13. Juni 2013

Der Hammer versus Hände weg

Atak, Der geheimnisvolle Fremde
Baudoin, Der Nabel der Welt, Schreiber und Leser
Baudoin, Der Nabel der Welt, Schreiber und Leser
Joann Sfar, Chagall in Russland
Joann Sfar, Chagall in Russland
Allen Mona Horncastle, Van Gogh
Daniel de Picciotoo, We Are Gypsies Now
Brecht Evens, Die Amateure
Schwartz & Yann, Gringos Locos
Marcus Herrenberger, Jahrhundert der Ratte

 

Bevor ich hier meiner Verachtung für Kinderbücher – und Comics bewegen sich oft in deren Nähe – freien Lauf lasse, hier die großartigen Comic-Neuveröffentlichungen:

 

„Der Geheimnisvolle Fremde“ vom großartigen Atak bei Carlsen, „Chagall in Russland“ vom unterschätzten Joann Sfar im avant-verlag und von der neuen Comic-Hoffnung Brecht Evens „Die Amateure“ bei Reprodukt. Natürlich wieder aus dem Feld zwischen Kunst und Comic.

 

Mein erstes Buch hieß „Das Milchauto“, gelesen mit 14. Besonders beeindruckte mich die Endlichkeit, ein Buch an einem Tag lesen zu können. Mein zweites Buch, „Hier und Jetzt“, handelte von einem Brüderpaar in Amerika. Dann kam „Wunschloses Unglück“ von Peter Handke. Und da ich nichts verstand, las ich es fünf Mal nacheinander. Seitdem lerne ich Lesen. Im Gegensatz dazu Comics, die hab ich immer schon „gelesen“. „Lurchi“ las ich in den Salamander-Schuhläden. „Mecki“ in alten HörZu-Heften unter der Stiege im Haus meiner Großeltern, dazu aß ich Erdbeerzahnpasta. In „Petzi“-Bücher interessierten mich die Subgeschichten der zwei kleinen Schildkröten am Bildrand. „Prinz Eisenherz“ und „Little Nemo“ gab es in der öffentlichen Bücherhalle. Und dann waren da noch die Karikaturen auf der Rückseite der DIE WELT, vom „Nazi“-Hicks. Um den es, sobald mein Vater die Zeitung aufschlug, Streit gab, bis sie abbestellt wurde. Jahre später erst stellte ich fest, dass Wolfgang Hicks sich seinen schlechten Ruf, ebenfalls mit Karikaturen, im Naziregime verdient hatte. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14023515.html.

 

Von Atak ist jetzt ein Buch erschienen, das ihn, als er 14 war, beeindruckt hat. Dabei ist festzustellen, dass jedes Buch, das durch die malenden Hände von Hans Georg Barber, alias Atak, ging, lesenswert ist. Seine Arbeiten zu Gertrude Stein und jetzt zu Mark Twain haben mich aber sofort zu weiteren Recherchen angeregt. Auch oder vielleicht gerade weil ich der patiniert illustrativen Malweise zunächst nicht traute. Die war mir anfangs auf nostalgische Weise zu catchy. Heute sehe ich Atak als einen der wenigen Folkart-Künstler. Ein Genre, das es in Deutschland gar nicht gibt. Naiv-volkstümliche Malerei war in den 70ern einmal, seitdem nicht wieder, angesagt. Und die Prinzhornsammlung deckt ein anderes Feld ab. So haben Ataks Bilder ein Alleinstellungsmerkmal und bilden einen Link. Denn sie sind vielschichtig bewusst, verzweigt, zitierfreudig und von großer handwerklicher Intelligenz.

 

Auf den ersten Blick sehen seine Zeichnungen wie für Kinder gemacht aus. Doch Joann Sfar tastet die Ränder der Zeichenkunst in diese Richtung ab. Jedes Bild steht wie der Beweis seiner nervösen Potenz. Mit der am laufenden Band Geschichten gezeugt werden. Dieser Zeugungsdruck paart sich mit einem lockeren Zeichenstil und einer atmosphärisch symbolhaften Kolorierung, brutalen, sexuellen und politischen Inhalten. Das, was zunächst kindlich erscheint, entwickelt sich beim Lesen zu einem Pamphlet – wofür nur, bleibt unklar – ein Rätselpamphlet eben.

 

Brecht Evens gehört wie Atak zu jenen Kunstaffinen im Comic, die auf die Comic-typische kantengenaue schwarze Kontur verzichten. Diese kann als ein philosophisches Statement des Comics und der Zeichnung im Allgemeinen gelesen werden. Einerseits liegt hier alle Freiheit in der Beschränkung auf Schwarz und Weiß. Anderseits zeigt diese, noch deutlicher wird es bei der Umrisszeichnung, dass der Mensch, vielleicht als einziges Lebewesen, fähig ist zu symbolisieren. Evens bricht dieses Statement, indem er Aquarellfarbe zum Zeichnen benutzt und die Bildrahmen größtenteils weglässt. Und bewegt sich damit auf der Gratlinie zwischen Comic und der freien Kunst. In diesem Sinne sind seine Bilder uferlos, aber auch von einer ungewöhnlich atmosphärischen Tiefe.

 

Baudoin bewegt sich mit „Der Nabel der Welt, Schreiber und Leser“ auf ähnlichem Terrain wie Atak und Brecht Evens, und man sieht, wie viel besser die beiden sind. Einmal abgesehen davon, dass die Vermischung von Kunst und Leben die Metapher der Leinwand des Lebens und vieles mehr, das der Comic behandelt, von Klischees nur so strotzt. Eine junge Frau und ein ater Mann zeichnen sich gegenseitig, während er ihr seine Geschichte erzählt. Im Verlauf der Geschichte bewegen sich die männlichen Welterklärungs- und Weltdeutungshoheitsansprüche ins Geschwätzige. Wobei die Zeit der 1970er Jahre zwischen politischen Ansprüchen, Selbst und Verwirklichung und Frustration ein spannendes Setting ist.

 

Kurz:

Brecht Evens, „Die Amateure“, bei Reprodukt erschienen, erzählt die Geschichte einer homo-kameradschaftlichen Landkunstbiennale, bei der alle gemeinsam an einem Werk arbeiten sollen. In dieser Männerwelt entsteht, treffsicher beobachtet, ein Beziehungsgeflecht. Frauen sind dabei lediglich Geliebte oder Mütter. Anders als in seinem Erstlingswerk „Am falschen Ort“ folgt er diesmal nicht dem „großen“ Bruder, sondern ist selbst einer. Wenn Belgien so ist, wie bei Evens beschrieben, dann nichts wie hin.

 

Atak: „Der geheimnisvolle Fremde“, Carlsen. Nach einer Erzählung von Mark Twain, die er in Österreich schrieb, wo diese spielt. Mit 14 war Atak von dieser begeistert. Und sie begeistert noch heute. Satan betritt ein mittelalterliches Dorf und nimmt sich einige Jungen als Komplizen seiner Taten. Daraus entspannt sich eine faustische Geschichte. Ein Klassiker. Was heißt: noch heute lebendig. Vielleicht möchte Atak uns das sagen, wenn er im Hintergrund Brueghel, Bosch, Matisse, Disney, Mondrian u.v.m. in Bildzitaten auftauchen lässt. Und das ganz ohne Kunst-Häme. Wann wird Atak endlich gebührend gefeiert?

 

Joann Sfar: „Chagall in Russland“, avant-verlag. Kommt wie ein Kinderbuch daher, ist aber ein echter Hammer. Lasst eure Kinder mit diesem spielen. Man muss Sfar wörtlich nehmen, dann spannen sich augenblicklich wesentliche Fragestellungen auf. Auf der bildlichen Ebene propagiert er eine multikulturelle Gemeinschaft – brutal, naiv, dumm, angepasst religiös und hoffnungslos verliebt. Chagall ist hier nur der Anlass, über die ukrainischen Pogrome an Juden, die russische Revolution und die Stellung des naiven Künstlers in Zeiten von Umbrüchen zu erzählen. Dem avant-verlag ist nicht oft genug zu danken für diese Arbeit.

 

Und mit der Metapher des Hammers in Kinderhand sind wir beim vollkommen überflüssigen, aber äußerst erfolgreichen Genre des Kinderbuchs – und das im Grimm-Jahr.

 

Kinderbücher sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die Kindheit eine des 18. War Wissen vor der Aufklärung noch eine Frage ständischer Herkunft, wurde diese im Laufe der Aufklärung zu einer der Zukunft. Jetzt sollten alle Kinder gleich erzogen werden. Und so wurden sie zum Medium der Gesellschaft, für eine bessere Gesellschaft. In diesem Sinne sind Kinderbücher von Erwachsenen gemacht, im Glauben an das Kind als Medium. Auch nur ein unmöglicher Versuch des Erziehungswesens. Und immer in der Absicht, das Kind sanft zu führen und ja nicht zu überfordern. So machen sich Buchautoren blöder, als sie sind, oder kaschieren nur ihre Denkfaulheit. Dabei vergessen sie, dass in der Überforderung eine große Chance liegt. Denn das, was bei dieser übrig bleibt, das sind wir. Das, was wir nach einem Godard-Film, einem Pollesch-Stück, einem Crumb, Kant, Hegel, Nietzsche, E.T.A. Hoffmann, Proust oder Faust sind, das sind wir. Denn sie stellen immer eine Überforderung dar. So wissen wir auch, dass Langeweile, wie sie z. B. Chris Ware kultiviert, eine Überforderung sein kann.

 

 

Hände weg von: Allen Mona-Horncastle-Kunst-und-Comic-Büchern, Prestel Verlag. Egal über welchen Künstler. Die von Van Gogh (2011) und Gustav Klimt (2012) hab ich gelesen.

Weitere Langweiler, die einen auch in ihrer Langeweile nicht überfordern und darauf zu beruhen scheinen, dass Künstler(-Leben) per se interessant sind:

"Egon Schiele – ein expressives Leben", Xavier Coste, Knesebeck (2013).

"Pablo – 1. Max Jacob", Julie Birmant, Clement Oubrerie, Reprodukt (2013). Irgendwie klappt die Geschichte nicht. Vielleicht weil das abgesicherte Terrain der Picasso-überlebensgroßen Kunstschwengelgeschichte einen nicht in eine wie immer geartete Zwickmühle bringt. Dabei bleibt die graue Vorzeit, als man noch aus persönlichen Gründen gelebt hat, grau. Es gilt immer noch John Bergers Kritik, die sagt, dass der späte Picasso hätte reisen sollen, um seiner „Verzweifelung“ zu entgehen. Ein großartiger Vorschlag für einen Mann, der seine eigene Liga war und nur noch gegen sich selbst spielte.

"Klee", Christophe Badoux, edition Moderne (2008). Ist so ... hilflos, artifiziell, uninspiriert.

 

"Gringos Locos", Schwartz & Yann, Carlsen (2013). Erzählt von der Mexiko-Reise 1948 des Spirou-Zeichners Joseph Gillain, genannt Jijé, (2013). Hier verkommt alles zur Anekdote. Im Anhang, einer Art Gegendarstellung, erzählt der Sohn Benoit von dieser Reise. Aufschlussreich: So war sein Vater, sobald er malte (auf einem Foto mit Staffelei, Leinwand, Ölfarbe zu sehen), ungenießbar, während er der freundlichste Mensch war, sobald er zeichnete – was sagt uns das?

"Der Winter des Zeichners", Paco Roca, Reprodukt (2012). Hat vielleicht in Spanien Bedeutung. Eine Gang von Zeichnern will sich im Franco-Spaniern unabhängig machen, scheitert und kehrt zum Verlag zurückkehrt. Warum diese Übersetzung ins Deutsche, bleibt unklar. Hübsch gemacht, aber unbedeutend.

"Jahrhundert der Ratte – Zwischen Lenin, Jazz & Harry Lime", Marcus Herrenberger, minedition (2008). Eine Ratte läuft durch die (Kunst)-Geschichte, von 1917 bis 2008. Irgendwie schrecklich, gut gemacht. Im klassischen Storyboard-Stil trifft er die interessanten Momente der (Kunst-)Geschichte. Leider machen Herrenbergers Zeichnungen – je näher er der Gegenwart kommt, wurden sie zuvor detailverliebt ausgepinselt – schlapp.

"We Are Gypsies Now – Der Weg ins Ungewisse", Danielle de Picciotto, Metrolit (2013). Eine Musiker-Tour-Bildergeschichte, in Tagebuchform von Picciotto, mit ihrem Freund Alexander Hacke und den Einstürzenden Neubauten. Rührend, bis ärgerlich naiv.

 

Christoph Bannat