18. August 2013

Kein Vergleich

 

Manchmal ist es für ein Buch besser, wenn man den Text auf dem Buchrücken nicht zur Kenntnis nimmt. Dieser Filmdiwan wird folgendermaßen kommentiert: „Der große Filmkritiker Peter Nau schreibt über Berlinfilme – und damit über die Stadt, über ihr Antlitz im Film und über ihre Veränderung. Er beschreibt das bei Film aus Ost und West, und so auch wie die Stadtteile sich selber sahen und wie sie sich gegenseitig.“ Das klingt nicht gut. Zeitmangel? Aber vielleicht macht es Peter Nau mit seinen 30-zeiligen Betrachtungen, die er  Miniaturen nennt, besser? Die Miniatur Erwin Geschonneck (1906-2008) beginnt so: „Als Schauspieler war ihm darum zu tun, nicht wirkliche, sondern historische Menschen darzustellen, um die bildnishafte Wahrheit des ,Typus‘ zu erreichen.“ Dieser Satz gibt zu denken, die Frage ist, ob man weit kommt. Sind historische Menschen keine wirklichen Menschen? Für mich gibt es keine anderen. Und ist der Geschonneck unterstellte Wille, einen Typus zu erreichen, so ganz ohne die Eigenart eines Regisseurs zu denken? Ein anderer Miniatur-Start (Jahrgang 45): „Schön ist das Licht in diesem Schwarzweißfilm (Kamera: Roland Gräf), da es als Tageslicht nicht nur den Ort sichtbar macht, sondern auch, indem es an den Tageablauf gebunden ist, die Zeit spüren lässt.“ Ich kann mich an Filme erinnern, in denen auch das Tageslicht (manchmal auch künstliches Licht) den Ort sichtbar machte, aber ich muss gestehen, niemals „die Zeit“ gespürt zu haben. Höchstens, was auch vorkam, wenn ich mich gelangweilt habe, ansonsten war die Zeit immer die Zeit des jeweiligen Films.

 

Bei der Lektüre dieser Texte wird man den Eindruck nicht los, dass sie wie Pretiosen wirken sollen. Niemals die Sache selbst, sondern eine gewisse poetische Ummantelung. Herauskommt oft nur eine rhetorische Hilflosigkeit. Ein anderer Anfang (Kinder. Wie die Zeit vergeht): „Seine äußersten Wirkungen verdankt dieser Film, dessen Bilder tiefer als Worte sind, seinem nuancierten Schwarzweiß: was in so vielen Filmen bloß da ist, Körper und Räume, befreit sich hier zur lebendigen Wirkung seiner Kräfte.“ Anstatt über diese Wirkung(en) ein paar Worte zu verlieren, geht es gleich um den Inhalt. Und was heißt das: In Filmen sei ein Körper oder ein Raum „bloß da“? Es ist das Prinzip dieser Texte, anzutippen, aber nicht auszuführen. Aber die meisten Anstöße sind wie gesagt unbefriedigend.

 

Auch die Auswertungen formaler Mittel glücken selten. In einem Film läuft ein Schauspieler „um den dicken Stamm eines Straßenbaumes herum.“ Peter Nau schließt: „Mit der Bewegung, die dieses Kreisen ausdrückt, behaupten die Menschen ihr innerstes Recht auf Werden.“ Aus einem bestimmten Menschen werden mit einem Mal alle Menschen (ist das dann der ahistorische Typus?), aus dem Kreisen destilliert Nau Werden, wo man doch eher an Stagnation denken könnte.

 

Es wird viel geklingelt in diesen Texten, aber der Leser hört nichts oder klingelt sich in einen anderen Film. Der nächste Diwan Naus sollte eher ein Sofa sein, auf dem man sich wenigstens anlehnen kann.

 

Dieter Wenk (8-13)

 

Peter Nau: Irgendwo in Berlin. Ostwestlicher Filmdiwan, Berlin 2013 (Verbrecher Verlag)

 

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