurden und doch nicht sterben dürfen. Die immer wieder möglichst lebendig präsentiert werden sollen, um dem Vergessen nicht endgültig anheimzufallen, und die so oft nur noch einen symbolischen Wert haben. Aber eben einen Wert, im Gegensatz zu jenen wertlosen vergessenen Dingen. Einen Wert, auf den eine Gesellschaft sich geeinigt hat und der ihr beim Sich-Erinnern hilft. Das Museum eine Institution für betreutes Erinnern. Beherrscht von der Angst, in Vergessenheit zu geraten. Aber auch von der, sich vielleicht an das Falsche oder sich an das Richtige falsch zu erinnern. Wir kennen diese Angst aus der Psychoanalyse. Das Museum selbst ist bereits ein ritueller Ort der Erinnerung. Zu dem auch Bibliotheken und andere Archive gezählt werden können. Gleichzeitig zur Archivtätigkeit wird im Museum das Ritual des Ausstellens kultiviert. Eine rituelle Handlung, die in unserer Kultur und nicht nur im Museum hoch im Kurs steht. Das merkwürdigste Paradoxon aber sind Museen für zeitgenössische Kunst, diese Kultstätten der Erinnerung an die Gegenwart.

 

Da es hier um Comic und Museen geht, frage ich mich, ob der Comic vielleicht unbewusst ins Museum möchte. Und ihm Bibliotheken und Archive nicht genügen? Selbst das Wilhelm Busch Museum konzentriert sich in seinen Ausstellungen eher auf Einzelbilder, denn auf Geschichten. Und tatsächlich hab ich noch keine gute Comic-Ausstellung gesehen. Bilder-Geschichten, und darin liegt ihre eigenwilligen Widerständigkeit, lassen sich schlecht ausstellen. Ein Vorschlag wäre, den Comic zu zerreißen, den Text in Bibliotheken und die Bilder (und deren Re-Produktionsbedingungen, Druckvorlagen etc.) in Museen zu lagern und auszustellen.

 

Wenn die drei Frauen aus „Die große Odaliske“ in den Louvre einbrechen, um Jean-Auguste-Dominique Ingres gleichnamige Ikone der Salonmalerei zu stehlen, ist das ein Unding, denn dies Bild ist so fest im kollektiven Bewusstsein verankert, dass es keinen monetären, sondern nur noch einen symbolischen Wert hat. Geht es hier eigentlich um einen Angriff auf das bürgerliche Wertesystem? Greift der Comic hier die freie Kunst an? Aus restauratorische Sicht erscheint dieser Angriff pausibel, wenn im Louvre Rauchbomben geworfen oder mit dem Motorrad gefahren wird. Aus feministischer Sicht könnte die Verbindung von Verbrechen, Kunst und Frauenfreundschaft im Zusammenhang mit der Vernichtung musealer Werte, um neue museale zu schaffen, wie der Appendix zur Haupterzählung vermuten lässt, durchaus etwas Revolutionäres haben. Also ein feines Beispiel intelligenter Unterhaltung. Leider handeln die Frauen nicht in eigenem Auftrag, sondern steckt wieder einmal ein Mann dahinter.

 

Während unserer Lyon-Recherche hab ich mir „La Traversee Du Louvre“ von David Prudhomme gekauft, obwohl ich kein Französisch kann. Er belegt, die Zeitgenossenschaft der musealen Zombiekultur , indem er das profane Besucherleben im Louvre im Zusammenspiel mit großen Kunstwerken zeigt. So lädt sich beides gegenseitig auf. Ein wunderbarer Band, der von einem intelligent-schelmischen Stolz auf seine französische Kultur lebt. In diesem Jahr wohl das beste Beispiel, wie Museen im Comic thematisiert werden können. Dank dem Reprodukt-Verlag ist es jetzt auch auf Deutsch erschienen.

 

„Le Jour Du Musee“, Warum-Verlag, versammelt fünf Geschichten, die sämtlich im Museum spielen, moderiert von einem „Pausenmännchen“, von Benoit Preteseille. Auch hier der Louvre, in ihm; eine Schüler-Besuchergruppe in der Pubertät im Zusammenspiel mit Gustave Courbets „Ursprung der Welt“, von Bastien Vives. Bei Fimio Obata wird ins Museum ein- und ausgebrochen und bei Marine Blandin dies sogar komplett gesprengt. Hier wird all das getan, was man auch mit dem eigenem Gedächtnis anstellen kann. Besonders fein aber ist die Geschichte eines Jungen, der vor der Musealisierung seines Lebens zu fliehen versucht und über seinen Tot hinaus musealisiert wird, von Jerome d´Aviau. Ein Comic, der auch unbedingt auf Deutsch erscheinen sollte.

 

„Joseph Beuys. Der lächelnde Schamane“, Bernd Jünger, Willi Böß, Beatriz Lopez-Caparros, Thomas Thiessen, im Willi Böß Verlag. Der sich auf Künstlerbiografien von Otmar Alt bis Picasso spezialisiert hat, die immer wieder für Überraschungen sorgen – inhaltlich – und nicht nur preislich, ein Heft kostet 3 Euro. Und in den Heften spielt das Museum als Wertschöpfungsmaschine nur eine untergeordnete Rolle, der Schwerpunkt liegt wirklich auf den Biografien der Künstler.

 

Mit „Mein Junge“ hat Oliver Schrauwen (Verlag Reprodukt) einen Klassiker geschaffen. In ihm geht der (Über-)Vater, als das unerschütterliche, kraftstrotzende Lebensprinzip, mit dem hässlichen und kleinwüchsigen, hilfebedürftigen Sohn ins Museum für primitive Kunst sowie in den Zoo, dem Tier-Museum. Für den Sohn sind diese Besuche eine fürchterliche Bedrohung. Für den Vater ein Genuss. Von diesem Comic kann man sich nicht oft genug erschüttern lassen.

 

„Alte Meister“, Thomas Bernhard, gezeichnet von Mahler, Suhrkamp. Eine der besten Literaturadaptionen. Auch hier: Museum als sozialer Treff, um einen Abgleich mit dem Leben zu schaffen. Bei Bernhard, also im Roman, bleiben lediglich Francisco Goya und Egon Schiele als freie Künstler übrig, der Rest ist obrigkeitshöriger Zuckerguss, Kitsch und zu vernachlässigen.

 

„Im Museum. Archive des Zerfalls / Die Treppe zum Himmel“, Sascha Hommer & Jan-Federik Bandel, Reprodukt. Auch bereits ein Klassiker. Hier öffnet das Museum seine Wände, verzichtet also auf die Besitzwahrung und wird so zum Denkraum.

 

„Richter zeichen“, Alexander Roob, Salon Verlag. Ein zeichnerisches Beispiel aus der freien Kunst zu einer Ausstellung von Gerhard Richter. Leider bleibt hier der Beigeschmack, dass Roob sich nur an Richter als mediales Ereignis dranhängt, um seine Zeichnungen aufzuwerten. Und das gelingt, wenn überhaupt, nur im Kunstbetriebskontext.

 

Christoph Bannat