15. Mai 2013

Plan B

 

Schlechte Kunst (4)

 

Warum, so fragt ein gewisser Sandel, könne der Magister Knellius den Faust nicht ausstehen?

„Knellius: Ist ein Narr, Herr Sandel.

Sandel: So?

Knellius: Mit dem kein ordentlicher Mensch sich vertragen kann; ein Hasenfuß, ohne Sitten, mit einem Wort ein Genie –

Sandel: Ha! ha! ha!“

 

Er, der Magister Knellius, arbeite gerade an einer Disputation wider den Faust, außerdem sitze er an einer großen Übersetzung, worauf „das ganze gelehrte „Teutschland“ schon aufmerksam sei, erfährt man in dem Gespräch mit Sandel in dem Stück Fausts Leben, erster Theil von Maler Müller, der eigentlich Friedrich Müller hieß und im gleichen Jahr wie Goethe geboren wurde. Tatsächlich hat sich der Magister an einer literarischen Form abgearbeitet, die in Europa zur Zeit der Abfassung des Maler Müllerschen Faust-Fragments schon ihre Hochzeit hinter sich hatte: der Elegie. Sandel versteht es geschickt, Knellius aufgrund seines literarischen échec zu provozieren:

 

„Sandel: Sieht er, daß gefällt mir jetzt wohl an ihm – daß er die Poeterei ganz auf die Seite geschmissen, und sich mit was anders abgiebt, das ihm vielleicht besser zur Hand schlägt.

Knellius: Ich auf Seite geschmissen – auf Seite geschmissen – im Gegentheil, jetzt will ich erst recht anfangen – Meine Elegien sind in ganz Deutschland als erbärmlich ausgepfiffen worden – weiß alles warum – kenne die Cabalen – aber das soll mich nicht schrecken; jetzt will ich erst hervorrücken all den scheelsichtigen Recensenten Flegeln zu Truz; hervorwischen mit zehn, zwanzig, dreißig, hundert auf einmal, hier und da und dort, daß sie nicht wissen wie und woher – und da will ich feuern mit den übrigen die ich an der Hand habe, daß sie meynen sollen der Himmel bliz über ihnen zusammen…“

 

Die Provokation macht den Magister ungeheuer produktiv; in wenigen Augenblicken entsteht ein erstklassiges Konzept darüber, wie man von sich reden macht, wenn man nicht das Zeug hat, dass die Dinge sich von selbst empfehlen – und wann tun sie das schon von alleine. Über den Magister Knellius führt Maler Müller die Performativität in die Literatur ein, oder, um es mit einem noch moderneren Wort zu sagen: die Performance. Denn der Aktionsplan des Magisters geht noch weiter:

 

„Knellius: … Nein mein werthester Herr Sandel, da kennen Sie mich noch nicht – wer nachgiebt hat verlohren; wer zuerst aufhört, hat Unrecht in dieser Welt – Ausgehalten, bis aufn lezten Mann, sollt einer auch drüber zu Kraut verhackt werden – Das lezte Wort, das beste Wort! gut oder schlecht, all eins – wenn zehn, zwanzig schrein: das ist nichts nutz, muß man vierzigmal wieder entgegen schreien: ihr verstehts all nicht, und denn hinter ihre eigene Sachen hergehn wie’s auch ist – noch so groß, thut nichts – Streitereien mit grosen Männern, macht immer Aufsehen und Lärmen, und wenn man auch zertreten wird – thut nichts; man wird doch immer in der Polemick neben einem grosen Namen genannt…“

 

Der Magister scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben und könnte sich gar Genie nennen, ließe er auf dieses patente Konzept die entsprechende Performance folgen. Die Prügel wird er bekommen, aber zum wahren Kippenberger fehlt ihm dann doch das nötige standing (um daraus etwa einen schönen Dialog mit der Jugend zu führen), die zwingende Ausdauer und die versprochene Quantität an Ausstoß. Aber das hieße auch, dem ausgehenden 18. Jahrhundert ein bisschen zu viel Modernität zumuten. Martin Kippenberger wird Maler Müller nicht gelesen haben (der ist schon interessant, allerdings auch ein bisschen anstrengend, Jahrzehnte später wird er seinen Faust versifizieren), aber am Anfang von Kippenbergers Karriere steht auch eine Italienreise, und wenn schon nicht nach Rom, dann immerhin nach Florenz (Leonardo!), zwar wurde er nicht als Schauspieler entdeckt (als ein zweiter Helmut Berger), aber immerhin brachte er Dutzende von Bildern mit, die aussahen, als seien sie von Gerhard Richter gemalt.

 

Mehr Erfolg hatte Kippenberger dann mit seinen Zimmerli-Unterhosen aus reiner Seide, die vermittelt über manche Ansichten eines mehr als halbnackten Picasso ein interessantes Licht auf den Dortmunder fallen ließen. Und natürlich durfte Kippenberger auch einen Joseph Beuys in seinem Anspielungsspiel nicht auslassen; und das ist schon nicht ganz schlecht, wie da aus einem in die westdeutschen Spießerbuden übertragenen Zen-Lamento eine sehr unterhaltsame, ins Akustische gewendete Telefonzeichnung wird. Jajaja-Nenene, ohne die „grosen“ Männer – ob im Streit oder im Schulterschluss – geht gar nix.

 

Dieter Wenk (4-13)

 

Friedrich Müller genannt Maler Müller, Fausts Leben. Nach Handschriften und Erstdrucken herausgegeben von Johannes Mahr, Stuttgart 1979 (Reclam)

 

Schlechte Kunst (1)

Schlechte Kunst (1.1.)

Schlechte Kunst (2)

Schlechte Kunst (3)

Schlechte Kunst (5)